Ein französischer Jihadist ist der Mörder vom Jüdischen Museum in Brüssel

Terror nach der Rückkehr

Zurück vom Einsatz für eine jihadistische Gruppe in Syrien mordete Mehdi Nemmouche im Jüdischen Museum in Brüssel.

Internationale Brigaden waren einst eine Sache der Linken. Im syrischen Bürgerkrieg aber pro­fitiert vor allem die islamistische Rechte vom Zustrom ausländischer Kämpfer. Auf 1 000 bis 1 500 wird die Zahl der Europäer geschätzt, die sich in Syrien einer jihadistischen Gruppe angeschlossen haben. Und nicht nur die Innenminister der EU befürchten, dass viele von ihnen nach ihrer Rückkehr ihren Kampf fortsetzen könnten.
Nicht im Visier stehen dabei allem Anschein nach Vertretungen oder Interessen des syrischen Regimes, zu dessen Bekämpfung die Kombattanten vorgeblich oder tatsächlich angetreten waren. Bislang wurde jedenfalls nicht bekannt, dass Konsulate des syrischen Regimes im Ausland attackiert oder syrische Investitionen im Ausland als in erhöhtem Ausmaß gefährdet betrachtet worden wären. Der Onkel von Präsident Bashar al-Assad, Rifaat al-Assad, hat beispielsweise noch immer bedeutenden Immobilienbesitz in Paris, auch wenn im September vorigen Jahres publik wurde, er wolle diesen vielleicht veräußern, und im April dieses Jahres zwei Untersuchungsrichter mit Ermittlungen über etwaige Unregelmäßigkeiten bei ihrem Erwerb betraut wurden.
Am 24. Mai dieses Jahres schoss ein allein handelnder Täter im Jüdischen Museum in Brüssel aus nächster Nähe auf mehrere Menschen. Drei Personen starben sofort: das junge israelische Ehepaar Emmanuel und Miriam Riva und eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des sehr bekannten Museums, die 66jährige Französin Dominique Sabrier. Der 24jährige belgische Museumsangestellte Alexandre Strens wurde mit schwersten Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert, am 6. Juni wurde sein Tod gemeldet.
Der Täter ist ein Franzose. Er wurde bei einer Kontrolle am 30. Mai am zentralen Busbahnhof von Marseille aufgegriffen. Der französische Zoll hatte einen Bus, der aus Amsterdam über Brüssel eingetroffen war, kontrolliert und im Gepäck des 29jährigen Mehdi Nemmouche eine Kalaschnikow und einen Revolver gefunen. Diese Waffen waren sechs Tage zuvor in Brüssel bei dem Mordanschlag verwendet worden. Nemmouche äußerte sich zunächst nicht zur Sache. Bei ihm wurde auch ein knapp einminütiges Video von dem Terrorakt gefunden. Er soll an die belgischen Behörden ausgeliefert werden und hatte zunächst erklärt, auf sein Einspruchsrecht zu verzichten, doch vergangene Woche legte sein Anwalt Widerspruch ein. Über diesen soll in dieser Woche entschieden werden.

Schnell ergaben die Ermittlungen, dass Mehdi Nemmouche das gesamte Jahr 2013 als Kombattant in den Reihen der Jihadisten in Syrien verbracht hatte. Zuvor war er Häftling in Toulon, wo er wegen kleinkrimineller Delikte fünf Jahre ­inhaftiert war. Nemmouche war im Gefängnis mit salafistischen Lehren in Berührung gekommen und hatte sich ideologisch radikalisiert.
Zuvor hatte er keinerlei Interesse an Religion bekundet. Er war als Kind einer algerischen Mutter und eines unbekannten Vaters im nordfranzösischen Roubaix geboren worden, wuchs bei Pflegeeltern auf und war zunächst ein guter Schüler. Offenbar autoritären Charakters, aber sich im Konflikt mit den bestehenden Autoritäten befindend, beging er zahlreiche Delikte und wurde im Alter von 16 Jahren erstmals inhaftiert. Offensichtlich verschaffte ihm die salafistische Doktrin die Möglichkeit, sich mit einer vermeintlich unhinterfragbaren Autorität zu identifizieren. Die Konversion in der Haft weist auf ein ernsthaftes Problem hin, zeigt sie doch, dass salafistische Netzwerke, begünstigt durch die geistige Leere und Langeweile in den Haftanstalten, dort neue Anhänger rekrutieren können.

Kurze Zeit nach seiner Haftentlassung reiste Nemmouche nach Syrien. Dort kämpfte er behörd­lichen Informationen zufolge in den Reihen der Gruppe »Islamischer Staat im Irak und der Levante« (ISIL), die, wie die al-Nusra-Front, dem Netzwerk al-Qaida angegliedert ist. Beide bekriegen einander jedoch und al-Nusra schickte im April sogar einen Selbstmordattentäter gegen die Ri­valen von ISIL. Nach diesem Anschlag wurde der Tod des deutschen Rappers Denis Mamadou Cuspert alias Deso Dogg vermeldet, danach jedoch als »Personenverwechslung« dementiert.
Die al-Nusra-Front verfolgt eine etwas offenere Strategie und versucht, Bündnispartner gegen das syrische Regime zu sammeln. ISIL nimmt hingegen keinerlei Rücksicht, terrorisiert in den von ihr kontrollierten Ortschaften die Zivilbevölkerung und versucht, ihr gesamtes ideologisches Programm durchzusetzen – was dem Regime in die Hände arbeitet, das in vielen Teilen Syriens allmählich als kleineres Übel wahrgenommen wird.
Beobachter fragen sich inzwischen, ob ISIL etwas mit dem Anschlag zu tun hat. Bislang beschränkte sich der Kampf von ISIL auf Syrien und den Irak. Falls die Gruppierung den Auftrag zu den Morden in Brüssel gegeben haben sollte, hätte sie damit ihre bisherige regionale Begrenzung aufgegeben. Dies ist jedoch bislang nicht belegt.
Kämpfer für Syrien werden oft mit drastischen Bildern der Brutalität des Regimes rekrutiert und mit dem Argument, man müsse den bedrängten Glaubensbrüdern und -schwestern dort zu Hilfe eilen. Kombiniert wird dies bei Salafisten und Jihadisten mit dem Verweis darauf, dass die syrischen Machthaber zur konfessionellen Minderheit der Alawiten gehörten, also aus orthodox-sunnistischer Sicht Ketzer sind.

Viele Rekruten haben wie Nemmouche erst relativ kurz vor ihrem Einsatz begonnen, sich für den – salafistisch interpretierten – Islam zu interessieren. Manche scheinen über die Gewalt in Syrien empört gewesen zu sein. Mehdi Nemmouche begeisterte sich allerdings zuerst für eine Terrortat im Westen. Im März 2012 tötete der ebenfalls jihadistisch inspirierte Terrorist Mohammed Merah in Südwestfrankreich drei Soldaten und dann an einer jüdischen Privatschule drei Schüler und deren Lehrer. Nemmouche wollte bis dahin keinen Fernseher in seiner Zelle, ließ sich jedoch einen bringen, als er von den Taten Merahs hörte. Dieser hatte sich in einer Wohnung in Toulouse verschanzt, deren Erstürmung wurde medial intensiv in Szene gesetzt.
Wie Merah wurde Nemmouche vor allem vom Antisemitismus motiviert. Der Einsatz in Syrien scheint für ihn vor allem dazu gedient zu haben, militärische Fronterfahrung und Kenntnisse im Umgang mit Waffen zu sammeln. Vor seiner Haftzeit war Nemmouche diesbezüglich inkompetent, er hatte etwa einen Autoraub mit einer Plastikpistole versucht, die ihm vom Opfer entwendet und über den Schädel gezogen wurde.
Eine weitere offene Frage ist die nach etwaigen Komplizen oder Hintermännern in Frankreich. Nemmouche war am 18. März über den Flughafen von Frankfurt am Main nach Europa zurückgekehrt. Die deutschen Behörden meldeten seine Einreise, da er als mutmaßlicher Jihadist galt. Die französische Regierung gibt an, Nemmouche habe sich nach seiner Ausreise Ende 2012 bis zum 30. Mai nicht in Frankreich aufgehalten. Dies wurde am Wochenende von der Pariser Abendzeitung Le Monde in Frage gestellt. Sie zitierte ein Familienmitglied mit den Worten, Mehdi Nemmouche habe »im März bei uns vorbeigeschaut«.