Die deutsche Prohibitionspolitik

Die Politik kommt nicht klar

Rechtsprofessoren sprechen sich für die Legalisierung von Cannabis aus, Drug­checking-Projekte und der Vorschlag, einen Coffeeshop in Berlin zu eröffnen, ­zeigen, dass Drogenlegalisierung kein gesellschaftliches Tabu mehr ist. Die Politik hält jedoch an der Prohibition fest.

Das Thema Drogenlegalisierung hat dieser Tage erneut Konjunktur. Auslöser ist ein »Manifest« von 122 Professorinnen und Professoren des Schildower Kreises, einer Vereinigung von Strafrechtswissenschaftlern, die sich dem Kampf gegen die Drogenprohibition verschrieben haben. Darin fordern die Unterzeichner eine »ideologiefreie« Reform der Gesetzgebung.
Deutschlands Betäubungsmittelgesetz ist immer noch sehr restriktiv. Während man in den Niederlanden längst ungezwungen vor sich hin pafft, lockern immer mehr europäische Staaten die Abgabe von Rauschmitteln. Selbst die USA, in denen man ein Bier erst ab 21 Jahren trinken darf, haben begonnen, ihre Drogenpolitik zu verändern. In mehreren US-Bundesstaaten ist der Gebrauch von Cannabis zu medizinischen Zwecken legal, in Washington und Colorado darf man sogar aus Privatvergnügen zum Joint greifen.
»Wir sind der Meinung, dass Cannabis als Droge eingestuft werden muss«, sagte Angela Merkel 2011 in einem Interview mit Spiegel Online. »Das bedeutet, dass auch der Konsum von geringen Mengen sehr, sehr hohe Abhängigkeiten schaffen kann«, so Merkel weiter. Der Konsum von Alkohol und Tabak sei natürlich etwas ganz anderes, denn: »Bei Alkohol und Zigaretten ist ein vernünftiger, begrenzter Umfang nicht sofort so suchtgefährdend, wie das bei Cannabis unserer Auffassung nach ist.« Alkohol habe schließlich auch etwas »mit einer Tradition zu tun«.
Angesichts von rund zwei Millionen Cannabis-Konsumenten, denen knapp zehn Millionen Risiko-Trinker gegenüberstehen, von denen jährlich 74 000 an den Folgen ihres Konsums sterben, platzt so manchem Experten der Kragen. Ein Todesfall durch eine »Überdosis Hasch« ist bislang wohl nur aus Götz Widmanns Song »Hank starb an einer Überdosis Hasch« bekannt.
Da hilft es auch nicht, dass Sensationsmedien Anfang des Jahres triumphierend verkündeten, der »Tod durch Cannabis« sei zum ersten Mal nachgewiesen worden – und zwar von deutschen Wissenschaftlern. In Düsseldorf habe es die ersten »Hasch-Toten« gegeben: Zwei junge, gesunde und sportliche Männer, deren unerklärlicher, plötzlicher Tod schließlich damit begründet wurde, dass die beiden kurz zuvor gekifft hätten. Beweisen ließ sich ein Zusammenhang nicht, viele deutsche Forensiker sprachen von einem Zufall.
Die Expertinnen und Experten des Schildower Kreises drängen nun auf eine rasche Gesetzesreform, auch wenn sie eher strafrechtlich als medizinisch argumentieren. Eine Prohibition sei aus mehreren Gründen falsch: »Normales jugendliches Experimentierverhalten wird kriminalisiert und das Erlernen von Drogenmündigkeit erschwert. Junge Menschen werden dauerhaft stigmatisiert und ihre Lebenschancen werden gemindert«, heißt es in ihrem Manifest. Auch die Ökonomie leide darunter: »Der Schwarzmarkt generiert eine extreme und globalisierte Schattenwirtschaft mit weiterer Folgekriminalität und destabilisierenden Auswirkungen auf globale Finanzmärkte ebenso wie nationale Volkswirtschaften.«
Der Schwarzmarkt führe mitunter gar zu Mord und Totschlag. So erfolge die Finanzierung des »Taliban-Terrorismus in und aus Afghanistan« vor allem durch den Schwarzmarkthandel mit Heroin und Haschisch. Auch im mexikanischen Drogenkrieg fielen Tausende Menschen den Kartellkämpfen um Riesengewinne aus dem Schwarzmarkt zum Opfer. All dies veranlasst den Schildower Kreis zu der etwas sperrig formulierten Weisung: »Sowohl aus strafrechtswissenschaftlicher Sicht als auch aufgrund empirischer Forschungsergebnisse besteht die dringende Notwendigkeit, die Geeignetheit, Erforderlichkeit und normative Angemessenheit des Betäubungsmittelstrafrechts zu überprüfen und gegebenenfalls Vorschläge zu Gesetzesänderungen aus solcher Evaluation abzuleiten.«

Jost Leßmann begrüßt das Manifest. Er ist im Bundesvorstand der »Grünen Hilfe« aktiv, die zu den Unterzeichnern gehört. »Das Manifest beschreibt die Ursachen und Probleme der Prohibition und zeichnet legale Wege in der alternativen Drogenpolitik auf«, sagt Leßmann der Jungle World. »Eine ideologiefreie und wissenschaftliche Überprüfung von Schaden und Nutzen der aktuellen Drogenpolitik ist längst überfällig.«
Doch von einer Freigabe ist man in Deutschland noch weit entfernt. Selbst das sogenannte Drugchecking kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die Idee des Druchecking, das von einigen Initiativen angeboten wird, ist, den »Stoff« der Konsumentinnen und Konsumenten vor dem Gebrauch zu überprüfen, um gesundheitlichen Schäden vorzubeugen. Dabei geht es um die Frage: Was, und wie viel von was, ist drin? Ist die Probe verunreinigt?
Ende vergangenen Jahres wurde in einer Sitzung des Gesundheitsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses über diese Praxis debattiert. Als Experte trug unter anderem Tibor Harrach (siehe Seite 4) von der Drugchecking-Initiative Berlin-Brandenburg seinen Standpunkt vor. Für ihre Arbeit wurde die Initiative mehrfach vor Gericht gebracht. »Wir hatten Probleme mit den Strafverfolgungsbehörden, als wir Drugchecking durchgeführt haben, und es gab Gerichtsverhandlungen beziehungsweise das Ansinnen nach Gerichtsverhandlungen. Wir haben in beiden Instanzen gewonnen. Die Gerichte haben gesagt, Drugchecking steht nicht im Widerspruch zum aktuellen Betäubungsmittelgesetz«, sagte Harrach vor dem Ausschuss. In der gleichen Anhörung trug auch Heike Drees vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ihre Position vor. Sie sprach im Namen aller Wohlfahrtsverbände in Berlin. Auch sie kritisiert die Kriminalisierung von Konsumentinnen und Konsumenten. »Das Dilemma der Suchthilfe besteht häufig darin, und das erleben wir auch bei uns im Paritätischen Wohlfahrtsverband, dass es erbitterte Auseinandersetzungen zwischen der akzeptierenden Suchtarbeit und der abstinenz­orientierten Suchtarbeit gibt.« Ersteres meint etwa die Abgabe frischer Spritzen und den betreuten Konsum in Suchträumen. Vor allem die HIV-Epidemie habe zu einer größeren Aufgeschlossenheit gegenüber der akzeptierenden Suchthilfe geführt. Ihr Fazit: »Die Zahl der Drogentoten hat sich in Berlin seit Einführung der Drogenkonsumräume reduziert.«

In Berlin hat sich die Legalisierungsdebatte vor allem auf das vermeintliche Problem mit Dealern im und am Görlitzer Park in Kreuzberg konzentriert. Dort stehen sich täglich zahlreiche junge Männer die Beine in den Bauch, stets auf der Suche nach Kundschaft. Manche Anwohnerinnen und Anwohner empfinden dies als belästigend, insbesondere in den späten Abendstunden. Vor allem Frauen meiden den Park mittlerweile ganz. Rassistische Untertöne begleiten immer wieder die Debatte, handelt es sich bei den Dealern doch überwiegend um Menschen afrikanischer Herkunft.

Um der Lage Herr zu werden, entschloss sich die Berliner Lokalpolitik zu einem ungewöhnlichen Schritt: Ende vergangenen Jahres hat die Bezirksregierung von Friedrichshain-Kreuzberg beschlossen, einen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung für einen Coffeeshop am Görlitzer Park zu stellen. Dies sollte ein sauberes Angebot gewährleisten und den illegalen Handel reduzieren. Dass die Ausnahmegenehmigung erteilt wird, ist jedoch unwahrscheinlich.
Das Antiprohibitionsmanifest benennt, welche Vorteile der staatlich kontrollierter Verkauf haben könnte: »Jedes Jahr werden Milliardenbeträge für die Strafverfolgung aufgewendet, welche sinnvoller für Prävention und Gesundheitsfürsorge eingesetzt werden könnten«, heißt es im Text. Der Staat verzichte »auf Steuereinnahmen, die er bei einem legalen Angebot hätte«. Der Kampf wider den Konsum sei ohnehin ein Kampf gegen Windmühlen. »Prohibition schreckt zwar einige Menschen ab, verhindert aber Aufklärung und vergrößert gleichzeitig dramatisch die gesundheit­lichen und sozialen Schäden für diejenigen, die nicht abstinent leben wollen. Selbst in totalitären Regimen und Strafanstalten kann Drogenkonsum nicht verhindert werden.« Auch Jost Leßmann ist sich sicher: »Die Prohibition ist teuer und schädlich für die Konsumenten. Der Staat darf die Bürgerinnen nicht schädigen und dieses tut er durch die Prohibition.«
Überhaupt sei es ein Irrglaube, dass Drogenkonsumenten per se unter ihrem Konsum leiden, argumentieren die Strafrechtler vom Schildower Kreis: »Die überwiegende Zahl der Drogenkonsumenten lebt ein normales Leben. Selbst abhängige Konsumenten bleiben oftmals sozial integriert.« Dieser oft unproblematische Umgang mit Rauschmitteln werde aber gerade durch die Kriminalisierung ad absurdum geführt. »Konsumenten werden diskriminiert, strafrechtlich verfolgt und in kriminelle Karrieren getrieben. Weil es sich um ›opferlose‹ Kontrolldelikte handelt, welche lediglich proaktiv – und damit Unterschichtangehörige und Migranten benachteiligend – verfolgt werden.«