Cheerleader klagen über schlechte Arbeitsbedingungen

Alles nach Vorschrift

Unter welchen Bedingungen Profi-Cheerleader arbeiten, war in den USA bisher kaum bekannt. Nun zogen gleich mehrere Frauen vor Gericht – und offenbaren erstaunliche Vertragsdetails.

In keiner anderen Sportart liegen Image und Realität weiter auseinander als im Cheerleading. Unzählige Highschool-Filme zeigen Cheerleader als schöne, selbstbewusste, beliebte und erfolgreiche junge Frauen, die im eigenen Sportwagen zum Date mit dem Star-Quarterback der Schule fahren. Jüngsten Medienberichten zufolge werden die Athletinnen (und die wenigen aktiven Athleten) allerdings nicht einmal nach dem US-Mindestlohn bezahlt. Außerdem wird das Cheerleading von der NCAA (National Collegiate Athletic Association) ab dem College nicht einmal als Sportart anerkannt, obwohl etwa 65 Prozent der katastrophalen Sportverletzungen bei jungen Frauen im College beim Cheeren passieren (als katastrophal wird eine Verletzung angesehen, wenn sie Wirbelsäule, Hals, Schädel oder Gehirn betrifft). Bei den Cheerleading-Teams im Profisport ist die Situation kaum besser, denn trotz immensen Zeitaufwands erhalten die Tänzerinnen von den milliardenschweren Vereinen gerade mal ein Taschengeld.
Zum ersten Mal wehren sich nun Cheerleader gerichtlich gegen die ihnen aufgezwungen Vertragsbedingungen. Ob in der NBA oder der NFL – eine Tänzerin im offiziellen Team eines Clubs verdient pro Spiel zwischen 75 und 150 Dollar. Dabei kommt es darauf an, wie viele Jahre sie schon aktiv sind. Bei einem besonders bekannten Team einen Vertrag zu erhalten, bedeutet jedoch nicht, dass man auch besonders gut bezahlt wird. Die Los Angeles Lakers zahlen ihren Cheerleadern 75 Dollar pro Spiel und stehen damit am unteren Ende der Lohnskala. Aber immerhin haben die Basketball-Tänzerinnen einen großen Vorteil gegenüber denen im American Football: Es gibt deutlich mehr Heimspiele (Cheerleader werden nur im heimischen Stadion eingesetzt), nämlich 41 statt zehn pro Saison. Der Zeitaufwand ist jedoch groß. Zum bezahlten Tanzen bei den Spielen kommen noch das Training – mindestens zweimal pro Woche für drei Stunden – und Auftritte bei Wohltätigkeitsveranstaltungen hinzu, die mit dem Team oder dessen Eigentümer in Verbindung stehen. Alles natürlich unentgeltlich.
Die Regeln, an die sich die Cheerleader der einzelnen Teams halten müssen, waren bisher kaum bekannt. Eine ehemalige Tänzerin der Baltimore Ravens Cheerleaders – die einzige Cheertruppe der NFL, in der es auch männliche Cheerleader gibt – hat nun jedoch gegenüber der Website Deadspin.com diese Regeln offengelegt. Und die haben es in sich, denn die »Rules and Regs« für die Ravens-Cheerleader betreffen neben angemessenem Verhalten und Auftreten alle möglichen Bereichen des Cheerleaderlebens, ob privat oder in Uniform.
Der Spieltag beginnt für die Cheerleader schon fünf Stunden vor dem offiziellen Kick-off, denn dann haben sie sich im Stadion einzufinden. Der Verein sorgt in dieser Zeit für die Verpflegung der Männer und Frauen, die allerdings ihre Kabine selbst aufzuräumen haben – und auch selbst auf ihre Sachen aufpassen müssen, denn bei Diebstählen haften die Ravens nicht.
Des Weiteren sind die Cheerleader verpflichtet, zu jedem Training, allen Meetings, Anprobe- und Fototerminen anwesend zu sein, die der Verein vorgibt, Fahrtkosten werden nicht erstattet. Dafür muss ein Pfand für die Uniformen gezahlt werden: 250 Dollar (175 Dollar für männliche Cheerleader), die nur dann zurückerstattet werden, wenn die Kleidung »in gutem Zustand« zurückgegeben wird. Selbst der Teint ist vorgeschrieben, blasse Cheerleader haben zum Spiel mit »einem warmen Hautton« zu erscheinen, der entweder durch Sonnenbankbesuche oder Selbstbräuner erreicht werden kann. Die Haare sind jeweils innerhalb von zwei Wochen vor einem Heimspiel neu zu färben und in Form zu bringen – die Ravens sorgen zwar für Rabatte bei Sonnenstudios und Schönheitssalons, schreiben aber auch vor, welche zu besuchen sind. Die anfallenden Kosten tragen die Cheerleader allein.
Der lächerlich geringe Lohn von 100 Dollar pro Spiel wird nur bezahlt, wenn man sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Wer sich zweimal verspätet oder gar ohne Genehmigung einen Termin auslässt, wer zwei Kilo schwerer als zum Saisonbeginn ist oder krank wird, bekommt nichts. Wird man wegen seines Gewichts, Versäumen eines Termins oder Zuspätkommens gesperrt, muss man trotzdem im Stadion anwesend sein.
Besonders streng geregelt ist das Privatleben der Cheerleader: Es darf keinerlei privaten Kontakt zu Spielern, Trainern oder Vereinsmitarbeitern geben, dies betrifft auch Telefonate und E-Mails. Ihren Lebensunterhalt können Cheerleader zwar nicht mit dem Anfeuern des Teams bestreiten, aber ob ein Job angenommen oder behalten werden darf, entscheidet trotzdem der Verein (Kneipenjobs sind zum Beispiel während der Saison verboten, wenn Alkohol serviert wird). Wer einen Job als Model ergattert, muss den Cheerleading-Direktor des Vereins um Erlaubnis fragen – und der kann ohne weitere Begründungen ablehnen.
Die Social-Media-Accounts der Cheerleader werden ebenfalls überwacht. Wer ein Facebook-Profil hat, muss sich dort mit seinen Vorgesetzten befreunden und außerdem alle E-Mail-Adressen, die er oder sie im Zusammenhang mit Social Media verwendet, offenlegen – und laut der ehemaligen Cheerleaderin der Ravens auch die dazugehörigen Passwörter bekanntgeben.
Für bezahlte Auftritte, die vom Verein vermittelt werden, kann es bis zu 50 Dollar pro Stunde geben, wobei der Verein dem Kunden das Vierfache berechnet. Aber »mehr als 30 Auftritte pro Jahr schafft eigentlich keine«, sagt die Ex-Ravens-Cheerleaderin dazu – das ergibt also ein Jahresgehalt von bis zu 5 000 Dollar – wenn alles perfekt läuft. Ein unrealistischer Wert: Selbst für die als Elite-Cheerleader eingestuften Besserverdienerinnen der NFL liegt das durchschnittliche Jahreseinkommen bei 2 000 bis 2 500 Dollar. Zum Vergleich: Die Darsteller der Team-Maskottchen verdienen im Jahr 23 000 bis 63 000 Dollar.
Lacy T. von den Raiderettes machte im Januar den Anfang und zeigte die Oakland Raiders an, weil sie nicht den gesetzlich festgelegten Mindestlohn bezahlten, einen Monat später folgte Alexandra Brenneman von den ­Cincinnati Bengals und bezifferte den realen Stundenlohn bei den Bengals-Cheerleadern auf 2,85 Dollar. Von den Buffalo Jills entschlossen sich fünf weitere Cheerleader Mitte April zur Klage – worauf das Team die Auftritte der Cheerleader für unbestimmte Zeit aussetzte. Wohl auch, weil die Klage der fünf Frauen die Öffentlichkeit empörende Details aus dem Regelbuch enthielt. Demnach schreibt der Verein nicht nur das erlaubte Vokabular und die Farbe des Nagellacks vor, sondern auch, wie die Tänzerinnen ihre Scheide zu reinigen haben. Immerhin: Nicht alle NFL-Vereine machen bei der Cheerleaderausbeutung mit, sechs Teams hatten auch schon in der vergangenen Saison keine eigenen Tänzerinnen (oder Tänzer) an der Seitenlinie. Aus unterschiedlichsten Gründen: Die Green Bay Packers setzen beispielsweise einfach Tänzerinnen eines benachbarten Colleges ein (zu welchen Konditionen, ist noch unbekannt). Bei den Chicago Bears schaffte Virginia Halas McCaskey dagegen das Cheerleading 1985 ab, nachdem sie das Team von ihrem Vater George Halas geerbt hatte. Die neue Eignerin empfand es als »Sex-Objekte und entwürdigend für Frauen«.