Spaziergang über den glamourösesten Friedhof der Welt

Ein Hoch auf Leben und Tod

Ein Spaziergang über den Hollywood ­Forever Cemetery – den vielleicht ­glamourösesten Friedhof der Welt.

Der Hollywood Forever Cemetery ist ein weiß glitzernder Park, wie von einem Künstler aus Stein gemeißelt. Jahreszeitenlos liegt er unter der kalifornischen Sonne. An weißen Marmorgräbern, die in der Morgenhitze flimmern, fährt ein weißes Coupé mit heruntergelassenen Fenstern in Schrittgeschwindigkeit vorbei. Am Steuer sitzt ein junger Mann mit altmodischer Weste und feinem Errol-Flynn-Oberlippenbärtchen und raucht eine Zigarre. Neben ihm eine junge Frau im schwarzen Kleid mit rotgeschminkten Lippen und einem kleinen schwarzen Hütchen schräg auf dem Kopf. Die beiden halten am Grab von Johnny Ramone, der Mann steigt aus und legt eine Münze vor die lebensgroße Statue des Gitarristen, beide verharren einen Moment lang, dann steigt er wieder ein und sie fahren weiter, ebenso langsam wie sie gekommen sind.
Der Hollywood Forever Cemetery ist die Ruhestätte vieler Stars aus verschiedenen Epochen. Hier liegen Rudolph Valentino, Douglas Fairbanks, Maila Nurmi alias Vampira, deren Grabplatte ein kleines, weißes Vampirgebiss aus Plastik ziert, Jayne Mansfield, Peter Lorre, John Houston, George Harrison und Gloria Gaynor begraben. Das Grab des Gitarristen der Punkband Ramones gehört zu den Attraktionen des Friedhofs, auf dem auch Bandkollege Dee Dee Ramone seine letzte Ruhe gefunden hat.
Doch der am Santa Monica Boulevard gelegene Friedhof ist mehr als nur ein Ort des Andenkens an die Toten. Seine besondere Atmosphäre ließ ihn zum Treffpunkt der Swingerszene werden, zur Kulisse für Modefotografie und akustische DJ-Experimente. Für die mexikanische Gemeinde war er Feierstätte des »Tags der Toten«. Auch Heavy-Metal- und Alternative-Bands spielen hier bisweilen in der sogenannten Freimaurerloge, dem kleinen Konzerthaus des Friedhofs, und vor den Mausoleen findet nachmittags Sommertheater nach Stücken Shakespeares statt.
Am Seeufer, schräg hinter Johnny Ramones Grab, steht die von Rosen umrankte Gedächtniskonsole Hattie McDaniels. Sie war die erste afroamerikanische Schauspielerin, die einen Oscar gewonnen hat, für ihre Rolle als »Mammy« in »Vom Winde verweht«. Als sie 1952 starb, weigerte sich die damalige Friedhofsverwaltung zunächst, die schwarze Schauspielerin beizusetzen.
Auf einer kleinen Insel inmitten des Sees steht das neoklassische Mausoleum von William Clark, dem Gründer des Orchesters Los Angeles Philarmonic. Schwäne gleiten majestätisch dahin, Palmen säumen die Wege des fast leeren Friedhofs unter dem grellblauen Himmel – eine Szene, wie aus einem Art-déco-Filmset Cecil B. DeMilles, der hier ebenfalls begraben wurde. Ein paar Schritte weiter steht das Mausoleum des Schauspielers Douglas Fairbanks. Daneben ragt die Rückseite des Gebäudes der Paramount Filmstudios auf, an die der Friedhof grenzt.
»Berühre den Bildschirm, um anzufangen«, fordert eine dunkel surrende Frauenstimme. Wenn man jetzt über das Möbiusband auf dem Touchscreen wischt und den Namen »Vampira« eingibt, erscheint das Bild der 2008 verstorbenen Schauspielerin. Der Finger streift weiter, es erscheinen Bilder von Vampira und eine Biographie, leichte, ruhig blubbernde Musik erklingt.
Aber nicht nur das Leben der Stars kann man sich in kleinen Filmen ansehen. Ein anderes Videos stellt einen Mann mit Oberlippenbart vor, der in einem Garten umringt von seiner Familie steht. Man sieht ihn in verschiedenen Zeiten seines Lebens, auch als pausbäckiges Baby.
Das Video ist Teil des Datenbankprojekts »Life Stories«. Die Videos Verstorbener sind für in­teressierte Besucher oder Angehörige auf Touchscreen-Konsolen an verschiedenen Stellen des Friedhofes abrufbar.
Tyler Cassity, der den Friedhof betreibt, betrachtet sein Gewerbe als Teil des Showbiz. Er will für den Privatmann tun, was sonst nur den Stars vorbehalten ist: ihnen ewigen Ruhm verschaffen. So haben seine Kunden die Möglichkeit, autobiographische Kurzvideos und Fotocollagen von einem Kamerateam erstellen zu lassen. In den sogenannten Biographenbüros des Friedhofes, weiße Räume im Stil eines Apple-Headquarters, produziert ein Team die Biopics der Verstorbenen. Die Filme werden während der Beerdigung gezeigt.
Die Videobiographien dürfen eine Viertelstunde nicht überschreiten – eine Hommage an Andy Warhols Ausspruch, in Zukunft werde jeder für 15 Minuten ein Star sein. Auch Cassity betont, dass jeder einmal Star sein könne, wenn nicht im Leben, dann wenigstens nach seinem Tod, und wenn nicht für Jahre, so doch zumindest für 15 Minuten.
Mit der Trauerarbeit wird hier bereits zu Lebzeiten begonnen, mit der Inszenierung des eigenen, privaten Nachruhmes im Schatten der Stars Hollywoods. Für Cassity ist der Tod vor allem ein Fenster zum Leben, er will dem Tod nicht mit Gesten der Trauer begegnen, sondern ihn transformieren, indem er die Beschäftigung mit ihm mit der Unterhaltungskultur zusammenbringt. Manche Videobotschaften laufen sogar im Programm des »Cinespia«, einem Festival, auf dem auch Horrorfilme wie »Night of the Living Dead« oder »Sunset Boulevard« gezeigt werden.
»Es ist unglaublich zu sehen, wie abends all die Leute, Tausende, vielleicht dreitausend, auf den Friedhof strömen, als wäre es das Normalste der Welt, und mit Picknickkörben und Weißweinflaschen zwischen Gräbern sitzen und Spaß haben«, sagt Heather, Epidemiologin an der University of California in Los Angeles. Heather hat das Festival schon oft besucht. »Der Friedhof ist Hollywoods einzige große Außenfläche«, sagt sie. »Hollywood ist dicht besiedelt, hier wohnen viele junge Leute, die Lust auf etwas andere Kultur haben. Daher bietet Hollywood Forever sich für Freiluftveranstaltungen geradezu an. Allerdings müssen Hinterbliebene oder diejenigen, die bereits einen Grabplatz gemietet haben, vorher eine Einwilligung unterzeichnen, die auch ›Ruhestörungen‹ und verschiedene Verwendungen des Friedhofsgeländes zulässt«. In dem jüdischen Mausoleum auf dem hinteren Teil des Friedhofes finden regelmäßig DJ-Konzerte statt, erzählt sie ­weiter, »wegen der tollen Akustik in den langen Gängen«.
Das jüdische Mausoleum ist ein lichter Ort aus weißgelblichem Stein mit langen ruhigen Gängen unter an Paris gemahnenden Arkadendächern. In den Wandgräbern finden die Verstorbenen der jüdischen Gemeinde Hollywoods ihre letzte Ruhe. Es ist die größte Sektion des Friedhofes. Eine Modebloggerin kam auf die Idee, sich am Holocaust-Gedenktag an diesem Ort in Szene zu setzen, und musste sich später für ihre Fotografien in mehreren Online-Foren entschuldigen. Hochglanz-Modefotografien – James Francos Jeans-Serie, Michelle Williams’ Vintage-Polaroid-Bilder und low-scale-Fotografie privater Blogger sind weitere Formen des verfremdenden Gebrauchs des Friedhofs.
Obwohl Modefotografie auf dem Friedhof nicht erlaubt ist, wie mir Theodore Hovey, der Familienberater des Friedhofs, einsilbig erklärt hat, spazieren beim Verlassen des Mausoleums eine sehr schlanke, langbeinige Frau im kurzen pfirsichfarbenen Skater-Dress und ein Mann mit Föhnfrisur und aufwendiger Kameraausrüstung eine Allee in Richtung Nordseite hinunter. Sie strahlen sich gut gelaunt an, die Frau schiebt sich mit ein paar schnellen Trippelschritten vor den Mann und dreht dort eine kleine Pirouette, dann verlassen sie das Blickfeld – wahrscheinlich für einen shoot.
Der Hollywood Forever Cemetery entstand im Jahre 1899 als Hollywood Memorial Park Cemetery, wurde damals auch Beth Olam Cemetery genannt und diente der jüdischen Gemeinde Hollywoods als Begräbnisstätte. Zu dieser Zeit gab es hier noch keine Filmstudios, Hollywoods Gemeinde bestand aus weniger als 500 Einwohnern, die verstreut zwischen Bohnenfeldern, oftmals verschlammten Straßen und Zitronenhainen lebten.
Die erste Person, die auf dem Friedhof begraben wurde, war Highland M. Price, die Frau eines Schmieds. Ihr Grabstein, eine kleine, ins Gras eingelassene Steinplakette mit ihren Ini­tialen, ist noch heute zu sehen. Wenig später folgten die ersten Siedler des Westens und Exilanten aus dem zaristischen Russland.
Tyler Cassity, der in der Schwulenbewegung und im Kampf gegen Aids engagiert ist, möchte den Konservatismus herkömmlicher Friedhöfe überwinden. Dazu soll auch das »Biograb« dienen, in dem Tote nicht in Särgen, sondern in biologisch abbaubare Tücher gewickelt beerdigt werden. Auf diese Weise, so Cassity, werde die Verwesung beschleunigt und in kurzer Zeit fruchtbarer Humus gewonnen, der das Pflanzenwachstum auf dem Friedhof fördert.
Als Cassity den Friedhof für 275 000 Dollar kaufte, befand er sich in einem heruntergekommenen Zustand. Gräber waren zugewuchert, der Park verwildert, Kryptadächer undicht, es gab Risse in Mausoleumswänden. Das Krematorium war so marode, dass Einäscherungen kaum durchgeführt werden konnten. Grabraub und Vandalismus waren an der Tagesordnung, einmal wurde der Kopf einer Toten geklaut und dann achtlos auf dem Friedhofsparkplatz liegen gelassen.
Der vorige Inhaber des Friedhofs, Jules Roth, war in den zwanziger Jahren durch seine Tätigkeit im Ölgeschäft reich geworden. Allerdings wurde er später zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Nachdem er den Friedhof in den dreißiger Jahren erworben hatte, veruntreute er das Geld seiner Kunden. Roth ließ sie in dem Glauben, lediglich für die Beerdigung eines Angehörigen zu zahlen, verschwendete das Geld aber für sein privates Vergnügen und führte ein luxuriöses Leben. Er war außerdem Rassist, Antikommunist, passionierter Sammler pornographischer Postkarten und eröffnete einen kleinen Swingerclub neben seinem Büro in dem Verwaltungsgebäude des Friedhofs. Die Yacht, die er sich mit Friedhofsgeldern beschaffte – angeblich, um die Asche der Toten im Meer zu verstreuen –, nutzte er für private Zwecke. In den achtziger Jahren gab er zudem Teile des Friedhofs als Parkplatz für Angestellte von Paramount frei, da das Parkhaus des Filmstudios restauriert wurde.
In einer Seitenallee, auf dem Weg zum jüdischen Teil des Friedhofs, steht eine Frau im engen, schwarzen Kleid. Sie hält einen Schirm aus schwarzer Spitze und gestikuliert vor zwei behäbig dreinblickenden Touristinnen herum. Es ist Karie Bible, die inoffiziell-offizielle Touristenführerin des Friedhofs und Nachfolgerin Ditra Flamés, die lange Zeit als anonyme schwarz verhüllte Dame das Grab Rudolph Valentinos besuchte. Einer Legende zufolge war Flamé die Tochter einer Freundin Valentinos, der er bei einem Krankenhausbesuch versprach, dass sie ihn um viele Jahre überleben würde. Falls er tatsächlich vor ihr sterben werde, wünschte er sich Besuch von ihr.
Im vergangenen September wurde »Breaking Bad« auf dem Friedhof symbolisch zu Grabe getragen: Auf einer großen Party wurde die letzte Episode der Serie mit Cocktails zwischen pink und lila illuminierten Palmen gezeigt.
Auf dem Forever Hollywood Cemetery kann der Tod dekadent gefeiert werden. Fast 90 Jahre nach Rudolph Valentinos Tod wird auf seiner jährlichen Gedenkfeier Champagner ausgeschenkt und Kuchen gegessen. Als ich mir die üppig verteilten bunten Stoffblumen auf einigen der protzigen schwarzen Gräber mit ihren weiß eingemeißelten Bildern der Verstorbenen anschaue, muss ich an Picknickpartys gediegener Leute denken. Und tatsächlich wiederholen sich an diesem Ort Praktiken, wie sie vor dem Aufkommen des öffentlichen Parkwesens gepflegt wurden: Im 19. Jahrhundert dienten Friedhöfe nicht selten zugleich als Parks und Picknickflächen.
Friedhöfe sind Orte des Andenkens und der Hollywood Forever Cemetery ist dahingehend keine Ausnahme. Allerdings wird hier ein immerwährender VIP-Bereich geschaffen – der Friedhof ermöglicht, als Teil der kommerziellen Unterhaltungskultur Hollywoods, scheinbar auch einen unbeschwerteren Umgang mit der eigenen Sterblichkeit.
An diesem Vormittag erinnern die Ruhe und Nachdenklichkeit des Friedhofs an ein Foto aus den zwanziger Jahren, geschossen an einem Sonntagnachmittag. Beim Hinausgehen streift man den Teil des Friedhofs, auf dem Kinder beerdigt werden. »Hier passen große Gräber einfach nicht hin, daher müssen wir die Ecke für Kinder verwenden, obwohl die meisten bei ihren Familien liegen«, hat mir Theodore erklärt. Kleine Gräber an einer Außenwand, übersäht mit Teddybären und Rasseln, eines ist mit einem Laufstall umzäunt. Ein Stück weiter kniet eine Frau in Shorts und schlabberigem T-Shirt vor einem Grab und zupft Unkraut und welke Blumen.
Auf jedem Friedhof wird eine Vergangenheit gefeiert und erinnert, die in die Gegenwart hineinreicht. Auf dem Hollywood Forever Cemetery wird das Leben in öffentlichen, für manchen kommerziell und protzig anmutenden Gesten gepriesen und trägt scheinbar den Sieg über den Tod davon: ein auftrumpfendes, heimlich geschossenes Modebild auf einem Grabstein, die surrende Stimme der Touristenführerin, Cocktailstunden an Gedenktagen mit ihren festlich ausstaffierten Gästen. Verlässt man den Friedhof, so geht man auf die riesigen Hollywood-Buchstaben zu, die die Stadt überragen. Eine Frau mit sorgfältig gelegter Wasserwelle kommt mir entgegen, in der Ferne höre ich Pfauenschreie. Vielleicht ist sie eine Trauernde, vielleicht ein zukünftiges oder ehemaliges Starlet. Oder sie ist einfach auf dem Weg zum Dreh ihrer eigenen Videobotschaft.