Rechtsextreme Bürgermeister in französischen Städten

Amtliche Nazis

Seit den Kommunalwahlen werden mehrere französische Städte von rechtsextremen Bürgermeistern regiert. Sie setzen auf Einsparungen und ideologische Reizthemen.

Was soll man mit den »eroberten« Rathäusern anfangen, welche Politik in ihnen verfolgen, um welche Außenwirkung zu erzielen? Mit solchen Fragen beschäftigt sich derzeit Frankreichs extreme Rechte, seit sie 15 Kommunalregierungen stellt. Dabei versucht sie, die Fehler der jüngeren Vergangenheit zu vermeiden. In den neunziger Jahren konnte sie schon einmal auf kommunaler Ebene regieren, ihr Ruf war nach der Amtszeit allerdings ramponiert.
Aus den französischen Rathauswahlen von Ende März sind ein gutes Dutzend Neofaschisten als Bürgermeister hervorgegangen. Zehn von ihnen gehören dem Front National (FN) an, der stärksten Partei der extremen Rechten in Frankreich. Ein elfter wurde als Spitzenkandidat auf einer Liste mit Unterstützung des FN gewählt, ein Parteibuch besitzt er jedoch nicht. Es handelt sich um Robert Ménard im südfranzösischen Béziers. Vier weitere Kommunen werden von einer anderen rechtsextremen Partei regiert, der Regionalpartei Ligue du Sud, deren Vorsitz Jacques Bompard innehat, der langjährige Bürgermeister von Orange.

Erfahrungsgemäß konzentriert sich die rechtsextreme Kommunalpolitik auf drei Aspekte. Einerseits geht es um die Verbreitung und Umsetzung der rechtsextremen Ideologie. Hierfür liefert etwa die kommunale Kulturpolitik Spielräume. In Vitrolles, wo die rechtsextreme Bürgermeisterin Catherine Mégret von 1997 bis 2002 amtierte, wurden dabei auch gesetzwidrige Beschlüsse gefällt, etwa mit der Einführung einer »Geburtenprämie« in Höhe von 5 000 Franc, die ausschließlich »europäischen Eltern« vorbehalten sein sollte. Die Geburtenprämie wurde zwar innerhalb weniger Wochen vom Verwaltungsgericht kassiert, doch die rechtsextreme Stadtregierung zeigte sich davon wenig beeindruckt. Sie befand, die Justiz habe damit lediglich bewiesen, »dass die Gesetze schlecht sind und deswegen auf nationaler Ebene geändert werden müssen«.
Zudem bemühen sich rechtsextreme Kommunalpolitiker darum, »Normalität« zu demonstrieren und – im bürgerlichen Sinne – die Politikfähigkeit ihrer jeweiligen Partei  unter Beweis zu stellen. Zu einer solchen Ausrichtung gehört es, sich auch auf traditionelle Themen von Wirtschaftsliberalen oder Konservativen wie kommunale Steuersenkungen zu konzentrieren. Allerdings schadet dem Bemühen um Normalität, dass auch rechtsextreme Politiker oft der Versuchung erliegen, sich zu bereichern.

Rechtsextreme Kommunalpolitiker, die von 1995 bis 2001 in Toulon regierten, wurden mehrfach wegen Korruption und Vetternwirtschaft verurteilt. Wenige Tage vor den diesjährigen Kommunalwahlen behauptete die Vorsitzende des FN, Marine Le Pen, in einem Radiointerview, ihre Partei habe »aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt«. Heute strebe sie danach, eventuelle Selbstbedienungstendenzen bei ihren örtlichen Funktionären zu kontrollieren.
Sparbeschlüsse sind bei rechtsextremen Kommunalregierungen derzeit ohnehin beliebt. In Hénin-Beaumont, einer ehemaligen Bergarbeiterstadt in Nordostfrankreich, in der der FN bereits den ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit gewann, verkündete Bürgermeister Steeve Briois, ab 2015 würde kräftig gespart. Schon jetzt wurde die Wohnsteuer, die in Frankreich einmal im Jahr für den Erstwohnsitz entrichtet werden muss, um zehn Prozent gesenkt, gegen die erklärte Auffassung des Rechnungshofs, der geltend gemacht hatte, die Kommune sei bereits mit über 30 Millionen Euro verschuldet. Briois sagte, er werde »an geeigneter Stelle nach Subventionen suchen«. Dabei ließ er durchblicken, dass es sich um EU-Gelder handeln könnte. Üblicherweise agitiert die extreme Rechte gegen Subventionen der öffentlichen Hand und erst recht gegen die EU, aber wenn es um die Finanzierung der eigenen Kommunalpolitik geht, scheint das keine Rolle zu spielen.
Die neue Stadtverwaltung von Hénin-Beaumont sorgte für Aufsehen, als sie am 8. April der Liga für Menschenrechte (LDH) – einer traditionsreichen Vereinigung, die in Frankreich seit 1898 besteht und aufgrund der Dreyfus-Affäre gegründet wurde – den bis dahin kostenlos genutzten städtischen Raum von 20 Quadratmetern entzog. Auch der stets die Aufmerksamkeit der Medien heischende Anwalt Gilbert Collard, der seit zwei Jahren für den FN in der französischen Nationalversammlung sitzt, kritisierte die Maßnahme: Sie gebe »nur denjenigen Nahrung, die uns in eine faschistische Ecke drängen wollen«. Besser wäre es ihm zufolge gewesen, der LDH künftig eine Miete abzuknöpfen. Stattdessen will das Rathaus unter Briois nun vor Gericht eine nachträgliche Mietzahlung in Höhe von 36 000 Euro erstreiten.

Aufmerksamkeit erregt die rechtsextreme Kommunalpolitik, wenn sie sie auf ideologische Reiz­themen setzt. Am 4. April, nur eine Woche nach den Stichwahlen um die Rathäuser, verkündete Marine Le Pen, dass in den Schulkantinen an Tagen, an denen Schweinefleisch auf den Speisekarten steht, keine »Ersatzmahlzeiten« – die etwa von Kindern muslimischer Eltern, aber auch jüdischer oder vegetarischer Familien in Anspruch genommen werden – mehr serviert werden sollen. Sofern das zum faktischen Ausschluss solcher Kinder von den Schulmahlzeiten führt, wäre es wohl ungesetzlich. Unterdessen äußerten sich andere Parteifunktionäre unterschiedlich zum Thema. Florian Philippot, der stellvertretende Parteivorsitzende, erklärte, es gehe nur darum, »Verbote zu verbieten«, also zum Schweinefleischessen gewillte Kinder nicht – aus Rücksicht auf religiöse Gebote anderer – davon abzuhalten. Aber dies geschieht ohnehin nicht, weil es schlicht gesetzwidrig wäre.
In Villers-Cottêrets verabschiedete sich der FN-Bürgermeister Frank Briffaut ebenfalls von einer Tradition. Seine rund 10 000 Einwohner zählende Stadt in der Picardie ist unter anderem dadurch bekannt, dass dort 1806 General Thomas Alexandre Dumas verstarb. General Dumas, der Vater des berühmten Schriftstellers Alexandre Dumas, war 1762 als Sklave in der damaligen französischen Besitzung Saint-Domingue – heute Haiti – geboren worden. Er war der erste schwarze General in der französischen Armee.
Seit einem Jahrzehnt wurden in Villers-Cotterêts alljährlich Gedenkfeiern für die Abschaffung der Sklaverei am 10. Mai und am 23. Mai organisiert. In diesem Jahr jedoch sagte der neue Bürgermeister vom FN diese städtischen Feierlichkeiten ab. Denn diese verkörperten »eine modische Form der nationalen Selbstanklage, des dauernden Weckens von Schuldgefühlen, während anderswo auf der Welt die Sklaverei auch heute noch existiert«.
Diese Entscheidung stieß jedoch auf Widerspruch. Zivilgesellschaftliche und antirassistische Gruppen forderten dazu auf, am Samstag auch ohne den Bürgermeister ein Gedenken in der Stadt abzuhalten, und organisierten dafür Zug- und Busfahrten von Teilnehmern aus Paris.
Aber auch innerhalb der extremen Rechten kommt es bereits zu Spannungen, wie im Bezirksrathaus im 7. Sektor von Marseille, der zwei ärmere Nordbezirke der Mittelmeermetropole umfasst. Eine Beisitzerin des dortigen FN-Bürgermeisters Stéphane Ravier hatte im Bezirksrathaus am 14. April als zuständige Standesbeamtin eine Eheschließung zwischen zwei schwulen Männern vorgenommen. Die katholisch-reaktionäre Vereinigung AGRIF unter dem ehemaligen FN-Mitglied und früheren Europaparlamentarier Bernard Antony protestierte energisch.