Der Sieg der Viet Minh über französische Truppen 1954

Der Sieg des roten Napoleon

Der Triumph der Viet Minh über franzö­sische Truppen in Dien Bien Phu 1954 zwang Frankreich zur Aufgabe seiner ­Kolonien in Südostasien.

McDonald’s, das war auch der BBC eine Meldung wert, hat im Februar dieses Jahres seine erste Filiale in Vietnam eröffnet. In einer offiziell noch immer sozialistischen Republik mag das erstaunlich erscheinen, doch der Siegeszug des Kapitalismus ist keine neue Erscheinung. Während die vor Tageslicht geschützte einbalsamierte Leiche Ho Chi Minhs im Mausoleum in Hanoi Staub fängt, ändert sich unterm freien Himmel nur, dass neben Adidas, KFC und Coca-Cola jetzt auch McDonald’s an dem schnell wachsendem Markt partizipiert.
Das eigentlich Bemerkenswerte an diesem Debüt von McDonald’s ist, dass es nicht nur mit dem Jubiläum der Niederlage der Franzosen zusammenfällt, sondern dass die Adresse der ersten Filiale ausgerechnet Ho Chi Minh City, 2–6 Dien Bien Phu ist. Dass Frankreichs Niederlage in Dien Bien Phu den USA den Weg zur Hegemonie im Süden des Landes ebnete, dürfte allerdings nicht ausschlaggebend gewesen sein.
Während des Zweiten Weltkriegs hatte die Viet Minh (Liga für die Unabhängigkeit Vietnams) auf Seiten der Alliierten gegen Japan gekämpft. Sie vertraute auf die in Jalta von US-Präsident Franklin D. Roosevelt in Aussicht gestellte Unabhängigkeit kolonisierter Länder und wurde von den USA mit Waffen ausgerüstet. Zuversichtlich erklärte Ho Chi Minh nach der Kapitulation Japans am 2. September 1945 die Unabhängigkeit Vietnams. Er zitierte die Unabhängigkeitserklärungder USA, US-amerikanische Flugzeuge drehten eine Ehrenrunde, von der Tribüne winkten US-amerikanische Offiziere. In Vietnam war für einen Moment die Welt in Ordnung.

Der Frieden hielt jedoch nicht lange. Die französische Regierung war überzeugt, dass die Schäden des Zweiten Weltkriegs nicht ohne die Kolonien zu bewältigen seien. Für die US-Regierungen nach Roosevelt waren im beginnenden Kalten Krieg Frankreich, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und die Nato wichtiger als die Unabhängigkeitsbewegungen Südostasiens. Überdies verkannten die USA die Viet Minh als kommunistische Bedrohung, gegen die offensiv vorgegangen werden müsse. Freilich war die Viet Minh links, aber vornehmlich eine antikoloniale Befreiungsbewegung, deren Führung durchaus Sympathie für Frankreich und die USA hatte.
Mit Unterstützung der USA versuchte Frankreich, seine Kontrolle über Vietnam wiederherzustellen. Während Ho Chi Minh das Gespräch suchte, sabotierte die französische Regierung unverhohlen seine Bemühungen. Nach dem Beschuss der Stadt Hai Phong durch französische Kanonenboote am 23. November 1946, der rund 6 000 Zivilisten das Leben kostete, gab die Viet Minh schließlich resigniert den Dialog auf.
Die einzige politisch bedeutende Person, die sich bereit erklärte, einer von Frankreich ernannten Regierung vorzustehen, war Bao Dai, Kaiser der Nguyen-Dynastie. Frankreichs Kolonialkrieg wurde seit 1950 zu weiten Teilen mit Material und Finanzmitteln der USA geführt. Das aggressive militärische Vorgehen erwies sich als kontraproduktiv und stärkte die Viet Minh. Während diese nach Kriegsende 5 000 Mitglieder zählte, waren es vier Jahre später 700 000. Nachdem im Herbst 1949 in China die Maoisten die Oberhand gewonnen hatten und es der Viet Minh gelungen war, die Kontrolle über alle Grenzregionen zu China zu gewinnen, konnte sie aus dem Norden ungestört Material entgegenzunehmen, was den Druck auf die Franzosen erhöhte. Bis zum Jahresende 1952 hatten die Franzosen über 90 000 Gefangene, Verwundete und Tote zu beklagen.
General Henri Navarre suchte den Ausweg darin, der Viet Minh, die überwiegend mit Guerillataktiken vorging, eine konventionelle Schlacht aufzuzwingen. In einer Befestigungsanlage bei dem Dorf Dien Bien Phu machte er 1954 den scheinbar richtigen Ort dafür aus. Für Navarres Wahl war das Kalkül ausschlaggebend, dass er durch die Verdichtung seiner Truppen an der Grenze zu Laos die Zusammenarbeit der nationalen Befreiungsbewegungen auf beiden Seiten der Grenze, der Pathet Lao und der Viet Minh, erheblich beeinträchtigen könne und dass es den Viet Minh nicht gelingen würde, schweres militärisches Gerät in den umliegenden Bergen zu platzieren.
Von den Franzosen unbemerkt, zogen jedoch in einer logistischen und taktischen Meisterleistung, die General Vo Nguyen Giap zugesprochen wird, annähernd 100 000 Zivilisten Artillerie und Munition die Berge hinauf. Sie legten ein komplexes Netz aus Schächten und Tunneln an, in denen Geschütze und Soldaten bewegt und in Deckung gebracht werden konnten. Die französischen Außenposten Na San und Lai Chau, die als Teil eines Sperrgürtels dienen sollten, fielen bereits 1953, womit der Versuch, die laotischen von den vietnamesischen Truppen zu isolieren, schon im Ansatz gescheitert war.

Im Februar 1954 detonierten im französischen Lager das erste Mal Artilleriegeschosse der Viet Minh. Die Verteidigungsanlagen waren nicht für den Beschuss mit schwerer Artillerie ausgestattet, hinter Sandsäcken erwartete man Infanterieangriffe. Das Gegenfeuer schlug ins Leere, denn die Viet Minh täuschte mit Pyrokörpern die Franzosen über die eigene Position. Bald waren die etwa 16 000 französischen Soldaten, unter ihnen viele deutsche Fremdenlegionäre, von einem zahlenmäßig überlegenen Gegner eingeschlossen.
Nach Zerstörung der französischen Landebahn musste der Nachschub per Fallschirm abgeworfen werden. Nach wenigen Tagen brach die Versorgung der verwundeten Soldaten zusammen. Am 13. März verstärkte die Viet Minh ihre Angriffe, zwei der drei in der Ebene stationierten Artillerieposten fielen binnen zweier Tage. Der französische Posten Anne Marie wurde hauptsächlich von Soldaten aus Thailand verteidigt. Nach intensivem Beschuss boten ihnen die Viet Minh via Megaphon freies Geleit an – und sie zogen ab. Als er erkannte, dass die französische Artillerie den Viet Minh nichts entgegensetzen konnte, zog sich der Kommandant der französischen Artillerie, Charles Piroth, in seinen Bunker zurück, befestigte an seiner Hüfte eine Handgranate und nahm sich das Leben.
Von den USA entsandte B-26-Bomber konnten die französische Niederlage nicht abwenden. Bei den französisch-amerikanischen Beratungen wurde sogar ein Atomschlag in Erwägung gezogen, doch erschien das politische Risiko zu hoch, zumal es von Verbündeten wie Großbritannien keine Unterstützung für eine solche Eskalation gab. Am 7. Mai 1954, nach einer 55 Tage dauernden Einkesselung, kapitulierten die aufgeriebenen französischen Truppen.
In der darauf folgenden Indochina-Konferenz in Genf spiegelte sich der militärische Triumph der Viet Minh, »Frankreichs Stalingrad«, so Die Zeit, in keiner Weise wider. Entlang des 17. Breitengrades wurde das Land in die Demokratische Republik Vietnam im Norden und die Republik Vietnam im Süden geteilt. Die US-Regierung übernahm eine Garantie für die Sicherheit Südvietnams, Laos’ und Kambodschas. Für 1956 wurden freie Wahlen in ganz Vietnam vereinbart, die die Wiederverei­nigung vorbereiten sollten. Sie wurden jedoch von der Regierung im Süden und den USA verhindert, da kein Zweifel daran bestand, dass Ho Chi Minh die Mehrheit erhalten würde.
Während des US-Einsatzes in Vietnam war Dien Bien Phu eine ständige Bedrohung. Als General Giap 1968 in Khe Sanh eine vergleichbare US-amerikanische Stellung mit Truppen angriff, die auch an den Kämpfen in Dien Bien Phu beteiligt waren, veranlasste Präsident Lyndon B. Johnson die dichteste Bombardierung des 20. Jahrhunderts. Es brauchte Tage, bis seine Regierung das eigentliche Ereignis erkannte: Die Tet-Offensive, deren Ziel nicht zuletzt die US-Botschaft in Saigon war und die letztlich zur »Vietnamisierung« des Krieges, dem Abzug der amerikanischen Kampftruppen, führte. Das Regime im Süden sollte jedoch erst 1975 zusammenbrechen. Nach 30 Jahren Krieg kehrte Frieden ein, 1976 wurde Vietnam wiedervereinigt.

Der über Vietnam hinaus populäre Stratege der Schlacht, Vo Nguyen Giap, nimmt in der Geschichte einen Platz als »Napoleon des Ostens«, oder, wie im Magazin der regierungseigenen Vietnam Airlines, als »roter Napoleon« ein. 2013, ein Jahr vor dem 60. Jubiläum der Schlacht in Dien Bien Phu, ist er im Alter von 102 Jahren gestorben. Er gilt mittlerweile weniger als sozialistischer Revolutionär denn als Nationalheld und wird neben spirituelle Größen gestellt. Auf den Märkten kann man bereits neben Buddha-Darstellungen sein Poträt als Vexierbild erwerben. Wenn man die Perspektive wechselt, erscheint Ho Chi Minh.
Zu dem Wenigen, das deutlich daran erinnert, dass man sich in Vietnam in einer Sozialistischen Republik befindet, gehört die Informationspolitik. Mit einem Netz im öffentlichen Raum montierter Lautsprecher kann die Partei jeden Vietnamesen erreichen. Werbung dominiert zwar, aber es lassen sich auch noch zahlreiche sozialistische Poster und Banner finden. Ho Chi Minhs Parole »Es gibt nichts Wichtigeres als Unabhängigkeit und Freiheit« ist über Tausenden von Straßeneinfahrten angebracht. Für unverheiratete Männer und Frauen hat dies längst eine eigene Bedeutung angenommen.
Während der Jahrestag des Sieges von Dien Bien Phu näherrückt, steht der 84. Jahrestag der Kommunistischen Partei im Vordergrund der Propaganda. Langsam kommen Darstellungen hinzu, die an die Befreiung Saigons erinnern, die sich am 30. April zum 39. Mal jährt. Der erste Sieg einer antikolonialen Bewegung über eine moderne westliche Armee in der konventionellen Kriegführung markiert das Ende einer Ära, war für Vietnam aber möglicherweise nur eine Zäsur im längsten Krieg des 20. Jahrhunderts. Wichtiger als das Gedenken an den Sieg über die Franzosen scheint die Erinnerung daran zu sein, dass die Partei zwar alt, aber immer noch da ist.