Die mögliche Unabhängigkeit Irakisch-Kurdistans

Feindliche ­Nachbarn

Die irakischen Kurden können sich vom Zentralstaat lösen, nicht aber von den Konflikten in der Region.

Die Weichen scheinen gestellt: Vergangene Woche forderte der Präsident Irakisch-Kurdistans, Massoud Barzani, das Regionalparlament auf, ein Referendum über die mögliche staatliche Unabhängigkeit vorzubereiten. Ein kurdischer Staat scheint in Reichweite, damit wäre das Ende des Irak in seinen bisherigen Grenzen besiegelt.
Doch ob unabhängig oder nicht, Kurdistan bliebe Teil der Region, und sollte sich im Restirak nichts ändern, würde der neue Staat im Westen an ein sunnitisches Kalifat, im Osten an dessen schiitisches Pendant grenzen, denn nichts anderes ist der Iran de facto. Ob ein kurdischer Staat, ein demokratischer gar, Überlebenschancen hätte, während der Nahe Osten in einem konfessionellen Bürgerkrieg versinkt, erscheint fraglich.
Im Vergleich mit den Nachbarländern haben irakisch-kurdische Politiker keineswegs Unrecht, wenn sie sich im Westen als Vorbild für Stabilität und Demokratie anpreisen. Aber auch in Arbil herrscht eine korrupte Führungsschicht, wenige Familien bestimmen die Politik und unabhän­gige staatliche Institutionen haben sich bislang bestenfalls rudimentär entwickelt. Keines der Nachbarländer hat ein Interesse, dass ein florierender kurdischer Staat entsteht, nicht zuletzt, weil dann Forderungen nach Unabhängigkeit im Iran, in Syrien und in der Türkei unter den dort lebenden Kurden lauter werden könnten.
Wenn sich die türkische Regierung plötzlich für die kurdische Unabhängigkeit erwärmt, dann vor allem, weil sie sich davon billiges Erdöl verspricht und glaubt, den neuen Nachbarn weit­gehend unter Kontrolle halten zu können. Dass sich auch Israel für die Unabhängigkeit Kurdistans stark macht, verwundert ebenfalls nicht, sucht der jüdische Staat doch seit Jahrzehnten Allianzen mit nichtarabischen Gruppen in der Region. Wiederholt hat Barzani erklärt, ginge es nach ihm, hätte in Arbil längst eine israelische diplomatische Vertretung eröffnet.
Allerdings übt auch der Iran bedeutenden Einfluss auf Kurdistan aus und würde niemals zulassen, dass sich ein kurdischer Staat mit seinen Erzfeinden verbündet. Während die Kurdische Demokratische Partei ihre Verbindungen zur Türkei weiter intensiviert hat, vertieften sich die Beziehungen der Patriotischen Union Kurdistan und der Goran-Bewegung mit dem Iran.
Seit kurdische Armeeeinheiten in Städte wie Kirkuk eingerückt sind, befinden sich außerdem Hunderttausende von Arabern und Turkmenen unter kurdischer Kontrolle. Auch wenn kurdische Politiker immer wieder betonen, in ihrem Land gebe es keine Probleme mit Minderheiten, könnte die Lage mit tätiger Beihilfe anderer regionaler Akteure sehr schnell eskalieren.
Noch ist der kurdische Staat keine Realität, änderte sich die Lage im Restirak, würden die irakischen Kurden vermutlich sogar eine föderative Lösung akzeptieren, die ihnen eine noch weiter gehende, auch ökonomische Unabhängigkeit garantierte. Solange allerdings Nouri al-Maliki mit iranischer Unterstützung Ministerpräsident des Irak bleibt und die Jihadisten den Westirak beherrschen, rückt eine Abspaltung Irakisch-Kurdistans näher. Sollte es so weit kommen, benötigte dieser Staat Unterstützung auch aus Europa und den USA. Die allerdings ist nicht in Sicht.