Die weltweite Entkriminalisierung des Cannabis-Konsums

Quit the shit

Es geht auch anders als in Deutschland. Weltweit wird Cannabis entkriminalisiert oder sogar legalisiert, in Spanien nehmen Kiffer die Legalisierung selbst in die Hand.

Viele Studien belegen das Scheitern des war on drugs, internationale Kommissionen plädieren für ein Ende der Repression und vom Economist über die Süddeutsche Zeitung bis hin zur FAZ (»Machen wir Frieden mit den Drogen«) wird ein Umdenken gefordert. Auf der Homepage der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), hingegen kann man zum Thema Cannabis lesen: »Warum eine Legalisierung nicht vertretbar ist«. Noch immer bestimmt die realitätsferne Parole »Keine Macht den Drogen« die Gesundheitspolitik Deutschlands, das beim Alkoholkonsum auf Platz fünf in der EU steht. Indessen haben nach Angaben des Gesundheitsminis­teriums im Jahr 2011 40 Prozent der 18- bis 25jährigen mindestens einmal Marihuana geraucht.
In anderen Teilen der Welt ist man da längst einige Schritte weiter: Mittlerweile erlauben 20 US-Bundesstaaten den Handel mit medical marijuana. Colorado und Washington haben Marihuana zu Beginn dieses Jahres sogar komplett legalisiert, in der Nähe von Denver ist bereits der erste Gras-Automat in Planung. Anstatt die Nationalgarde zu schicken – schließlich ist Marihuana den US-Gesetzen zufolge weiterhin illegal –, sagte Präsident Barack Obama, Kiffen sei schließlich nicht schlimmer als Alkohol.
In Lateinamerika wird ebenfalls bereits seit geraumer Zeit offen über eine alternative Drogenpolitik diskutiert, um der extremen Gewalt, die der Drogenhandel und der Krieg gegen die Drogen gleichermaßen zu verantworten haben, ein Ende zu setzen. Neben vielfachen kleineren Reformen zur Entkriminalisierung beginnt noch in diesem Jahr in Uruguay ein bisher weltweit einmaliges Experiment. Dort ist es der Staat selbst, der Cannabis anbaut, erntet und verkauft. Präsident José Mujica sieht darin keineswegs ein Allheilmittel, sondern ein »soziopolitisches Experiment«. Niemand solle zum Konsum angeregt werden, aber der Markt existiere längst und es nütze nichts, die Augen davor zu verschließen, so der ehemalige Guerillero.
Die jüngsten Reformen in Nord- und Südamerika zeigen, dass es auch anders geht als in Deutschland. Und sie sind zudem weit über das europäische Vorzeigemodell Niederlande hinausgegangen. Dort ist der Handel zwar geduldet, aber keineswegs legalisiert, was die Zulieferer der Coffeeshops weiterhin in die Illegalität zwingt und dem Schwarzmarkt zuarbeitet. Die Niederlande sind hinsichtlich der Beschlagnahme und Vernichtung von Cannabispflanzen einsamer Spitzenreiter in Europa. Aber selbst von einer Duldung nach niederländischem Modell ist man in Deutschland weit entfernt.
Vor allem das Beispiel Portugal zeigt den gesellschaftlichen Nutzen einer Entkriminalisierung. Im Juli 2001 wurde dort die Eigenbedarfsmenge sämtlicher Drogen entkriminalisiert, der Besitz wird seitdem als Ordnungswidrigkeit gewertet. Als straffreie Menge wurde eine Zehn-Tages-Ration veranschlagt, wobei der Gesetzgeber in diesem Fall durchaus konsumentenfreundlich gehandelt hat: 25 Gramm Marihuana, zwei Gramm Kokain sowie jeweils ein Gramm harter beziehungsweise chemischer Drogen. Mittlerweile läuft das Projekt im 13. Jahr und selbst die UN-Drogenbehörde, die sich dem war on drugs verschrieben hat und gegen alle Liberalisierungsbestrebungen erbittert ankämpft, musste 2009 feststellen: »Es scheint, als hätten sich eine Reihe von drogenbezogenen Problemen verringert.« Durch die Entkriminalisierung entstand weder ein großer Drogentourismus nach Portugal noch begannen plötzlich die jungen Portugiesen, sich mit Drogen vollzupumpen. Ganz im Gegenteil hat der durchschnittliche Drogenverbrauch abgenommen. Die Zahl der Drogentoten hat sich seit der Liberalisierung fast halbiert, ebenso sind die Neuinfektionen mit HIV bei Heroinabhängigen stark gesunken.

Ein anderer Weg wurde in Spanien eingeschlagen. Dort ist in den vergangenen Jahren eine neue soziale Bewegung entstanden, die die Legalisierung von Cannabis von unten durchsetzt. Seit mehreren Jahren verbreiten sich in Spanien sogenannte Clubs Sociales de Cannabis (CSC), Raucherclubs für Kiffer. Die Zentren der Kifferbewegung sind das Baskenland und Katalonien. Das Prinzip ist einfach: In Spanien gibt es zwar keine offizielle Eigenbedarfsmenge, jedoch werden Verfahren wegen ein paar Gramm in der Regel eingestellt. Auf dieser de facto straffreien Menge fußen die Clubs, in denen sich Konsumenten zu einem gemeinnützigen eingetragenen Verein zusammenschließen. Sie rechnen den geduldeten Eigenbedarf all ihrer Mitglieder hoch, bauen in diesem Rahmen eigenständig Gras an und geben die Ernte zum Selbstkostenpreis an ihre Mitglieder ab. Mitgliedsbeiträge ebenso wie die Grammpreise dienen ausschließlich der Deckung laufender Kosten, penibel wird über jeden Einkauf, die gelagerte Menge sowie Produktion und Verkauf Buch geführt.
Ohne Einladung eines Mitglieds und ohne Personalausweis hat man in der Regel keine Chance, in einen Kifferclub zu gelangen. Ist man einmal drin, kann man zwischen verschiedenen Hasch- und Grassorten auswählen, neueste Kreationen werden angepriesen, bisweilen gibt es ein Tagesmenu mit wechselnder »Speisekarte«. Die Clubs bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone, hin und wieder werden Razzien und Kontrollen durchgeführt. Bisher haben die Vereine im Nachhinein aber immer Recht bekommen. Die Clubs haben sich mittlerweile zu einem Selbstläufer entwickelt. Die FEDCAC, ein Zusammenschluss katalanischer Cannabis-Clubs, spricht von über 300 Vereinen allein in Katalonien, die an die 165 000 Konsumenten versorgten.
Alleine der Club ABCDA im Hafenviertel Barceloneta hat mehrere Tausend Mitglieder. Die täglichen Umsätze eines solchen Ladens lassen sich leicht ausrechnen. Um diesen Bedarf zu decken und die öffentliche Diskussion voranzutreiben, wollte dieser Verein vor zwei Jahren in dem kleinen katalanischen Dorf Rasquera eine Plantage in der Größe von zehn Fußballfeldern anlegen. Nach langen Diskussionen stimmte der Stadtrat dem Vertrag zu, der dem von der Wirtschaftskrise geplagten Dorf 650 000 Euro Pacht pro Jahr und rund 40 Arbeitsplätze einbringen sollte. Das ungewöhnliche Sanierungsprojekt wurde vergangenes Jahr von einem Gericht gestoppt.
Aber die Cannabis-Clubs sind längst etabliert. Miguel, der in Barcelona beim Verein Associació Lliure Antiprohibicionista tätig ist, erklärt die Taktik folgendermaßen: »In Holland wurde so lange Druck ausgeübt, bis die Gesetze geändert wurden. Dann kamen die Coffeeshops. Wir machen es andersherum. Wir schaffen Tatsachen und zwingen so die Politik zum Handeln.« Die Taktik scheint aufzugehen. Die katalanische Regionalregierung hat angekündigt, für die Clubs noch vor Juni eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Auch im Baskenland und auf den Balearen wird dies derzeit im Parlament diskutiert.

In anderen Ländern gibt es bereits die ersten Nachahmer, mehrere Städte in der Schweiz erwägen, das System der Cannabis-Clubs auch bei ihnen einzuführen. Der Zusammenschluss European Coalition for Just and Effective Drug Policies (ENCOD) hat ein Handbuch zur Gründung von CSCs veröffentlicht, das mittlerweile in sechs Sprachen vorliegt.
Eine allgemeine Liberalisierung wird wohl weniger Folge eines Umdenkens sein als vielmehr der Einsicht in die marktwirtschaftliche Notwendigkeit. Denn der Handel mit bisher illegalen Drogen ist ein riesiges Geschäft. Mit einem Handelsvolumen von geschätzten 500 Milliarden Euro übersteigt der illegale Drogenmarkt das globale Geschäft mit Tabak, Kaffee und Alkohol. Sollten sich weitere Staaten ein Beispiel an Uruguay nehmen, werden andere schnell mitziehen müssen, wollen sie nicht in dem neu entstehenden Wettbewerb das Nachsehen haben. Längst bereiten sich Geschäftsleute großer Unternehmen ebenso wie der organisierten Kriminalität darauf vor, im Falle einer Legalisierung die beste Marktposition zu besetzen. Mit Tweed Marijuana Inc., einem kanadischen Produzenten von medical marijuana, ist seit einem Monat das erste Gras-Unternehmen an der Börse. Der ehemalige Microsoft-Manager Jamen Shively verkündete jüngst im Magazin Business Punk, er wolle der größte Grasdealer der Welt werden, und sprach von einem »grünen Goldrausch«, der begonnen habe. Vielleicht führt so irgendwann die blinde Dynamik des Marktes zu der Liberalisierung, die mit rationalen Argumenten nicht zu erreichen war. Und würde sich das Modell der Cannabis-Clubs durchsetzen, wäre die Produktion sogar tatsächlich einmal an den Bedürfnissen und nicht am Profit ausgerichtet.