Politik und Boxsport in Kuba

Aufwärtshaken in HD-Qualität

Kubas Boxer stehen im Finale der World Boxing Series – im Viertelfinale hatten sie im ersten Aufeinandertreffen seit 27 Jahren die USA geschlagen.

Wenn Kuba und die USA im Sport aufeinandertreffen, geht es immer um mehr als den eigentlichen Wettkampf. Nach 27 Jahren traten die Boxstaffeln der beiden Nationen nun in Kuba erstmals wieder gegeneinander an. Anfang April waren die Erwartungen entsprechend hoch, als im Viertelfinale der halbprofessionellen World Series of Boxing (WSB) die Cuba Domadores (Dompteure) auf die USA Knockouts trafen. Die WBS ist eine Art Box-Champions-League für Nationalmannschaften, die vom Weltboxverband AIBA organisiert wird. 16 000 Zuschauer wollten die Kämpfe in der Ciudad Deportiva in Kubas Hauptstadt Havanna sehen – und das obwohl gleichzeitig, nur einen Steinwurf entfernt, das lokale Baseballteam um den Einzug ins Playoff-Finale der nationalen Meisterschaft spielte.
Das Drumherum unterschied sich kaum davon, wie Boxveranstaltungen in westlichen Ländern präsentiert werden: Laute Musik, maschinell produzierter Nebel und eine Lightshow begleiteten den Einlauf der Faustkämpfer; in den Ringpausen stolzierten leicht bekleidete Nummerngirls mit großen Tafeln, auf denen die jeweilige Runde angezeigt wurde, durch den Ring, und auf Flachbildschirmen liefen Wiederholungen von Jabs und Aufwärtshaken. Das kubanische Fernsehen übertrug live und erstmals in seiner Geschichte in HD-Qualität. Auch wenn nur ein kleiner Teil der Fernsehzuschauer davon etwas mitbekommen haben dürfte – auf Kuba sind Röhrenfernseher noch weit verbreitet.
Als das »aufregendste Boxduell des Jahrzehnts« hatte der Weltboxverband den Vergleich zwischen Kuba und den USA angekündigt und AIBA-Präsident Dr. Ching-Kuo Wu sprach gar von einem »Meilenstein nicht nur in der Geschichte der WSB, sondern in der Geschichte des Boxsports als Ganzes«. Das war vielleicht etwas zu vollmundig, zumal die USA Knockouts mit einem schwedischen Boxer, zwei Venezolanern und einem Brasilianer – die Teams können relativ frei Boxer verpflichten – ein eher internationales denn ein US-amerikanisches Team in den Ring schickten. Immerhin wurden sie von Pedro Roque, einem früheren kubanischen Auswahlcoach betreut, was dem Ganzen dann doch wieder etwas Brisanz verlieh. Gegen das mit Olympiasiegern und WM-Medaillengewinnern gespickte kubanische Team hatten seine Schützlinge aber letztlich keine Chance. Kuba entschied den Kampf klar mit 5:0 für sich.
Doch das Sportliche wird eben ohnehin überlagert vom Symbolischen, wenn die USA und Kuba aufeinandertreffen. Mit der Teilnahme an der WSB war Kuba in dieser Saison zum, wenn auch halbprofessionellen, Boxen zurückgekehrt, was allein schon für Aufregung gesorgt hatte. Steht es doch für eine vorsichtige Öffnung des Landes zum Profisport, der 1961 kurz nach der Revolution auf der Insel abgeschafft worden war. Wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen ist auch im Sport ein von Präsident Raúl Castro angestoßener behutsamer Wandel zu spüren. Seit Anfang des Jahres ist es Kubas Sportlern beispielsweise erlaubt, Profiverträge im Ausland zu unterschreiben, solange sie weiterhin für das jeweilige kubanische Nationalteam zur Verfügung stehen. Auch dürfen sie künftig einen Großteil ihrer Preisgelder und Prämien selbst behalten. Die Neuregelung dürfte darauf zielen, dem Spitzensport auf Kuba neue Impulse zu verleihen und der Übersiedlung erfolgreicher Athleten ins Ausland zu entgegenzuwirken.
Vor allem Boxen – von Fidel Castro als »Flaggschiff des kubanischen Sports« bezeichnet – wurde auf Kuba immer besonders gefördert. Durch ihre Kraft, Ausdauer, Eleganz, Schnelligkeit und technische Perfektion genießen kubanische Boxer weltweit einen exzellenten Ruf. Boxpromoter aus den USA versuchten daher immer wieder, die Stars mit Millionengagen zu locken. Berühmt geworden ist ein Ausspruch des vor zwei Jahren verstorbenen Teófilo Stevenson, dem besten Amateurboxer aller Zeiten. Als ihm 1974 viel Geld für ein Duell mit Muhammad Ali geboten worden war, verzichtete er mit den Worten: »Was ist eine Million Dollar gegen die Liebe von acht Millionen Kubanern?«
Auch sein Nachfolger Felix Savón, zwischen 1992 und 2000 dreimal Olympiasieger im Schwergewicht, widerstand den Verlockungen des großen Geldes. Ihre Nachfolger sahen die Sache mit den Dollars und der Liebe Kubas lockerer, zwischen 2005 und 2009 gingen viele ins Ausland, um Profis zu werden. Kubas Boxstaffel bekam das nicht gut. Die internationale Vormachtstellung ging verloren, auch wenn bei den vergangenen Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen kubanische Boxer wieder erfolgreicher waren.
Aber trotz vorsichtiger Öffnung: Um Verträge in den USA zu unterschreiben, müssen kubanische Sportler jedwede Verbindung nach Kuba abbrechen. So verlangt es das seit mehr als einem halben Jahrhundert bestehende US-Embargo. Von einer Normalisierung der Beziehungen sind beide Länder also noch weit entfernt – nicht nur im Sport. Kürzlich erst wurde bekannt, dass die US-Entwicklungshilfebehörde USAID heimlich einen Kurznachrichtendienst für Kuba namens ZunZuneo entwickelt hat, um die ­kubanische Regierung zu destabilisieren. Das Brisante: Der »kubanische Twitter-Dienst« wurde ins Leben gerufen, kurz nachdem der USAID-Mitarbeiter Alan Gross im Dezember 2009 auf Kuba wegen mutmaßlicher Spionagetätigkeit festgenommen worden war. Der Dienst kam zeitweilig auf bis zu 40 000 Nutzer, wurde 2012 aber wieder eingestellt. Von der US-Regierung mit Millionensummen unterstützt, ist USAID gleichwohl immer wieder in Aktivitäten gegen die kubanische Regierung verwickelt.
Vor dem großen Duell gegen die USA hatten sich die kubanischen Boxer optimistisch gegeben: »Wir wissen, es ist ein traditionelles Aufeinandertreffen, das mit Bedeutungen aufgeladen wird, die größer sein können als Sport«, so Kubas zweimaliger Leichtgewichts-Weltmeister Lázaro Álvarez kürzlich gegenüber dem Online-Magazin OnCuba. »Gegen die USA genießt man einen Sieg immer etwas mehr und leidet nach einer Niederlage extra. Aber nach meiner Erfahrung haben wir sie bisher immer geschlagen.« Fast immer. Von 1977 bis 1995 traten Kuba und die USA einmal jährlich zu Boxduellen gegeneinander an; das letzte Mal auf Kuba selbst 1987, also vor 27 Jahren. Kuba gewann alle Vergleiche, außer 1991, als man nur ein Unentschieden erreichte.
Zuletzt hat eine kubanische Staffel die USA 1999 zur Amateur-Box-WM besucht. Mitte April kam es dann zum WSB-Rückkampf in Salem, New Hampshire. Eigentlich hatte das Duell bereits Ende März, vor der Begegnung in Havanna, in Florida stattfinden sollen, wo eine große exilkubanische Gemeinde lebt. Die Veranstaltung war dann aber kurzfristig, ohne Angabe von Gründen, abgesagt worden. In einigen Medien war darüber spekuliert worden, ob rechtskonservative Kreise in Florida Druck ausgeübt hätten. Das verlegte Duell gewann erneut Kuba, wenn auch mit einem knapperen 3:2.
Vor allem der Weltboxverband AIBA kann zufrieden sein. Seit 2010 bemüht er sich um Aufmerksamkeit für seine World Series of Boxing. Doch so viel Aufmerksamkeit wie in diesem Jahr gab es niemals zuvor. Zunächst die Rückkehr Kubas, dann das Duell Kuba – USA und anschließend das sportlich äußerst interessante Halbfinale gegen Russland, das Kuba für sich entscheiden konnte. Das große Finale wird allerdings nicht in der Ukraine stattfinden können, die Veranstaltung wurde aufgrund der gespannten Lage abgesagt. Stattdessen treffen Kuba und Aserbaidschan am 6. und 7. Juni im aserbaidschanischen Baku aufeinander.