Der Forstwissenschaftler Juan Carlos Ocampo Zamora im Gespräch

»Das Autonomiegesetz bedarf einer Reform«

Mitte Mai stimmte das nicaraguanische Parlament, in dem die Regierungspartei Sandinistische Nationale Befreiungsfront (FSLN) über eine Mehrheit verfügt, für eine Gesetzesreform, die unter anderem die Kontrolle über die nationale Holzindustrie direkt dem Präsidenten Daniel Ortega unterstellt. Damit soll der rasant ­voranschreitenden Abholzung des Regenwaldes Einhalt geboten werden. Kritiker befürchten jedoch aufgrund der Machtkonzentration negative Folgen für die indigenen Gemeinden. Die Jungle World sprach darüber mit dem Forstwissenschaftler Juan Carlos Ocampo Zamora aus der Gemeinde Butku im Nordwesten Ni­caraguas. Er ist für die Strategieplanung der Kooperative COOSIPBAA zuständig, die sich für eine kollektive Nutzung der Naturressourcen einsetzt. Sie ist vor allem im Bloque SIPBAA tätig, einem Zusammenschluss von sechs Gemeinden, deren rund 3 200 Einwohner sich zu etwa 90 Prozent als indigene Miskito verstehen.

Der Bloque SIPBAA liegt in der Autonomen Region des Nordatlantik (RAAN), in der mehr als 80 Prozent der Waldflächen des Landes ­liegen. Ist die 1986 eingeführt Autonomie ein Fortschritt?
Ich habe nie daran gezweifelt, dass die Autonomie eine positive Errungenschaft ist. Sie bietet viele Möglichkeiten und Vorteile: Sie bildet die Basis für unsere individuelle und kollektive Selbstbestimmung, erkennt unsere Existenz innerhalb Nicaraguas als Indigene an, das heißt, das Recht, unser soziales und politisches Leben so zu organisieren, wie es uns gefällt, und unsere natürlichen Ressourcen zu nutzen. Es gibt allerdings auch einige relevante Nachtteile: Die soziale, politische und wirtschaftliche Situation der nicaraguanischen Karibikküste hat sich stark verändert, weshalb es einer Reform des Autonomiegesetzes bedarf. Auch das Wahlrecht sollte reformiert werden, damit die indigene Repräsentation auf na­tionaler Ebene an Gewicht gewinnt. Ferner hat im Rahmen der Autonomie die territoriale Verfassung an Stärke gewonnen. Im Falle der Gemeinden im Bloque SIPBAA ist die Territorialregierung eine Vereinigung, die alles zu kontrollieren versucht und ihre eigenen politischen Interessen verfolgt. Die Autonomie sollte ein Rahmen sein, um uns zu organisieren und unsere Gegenwart und Zukunft selbstbestimmt zu gestalten. Es gibt aber seitens der Politikerinnen und Politiker kein Bewusstsein für unsere Interessen. Das schadet dem Entwicklungsprozess.
Das Territorium des Bloque SIPBAA ist als »gemeinschaftliches Territorium« organisiert und COOSIPBAA setzt sich für eine »gemeinschaft­liche Forstwirtschaft« ein. Was bedeutet das?
Die gemeinschaftliche Forstwirtschaft ist ein Konzept der Gemeinden des Bloque SIPBAA. Davor gab es zwar ein Bewusstsein von kollektivem Eigentum innerhalb eines abgesteckten Territoriums, aber keine gemeinschaftliche Organisation. Nach zehn Jahren der gemeinschaftlichen Forstwirtschaft im Bloque SIPBAA können aber einige positive Entwicklungen verzeichnet werden: Erstens gründete sich die Kooperative COOSIPBAA als eine Organisation, die Erfahrungen in der Forstwirtschaft hat und mittlerweile eine bekannte Organisation des Forstsektors auf nationaler Ebene ist. Zweitens sind sich die Gemeindemitglieder ihrer territorialen Rechte stärker bewusst geworden und begannen, einen kollektiven Organisationsprozess im Sinne einer verantwortungsvollen Forstwirtschaft zu betreiben. Nachteilig ist allerdings, dass dieser Prozess durch internationale Mittel finanziert wurde und keine mittel- und langfristige Nachhaltigkeitsstrategie beinhaltete. Dieser Prozess steckt nun durch die Verringerung externer Mittel in einer Krise.
2004 wurde als Alternative zur von den USA geplanten gesamtamerikanischen Freihandelszone Alca die »Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika« (Alba) gegründet. Teil davon ist die für den forstwirtschaftlichen Unternehmensbereich zuständige Alba Forestal, ein staatliches Forstwirtschaftsunternehmen mit Geldmitteln der Alba, das auch im Bloque SIPBAA präsent ist. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die politische Situation Nicaraguas zu berücksichtigen. 2007 kamen die Sandinisten erneut an die Macht und streben seither danach, alle Macht an sich zu binden. Dies hat nichts mit einer kommunistischen oder sozialistischen Idee zu tun, dem Einsatz für die Ärmsten und Bedürftigsten. Kurioserweise bedeutet alba auf Miskito »Sklave«. Alba ist die Ressourcenquelle der Sandinisten und Basis für ihre ökonomischen Ambitionen. In Nicaragua ist Alba eine Holding von verschiedenen Unternehmen in den Bereichen Infrastruktur, Häfen, Sicherheit, Lebensmittel, Medizin und auch der Forstwirtschaft. Die Nutzung und Kommerzialisierung des Holzes durch die Kooperative COOSIPBAA wurde und wird deutlich von Alba Forestal beeinflusst, da sie den Dienstleistungs­sektor für die Nutzung des Waldes monopolisiert hat. Alba bietet 35 US-Dollar für einen Kubik­meter Wald an, obwohl die Kosten für den Abbau 65 US-Dollar pro Kubikmeter betragen. Der von Alba forestal angebotene Preis deckt also lediglich 50 Prozent der Kosten der Waldbewirtschaftung. Ebenso interessiert sich Alba weder für die Wiederaufforstung noch für die Wahrung der Grundprinzipien der Forstwirtschaft.
Welche Bedeutung hat Alba Forestal für die indigenen Gemeinden des Bloques SIPBAA?
Alba zeigt keinerlei Interesse an der Stärkung der kollektiven Organisationen im Bereich der forstwirtschaftlichen Nutzung. Wie bereits erwähnt, bietet Alba sehr geringe Preise für einen Kubikmeter Wald an. Unserer Kooperative stehen aufgrund der Monopolstellung von Alba, unterstützt durch die sandinistische Regierung, jedoch keine anderen Vertragspartner zur Verfügung. Diese Situation schwächt die sowieso schon schwache Organisation in unseren Gemeinden und sorgt dafür, dass diese langfristig weiter verarmen.
Im Bloque SIPBAA gibt es immer wieder territoriale Auseinandersetzungen mit Siedlerinnen und Siedlern, die von der Pazifikregion des Landes in die autonome Region kommen. Sie roden den Regenwald illegal, um die Flächen für Nutztierhaltung, Fischfang und Landwirtschaft zu nutzen, und zerstören damit die wichtigste Einnahmequelle und den Lebensraum der indigenen Bevölkerung. Wie wird mit der Besiedlung umgegangen?
Das ist ein sehr komplexes Thema. Die Gemeinden des Bloques SIPBAA verteidigen ihr Land bereits seit etwa zwölf Jahren gegenüber Dritten. Bis auf die letzte Invasion haben die Siedlerinnen und Siedler das Land wieder verlassen. Dennoch wird dieses Problem in der Zukunft bestehen bleiben. Meine persönliche Sorge ist weniger die Invasion durch Dritte als vielmehr der Mangel an Einigkeit innerhalb der Gemeinden hinsichtlich der Vorgehensweise sowie die starke Manipulation durch die Territorialregierung. Die politische Verfassung Nicaraguas erkennt die Landrechte indigener Gemeinden an, doch in der Praxis haben die Regional- und die Territorialregierung der autonomen Region gezeigt, dass sie nicht fähig sind, diese Rechte zu gewährleisten. Meiner Meinung nach liegt diese Unfähigkeit an der Ver­folgung bestimmter politischer Interessen. Eine langfristige Lösung kann nur durch Änderung ihrer Politik und der Art der Organisation und Handlungsweise indigener Gemeinden erwirkt werden. Kooperativen wie COOSIPBAA können dabei als Vermittler eine Schlüsselrolle einnehmen.