Der Sozialgipfel in Frankreich

Sozialpartnerschaft ohne Partner

In Frankreich hatte die Regierung zu einem Sozialgipfel mit Unternehmern und Gewerkschaften geladen. Doch mehrere Gewerkschaftsverbände haben die Konferenz boykottiert.

Eine neue Brille sollte es richten: Kurz vor seiner feierlichen Ansprache zum französischen Nationalfeiertag am Montag ließ Frankreichs Präsident François Hollande sich mit neuen Augengläsern sehen. Vermutlich gehörte auch dies zu seinem Versuch, innenpolitisch wieder in die Offensive zu kommen – neben der Ankündigung von Steuersenkungen in seiner Rede zum 14. Juli.
Prompt gab es aber Kritik. Der Verband französischer Hersteller von Brillenfassungen monierte, das Gestell für das von Hollande getragene Modell sei nicht in Frankreich fabriziert worden. Dabei unterstreiche doch sein Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg derzeit, wie wichtig das Label »Made in France« sei. Montebourg macht des Öfteren mit protektionistischen Tönen auf sich aufmerksam, die jedoch nicht der Regierungslinie entsprechen und die vom eher wirtschaftsliberalen Finanzminister Michel Sapin regelmäßig konterkariert werden. Was wiederum den Eindruck der Inkohärenz der Regierungspolitik noch verstärkt.

Vielleicht sieht Hollande nun wenigstens die Zeitungsartikel besser, in denen seine Popularitätswerte in Umfragen erläutert werden. Mit diesen steht es nicht zum Besten. Trotz eines sommerlichen Hochs stagnieren Hollandes Zustimmungswerte bei nur 22 Prozent. Ein geringer Trost für ihn ist, dass sie im Laufe des Frühjahrs zeitweise noch fünf Prozentpunkte darunter lagen, was einen absoluten Tiefpunkt darstellte. Erklärungsbedürftig ist, dass sein Premierminister Manuel Valls in den Umfragewerten noch immer deutlich vor ihm liegt. Er steht für exakt dieselbe Politik. Nur wird Valls in den Medien das Image eines »Machers« attestiert, Hollande hingegen gilt fast nur noch als entscheidungsschwach.
Einen seiner berüchtigten Versuche der Konsensstiftung sah Hollande vergangene Woche scheitern. Am Montag und Dienstag voriger Woche hatte er eine sogenannte Sozialkonferenz organisiert, es war die dritte ihrer Art seit seinem Amtsantritt im Mai 2012. Es handelte sich um ein Gipfeltreffen zwischen Regierung, Kapitalverbänden und Gewerkschaftsdachverbänden, wo einmal mehr ein sozialpartnerschaftlicher »Kompromiss« erzielt werden sollte.
Insgesamt vier Gewerkschaftsbünde boykottierten jedoch dieses Mal die Veranstaltung, nachdem sie bei früheren Anlässen noch gute Miene zum bösen Spiel gemacht hatten. Die Union syndicale Solidaires, der Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften vom Typ SUD, hatte bereits in der Vorwoche ihr Nichterscheinen angekündigt. Die CGT, der stärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, hatte ihre Präsenz unter Vorbehalt gestellt. Am Montagmittag, kurz nach Eröffnung der Konferenz, kündigte sie dann ihre Abwesenheit für den folgenden zweiten Konferenztag an. Gefolgt vom drittstärksten Dachverband Force Ouvrière (FO), der meist zwischen Verbalradikalismus und rechter Gewerkschaftspolitik changiert. Am Dienstag erklärte dann der Zusammenschluss der wichtigsten Bildungsgewerkschaften in Frankreich, die FSU, ihren Auszug. Dessen ungeachtet erklärte der Arbeits- und Sozialminister François Rebsamen im Nachhinein unverdrossen, die Konferenz sei »ein echter Erfolg« gewesen.

Vor der Konferenz waren es allerdings die Arbeitgeberverbände gewesen, die mit Boykott gedroht hatten. Sollte die Regierung nicht aufhören, den Unternehmern ständig neue soziale Lasten aufzuerlegen. Hollandes im Januar lancierter und im April bekräftigter »Pakt für Verantwortung« sieht jedoch eine Verringerung der öffentlichen Ausgaben um 50 Milliarden Euro vor – sowie gleichzeitig 41 Milliarden Euro als Geschenk an die Unternehmen, in Form von Steuersenkungen und vor allem der vollständigen Streichung einiger Sozialabgaben.
Als Reaktion auf den Druck der Unternehmer vor der Konferenz verkündete Valls am 1. Juli ein wichtiges Zugeständnis an sie. Beklagt hatten die Unternehmer sich über die Einführung des sogenannten Compte-pénibilité (Erschwerniskonto). Dieses soll es abhängig Beschäftigten ermöglichen, Bonuspunkte für die Altersversicherung zu bekommen, wenn sie unter erschwerten Arbeitsbedingungen tätig waren, etwa bei körperlich harten, psychisch belastenden, monotonen oder aufzehrenden Tätigkeiten und bei der Gefahr von Haltungsschäden. Durch die Anrechnung solcher zusätzlicher Punkte sollen Lohnabhängige einzelne fehlende Beitragsjahre zur Rentenversicherung ausgleichen können.
Im Herbst 2010, als es mehrere Monate lang Proteste gegen die damalige Rentenreform Nicolas Sarkozys gab, war es eben jenes Zugeständnis der Regierung, das die Protestbewegung spaltete und die Streiks zum Erliegen brachte. Am 25. Oktober 2010 – kurz bevor eine Benzinknappheit in Frankreich drohte – brach zunächst die CFDT und kurz darauf die CGT den Arbeitskampf in den französischen Raffinerien ab, nachdem die damalige rechte Regierung die Einführung eines solchen Ausgleichsmechanismus angekündigt hatte. Über die genauen Möglichkeiten der Anrechnung von Bonuspunkten sollte daraufhin in den Branchen verhandelt werden. Das »Erschwerniskonto« sollte schließlich landesweit zum Ende dieses Jahres gesetzlich eingeführt werden. Doch die Unternehmer, besonders in der Baubranche, beschwerten sich. Valls verschob die Umsetzung deswegen prompt auf Anfang 2016.
Ein weiteres Thema der Sozialkonferenz war die angekündigte »Vereinfachung des Arbeitsrechts«. Die Befürworter einer Reform sehen in der Komplexität des Arbeitsrechts und dessen Vorschriften ein »Einstellungshemmnis« und ein »Hindernis für die Schaffung von Arbeitsplätzen«. Tatsächlich geht es ihnen nicht um leichtere Verständlichkeit, sondern um die Frage, welchen Umfang die verbindlich garantierten Rechte für die Lohnabhängigen haben sollen.
Unter den beteiligten Verbänden, die nach dem Auszug der Mehrzahl der Gewerkschaftsorganisationen brav weiterhin an der Konferenz teilnahmen, war einmal mehr die CFDT. Auch dieser sozialdemokratisch geführte und derzeit regierungsnahe Dachverband kritisierte allerdings mit einiger verbaler Schärfe den Rückzieher der Regierung beim »Erschwerniskonto« als schlechtes Signal für den »sozialen Dialog«.

Die Entscheidung mehrerer Gewerkschaftsverbände, dem Gipfeltreffen fern zu bleiben, wurde sicherlich vom Großteil ihrer Mitglieder mitgetragen, und diese erwarten kaum positive Ergebnisse von Hollandes Versuchen der Konsensstiftung. Allerdings gibt es in der öffentlichen Meinung, die weitgehend durch die Medien geprägt wird und auf welche die Gewerkschaften und Oppositionsparteien geringeren Einfluss haben als in der Vergangenheit, auch eine gegenläufige Tendenz. »Hauptsache autoritär«, lautet jedenfalls die Quintessenz einer Umfrage, die vom eher rechten Fernsehsender BFM TV in Auftrage gegeben wurde und deren Ergebnisse am Samstag publiziert wurden.
Demnach stimmten 53 Prozent der Befragten der Aussage zu, die Regierung solle »entscheiden, auch auf die Gefahr hin, dass die Sozialpartner Unzufriedenheit zeigen«. Dagegen sagten 44 Prozent, dass die Regierung »weiterhin die Sozialpartner zusammensetzen soll, bis sie sich einig werden«. Sicherlich kommt es bei einem solchen Resultat weitgehend darauf an, wie die Frage gestellt wurde. In diesem Falle suggerierte die Formulierung deutlich, dass es darum geht, ob endlich etwas entschieden werde oder ob man weiterhin die Dinge zerreden solle. Eine andere Frage wäre gewesen, was und in wessen Interesse entschieden werden soll. Das Ergebnis hätte anders ausfallen können.