Immer mehr Menschen fliehen aus Eritrea

Desertieren übers Meer

Viele Menschen aus Eritrea fliehen vor der dortigen Militärdiktatur und der Armut. Die risikoreiche Flucht wird durch die neuen Verordnungen zur Sicherung der EU-Seeaußengrenzen zusätzlich erschwert.

Endlich sind sie wieder aufgetaucht. Am 10. Mai erklärte der Bürgermeister der niederländischen Stadt Gorinchem, 17 Spieler der eritreischen Fußballnationalmannschaft und ihr Teamarzt, die sich im Dezember 2012 nach einem Turnier in Uganda abgesetzt hatten, seien nach langer Flucht in seiner Stadt angekommen. Ihnen wurde po­litisches Asyl gewährt. Damit hatten sie mehr Glück als die meisten ihrer Landsleute.
Eritrea wird in deutschen Medien oft als »Nordkorea Afrikas« bezeichnet. Das hat seine Gründe, eine blutige Militärdiktatur hat das Land fest im Griff. Seit Jahren ist Eritrea in der Rangliste der Pressefreiheit noch hinter Nordkorea platziert. Auch die Ausrichtung der gesamten Gesellschaft auf Militär und Staat zeugt von einer autoritären Herrschaft und Verelendung, die Nordkorea gleichkommt. Herzstück der gesellschaftlichen Organisation ist der Militärdienst, den alle Bürgerinnen und Bürger leisten müssen. Daran schließt ein sogenannter Nationaldienst an, bei dem Arbeiten für die Regierung oder das Militär durchgeführt werden müssen. Dieser wird genauso als Zwangsdienst absolviert wie der Wehrdienst. Erschwerend für die Betroffenen kommt hinzu, dass der Nationaldienst auf unbestimmte Zeit verlängerbar ist und zudem so gering entlohnt wird, dass es nicht einmal für das Existenzminimum reicht. Um den Wehrdienst allgemein durchzusetzen, stellt der Staat keine Ausreisevisa für Personen im wehrfähigen Alter aus. Gleichzeitig wird ein Großteil der nationalen Ökonomie vom Staat und vor allem vom Militär kontrolliert.

Aufgrund dieser weitreichenden Befugnisse des Staates sehen viele Eritreerinnen und Eritreer einen Ausweg allein in der Flucht. So ist es kein Zufall, dass das Land in den vergangenen Jahren weltweit die höchsten Flüchtlingszahlen im Vergleich zur Einwohnerzahl aufwies, obwohl eine Flucht mit besonderen Gefahren verbunden ist. Scheitert die Flucht, müssen die Betroffenen in Eritrea mit Folter rechnen. Es sind Fälle bekannt geworden, in denen Soldaten auf Fliehende beim Überqueren der Grenze geschossen haben.
Seit der Unabhängigkeit von Äthiopien 1993 gibt es einen Grenzkonflikt mit dem Nachbarland, die Grenze ist daher militärisch stark befestigt und kontrolliert. Mit dem südöstlichen Nachbarstaat Dschibuti hat Eritrea ebenfalls einen kriegerischen Grenzkonflikt, der eine militarisierte Grenze geschaffen hat. Selbst fliehende Kriegsgefangene werden Amnesty International zufolge über die Grenze verfolgt. Der Sudan ist der einzige Nachbarstaat, mit dem Eritrea diplomatische Beziehungen pflegt und somit kein andauernder Kriegszustand an der gemeinsamen Grenze besteht. Für Flüchtlinge aus Eritrea bedeutet dies aber auch, dass der Sudan sie schnell nach Eritrea abschiebt und somit das eritreische Regime bei seiner restriktiven Ausreisepolitik unterstützt. Wird der Landweg über den Sudan dennoch geschafft, sind Flüchtlinge aus Eritrea jedoch in Ägypten, dem nördlichen Nachbarstaat des Sudan, weiterhin in Gefahr. Fälle von Folter und Entführungen auf dem Sinai häufen sich (Jungle World 1/2014).
Bei dieser Ausgangslage scheint die Flucht über den Seeweg eine der wenigen Möglichkeiten, um er Militärdiktatur zu entkommen, insbesondere seit die Fluchtrouten in Ostafrika sich wegen des »arabischen Frühlings« veränderten. Vor allem eritreische Bootsflüchtlinge würden die freigewordene »Libyen-Route« nutzen, sagt Karl Kopp von Pro Asyl im Gespräch mit der Jungle World. Der entstandene failed state Libyen begünstige den Zugang zum Mittelmeer. Unter den Mittelmeer-Flüchtlingen stellen Eritreer zurzeit die zweitgrößte Gruppe nach syrischen Flüchtlingen dar.

Die Nutzung dieses Wegs wird jedoch durch die Mitte April vom EU-Parlament beschlossenen neuen Regelungen für die Sicherung der Seeaußengrenzen weiter erschwert (Jungle World 17/2014). Eine Einreise kann so von vornherein unterbunden werden. Die neue Verordnung bedeutet für eritreische Flüchtlinge sogar doppeltes Pech. Da bekannt geworden ist, dass in Eritrea gefoltert wird und Oppositionelle zeitlich unbegrenzt inhaftiert werden oder gar »verschwinden«, schiebt kaum ein EU-Staat mehr Flüchtlinge auf legalem Wege in die Militärdiktatur ab. Mit Schweden hat 2013 einer der letzten EU-Staaten Abschiebungen nach Eritrea eingestellt. Selbst Griechenland gewährt eritreischen Flüchtlingen relativ schnell Asyl. Durch die neue Frontex-Verordnung wird dies aber konterkariert. Mit Hilfe der neuen Befugnisse kann durch die Überprüfung auf See das Asylgesuch von Menschen verweigert werden, deren Flucht über die Nachbarstaaten oder Verbleiben dort nahezu unmöglich oder sogar mit akuter Lebensgefahr verbunden sind. Die Abschottungspolitik wird auf diese Weise im Namen der Seenotrettung radikalisiert. Der Schutzstatus könne so leichter verwehrt werden, sagt Kopp.
Insbesondere Staaten im Inneren der EU könnten bei der Durchsetzung einer restriktiven Flüchtlingspolitik von der neuen Regelung profitieren. Immer häufiger wird etwa nicht nach Griechenland abgeschoben, da die humanitäre Situation der Flüchtlinge keine Abschiebung nach der Dublin-Verordnung rechtfertigt. Auch Italien wird mitdem Bekanntwerden seiner in­humanen Flüchtlingspolitik vermehrt als zuständiges Land aus der Dublin-Verordnung heraus­fallen. Die EU strebt an, dieses Problem dank der neuen Frontex-Verordnung gar nicht erst auf ­europäischem Boden lösen zu müssen.
Der Fluchtdruck für Menschen aus Eritrea bleibt weiterhin groß. Eine Flucht ist trotz anhaltender Grenzkonflikte über die Libyen-Route ­relativ einfach geworden. Doch das Zusammenspiel aus rechtlichen und faktischen Unsicher­heiten bei der Flucht über den Seeweg verschlimmert die Lage der Flüchtlinge aus Ostafrika.