Ein Mord in der Ultra-Szene in Italien

Tödliche Schüsse vor dem Finale

In Rom kam es Anfang Mai vor dem Pokalfinale des SSC Neapel und AC Florenz zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit römischen Ultras. Ciro Esposito, ein 30 jähriger Neapel-Fan, erlag Ende Juni seinen Schussverletzungen. Der Tatverdächtige, ein Ultra-Anhänger des AS Rom, wird der rechtsextremen Szene zugeordnet.

Als der mit Fanschals bedeckte Sarg zum letzten Mal über den Platz getragen wurde, mischten sich unter den Applaus Stadiongesänge und rhythmische Ciro-Sprechchöre. Mehr als 20 000 Menschen standen eng gedrängt wie in der Stadionkurve auf der zentralen Piazza in Scampia. Live­streams übertrugen die Trauerfeier in der nördlichen Peripherie Neapels im Internet. Nach 50 Tagen der Agonie war Ciro Esposito an den Folgen seiner Schussverletzung gestorben.
Der 30jährige war am 3. Mai zum Pokalfinale des SSC Neapel gegen den AC Florenz nach Rom gereist. Auf dem Weg zum Olympiastadion kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit römischen Ultras. Handy-Aufnahmen von Neapel-Fans, die von den Online-Ausgaben verschiedener Tageszeitungen veröffentlicht wurden, zeigen, dass der von ihnen angemietete Bus mit Steinen, Feuerwerkskörpern und Papierbomben beworfen wurde. Esposito und einige andere, die zu Fuß auf der Straße unterwegs waren, hätten demnach versucht, die Insassen im Bus zu verteidigen. Als sie sich auf einen der Angreifer stürzten, habe dieser eine Pistole gezogen und geschossen. Mindestens vier Schüsse seien gefallen. Zwei Neapolitaner wurden leicht verletzt, ein Schuss traf Esposito im Rücken und zerriss ihm den Lungenflügel. Als mutmaßlichen Schützen identifizierten mehrere Augenzeugen Daniele De Santis.

Unter dem Beinamen »Gastone« galt dieser lange Jahre als einer der Anführer der Südkurve des AS Rom. Er soll einst maßgeblich an der Erpressung des ehemaligen Clubpräsidenten Franco Sensi und an der Spielunterbrechung des Stadtderbys im Jahr 2004 beteiligt gewesen sein. Entsprechende Anklagen ließen die Gerichte jedoch verjähren. Der inzwischen 48jährige soll sich aufgrund wiederholter Stadionverbote aus der Südkurve zurückgezogen haben und just in jener Seitenstraße, die die Neapel-Anhänger auf ihrem Weg ins Olympiastadion passieren mussten, in einer Sportanlage einen Kiosk betreiben.
De Santis wurde in den Auseinandersetzungen mit den neapolitanischen Fans durch mehrere Messerstiche selbst schwer verletzt. Er weist den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf der vorsätzlichen Tötung zurück und behauptet, nicht geschossen zu haben. Zeugen, die De Santis im Eingang zum »Ciak«, einem bei der römischen Rechten besonders beliebten Kulturzentrum, erste Hilfe leisteten, beschuldigen die Neapolitaner, sie hätten den römischen Ultra gezielt überfallen.
Unklar ist, warum die Polizei die auswärtigen Fußballfans nicht eskortierte und ausgerechnet durch jene Straße lenkte, die bekanntermaßen von Einrichtungen römischer neofaschistischer Ultras gesäumt wird.
De Santis präsentiert sich auf seiner Facebook-Seite umgeben von Fahnen und Devotionalien des historischen und zeitgenössischen Faschismus. 2008 kandidierte er bei den Kommunalwahlen für die erzkatholische, nationalchauvinistische Lebensbewegung »Trifoglio«, eine von jenen rechtsextremen Listen, die damals dem ehemaligen neofaschistischen Schläger Gianni Alemanno die Wahl zum Bürgermeister garantierten. La Gazzetta dello Sport berichtet von vier weiteren der Mittäterschaft verdächtigen Männern, die zur Fankurve des AS Rom gehören und als Anhänger der antisemitischen Gruppe Militia Christi und der neofaschistischen Bewegung Casa Pound bekannt seien. In der Stadt wurden derweil Solidaritäts- und Durchhalteparolen für »Daniele« an Häuserwände gesprüht, auf der Website asromaultras.org verspricht die Südkurve, De Santis stets und für immer zur Seite zu stehen.

In den italienischen Massenmedien erregten die politischen Verstrickungen des Tatverdächtigen wenig Aufsehen. Stattdessen wurde tagelang darüber diskutiert, warum das Pokalfinale nicht abgesagt, sondern nach einer vor den Augen des Fernsehpublikums abgehaltenen Verhandlung zwischen den Sicherheitskräften und Gennaro De Tommaso, dem Anführer der neapolitanischen Ultras, mit 45 Minuten Verspätung angepfiffen worden war. Skandalisiert wurde, dass mit »Ger­ry a’Carogna« überhaupt verhandelt wurde. Der bullige Ultra trägt seinen Kampfnamen »Aas« nicht umsonst: in der Vergangenheit erhielt er mehrmals Stadionverbot, Kronzeugen zufolge unterhält nicht nur seine Familie, sondern auch die von ihm geführte rechte Ultra-Organisation »Mastiffs« Verbindungen zu verschiedenen Clans der Camorra. Für Empörung sorgte jedoch vor allem sein T-Shirt mit der Aufschrift »Speziale libero«. Der sizilianische Ultra Antonio Speziale soll bei Krawallen nach dem Derby Catania – Palermo 2007 den Tod des Polizeibeamten Filippo Raciti verschuldet haben. Er wurde trotz erheblicher Zweifel am Tathergang zu acht Jahren Haft verurteilt. Seit Frühjahr wird eine Revision des Prozesses geprüft, die Ultra-Szene fordert seit jeher seine Freilassung. Wegen des Slogans auf seinem T-Shirt wurde gegen De Tommaso ein Verfahren wegen Aufwiegelung zur Gewalt eingeleitet und ein fünfjähriges Stadionverbot verhängt. Am letzten Spieltag der abgelaufenen Bundesligasaison solidarisierten sich die Münchner und Dortmunder Fankurven mit »Gerry« und forderten ihrerseits die Freilassung Speziales. Vorvergangene Woche lagen Fanschals beider deutschen Vereine gut sichtbar auf Espositos Sarg.

Dass die Beerdigung zu einer Demonstration des neapolitanischen Stolzes geriet, auf der Ciro als »Held« gefeiert wurde, war eine Reaktion auf den politischen Versuch, Neapels Ultras als einfache Camorristi oder gewalttätige Vorstadthooligans zu kriminalisieren. Linke Fangruppen wie Stella Rossa und Afro Napoli United betonen dagegen die enge Verbindung der römischen Rechten zu extremistischen Schlägern und die allgemeine Verrohung der italienischen Gesellschaft: Ein niedergeschossener Tifoso konnte das Fußball-Showbusiness genauso wenig unterbrechen wie die allwöchentliche rassistische, antisemitische und homophobe Hetze von den Rängen. Stattdessen werden die im Stadion erprobten Repressionsmaßnahmen zur Absicherung kommerzieller Interessen immer häufiger auch zur Niederschlagung sozialer Konflikte eingesetzt. Überall in Italien bilden Ultras deshalb oft die militante Fraktion innerhalb lokaler Widerstandsgruppen. Auch in Neapel beteiligen sich Ultras seit Jahren an den Protesten gegen die Einrichtung neuer Mülldeponien. Für linke Gruppierungen wird es darauf ankommen, die rechten und mafiösen Umtriebe der Ultra-Szene auch dann nicht zu verharmlosen, wenn es die territorialen Kämpfe für eine gemeinsame Sache opportun erscheinen lassen.