Die drohende Spaltung der Piratenpartei

Absprung vom sinkenden Schiff

Linke Piraten und der Berliner Landesverband diskutieren über eine Abspaltung von der Bundespartei.

Plötzlich ist von einer Spaltung der Piratenpartei die Rede, doch nicht einmal mehr die Schlagzeilen, die die Partei produziert, sind neu: »Piraten-Chef warnt vor Spaltung« titelte bereits Anfang Dezember 2011 das Handelsblatt. Der Artikel bezog sich auf Äußerungen des damaligen Vorsitzenden Sebastian Nerz, der im Berliner Wahlerfolg drei Monate zuvor eine Gefahr für die damals noch aufstrebende Partei sah. »Auch in heftigen Diskussionen« sei es wichtig, dass »sich die Mitglieder ihrer Gemeinsamkeiten bewusst« blieben, hatte er damals in einem Interview gesagt, eine konkrete Gefahr sehe er zwar gerade nicht, aber es gebe »viele inhaltlich, zum Teil ideologisch begründete Brüche«. Und so wolle er »lieber einmal zu früh warnen als zu spät«.
Als Nerz seine Befürchtungen äußerte, war die Partei auf dem Höhepunkt ihres Erfolges: In die Landtagswahl 2012 in Schleswig-Holstein setzte man große Hoffnungen, zum ersten Mal wollte man in einem Flächenbundesland im Parlament vertreten sein. Bundesweit erreichten die Piraten damals in Umfragen stabil um die sieben Prozent, dass man bei den Bundestagswahlen 2014 die Fünf Prozent-Hürde locker schaffen würde, galt nicht nur unter ihren Mitgliedern als sicher.

Gleichzeitig betrieb man das, was mit »heftige Diskussionen« nur sehr unzureichend beschrieben ist: Die Anhänger der Partei, die nach außen hin so gern für Pluralität und Meinungsfreiheit steht, reagieren verlässlich allergisch darauf, wenn Piratenkollegen andere Vorstellungen und Meinungen über den politischen Kurs haben, und bieten in solchen Fällen das gesamte Repertoire auf: Von Beleidigungen und Rufmord bis hin zu Mobbing, Gewaltdrohungen und Anzeigen gibt es praktisch nichts, was sich Parteifreunde nicht gegenseitig angetan hätten – und keine Seite, weder die sogenannte rechte noch die linke, war in der Wahl ihrer Mittel besonders zimperlich.
Und immer wieder führten die Streitigkeiten auch zu Gründungen parteiinterner Gruppen, die als Beginn einer drohenden Spaltung zwischen den einzelnen Flügeln interpretiert werden konnten. Wie Anfang 2012, als Piraten um den ehemaligen Parteivorsitzenden Jens Seipenbusch die »Gruppe 42« gründeten, deren Ziel die Rückbesinnung auf die eigentlichen Werte der Partei sein sollte – und die gegen die Versuche gerichtet war, ein Vollprogramm auszuarbeiten. Und wie im Dezember 2012, als der sich selbst so bezeichnende »sozial-liberale Flügel« mit dem »Frankfurter Kollegium« einen eigenen Verein zu gründen ankündigte. Mit dabei war der inzwischen nur noch stellvertretende Bundesvorsitzende Sebastian Nerz, der wie viele andere mit dem Kurs der Partei unzufrieden war. »Die Gründung ist eine Reaktion auf die fehlenden Positionen in der Piratenpartei zu sozial-liberalen Themen«, erklärte Aleks Lessmann, vorläufiger Sprecher des »Frankfurter Kollegiums« damals. »So wenig Staat wie möglich, so viel wie nötig«, war eines der Ziele der Gruppe, die unter anderem Bürokratieabbau für kleine und mittelständische Unternehmen sowie eine Reform der Industrie- und Handelskammern als ihre möglichen Themen nannte.
In den vor allem auf Twitter mit viel Willen zu Bösartigkeiten ausgetragenen großen parteiinternen Schlachten darüber, ob man nun eher eine FDP mit Internetanschluss oder doch lieber eine linke Partei mit Schwerpunktthemen wie Asylrechtstreform (und Internetanschluss) sein wolle, interessierte sich kaum jemand dafür, wie das Ganze beim Wähler ankam: Bei den Bundestagswahlen erhielten die Piraten gerade einmal 2,2 Prozent (2009 waren es mit 2,0 Prozent nur unwesentlich weniger gewesen) – und das, obwohl Edward Snowden mit seinen Enthüllungen über die Überwachungsmethoden der NSA eines ihrer zentralen Themen wochenlang in die Schlagzeilen gebracht hatte. Es folgten monatelange, öffentlich ausgetragene Streitereien, welcher Parteiflügel mit seiner Politik schuld am miesen Ergebnis sei. Auf die Idee, dass die vielen »Gates« genannten Skandale innerhalb der Partei Wähler abgeschreckt haben könnten, kam man dabei eher selten.
Auch die linken Piraten hatten ihren Anteil an diesen Skandalen, wie beispielsweise im Fall eines Nazis, der bei der sogenannten Pirantifa mitarbeiten und sogar deren antifaschistischen Kongress mitgestalten durfte, obwohl der Mann wenige Monate zuvor noch als Fahnenträger auf einer NPD-Demonstration mitmarschiert war. Dass diejenigen, die sich dem Kampf gegen rechte Tendenzen bei den Piraten verschrieben hatten, selber nicht fehlerlos agierten und ihren fail nicht thematisierten, machte sie in der Folge umso angreifbarer, wie die gewaltige Empörung über eine Aktion von Anne Helm zeigte, die im Femen-Stil Bomber Harris gedankt hatte. Bis heute wird dieses einmalige Beispiel für piratige Doppelmoral – die Bilder der vermummten Helm wurden entgegen dem propagierten Recht auf Anonymität akribisch untersucht und die Neuköllnerin mitsamt ihrer Parteikollegin schließlich zwangsgeoutet – in nichtlinken Kreisen übrigens als Grund für die Niederlage bei der Bundestagswahl betrachtet.
Und nun freut man sich dort entsprechend über eine eventuelle Spaltung der Partei. Bereits beim außerordentlichen Bundesparteitag Ende Juni in Halle hatten die Linken angesichts ihrer drohenden Niederlage die Gründung einer eigenen »Progressiven Plattform« beschlossen, besonders die Berliner Piraten machen kein Geheimnis daraus, dass sie diese Plattform auch als Ausgangspunkt für eine mögliche Abspaltung sehen. Warum man allerdings das, was schon seit Wochen als großes Geheimnis kursierte – nämlich dass derzeit die Frage geklärt wird, wie und ob es rechtlich möglich ist, sich abzuspalten und Teile des Parteivermögens mitzunehmen – unbedingt öffentlich machen musste, ist vollkommen unklar. Was im geschlossenen Bereich der Plattform vor sich geht, ist nicht bekannt, wer mitmachen möchte, benötigt Bürgen.

Die »Twitter- und Männerpartei« (Straßenmagazin Motz) reagiert auf die Plattform in der ihr eigenen Weise: Mit vielen Beleidigungen und Drohungen, die von beiden Seiten an ihre jeweiligen Kritiker gerichtet werden. Aber was soll es bringen, eine im Grunde tote Partei in zwei Teile aufzuspalten? Ein linker Pirat, der anonym bleiben möchte, bezeichnete die Partei gegenüber der Jungle World als »Manifestation der Dummheit«, deren Mitglieder »technokratische Ingenieure einer internet-affinen Postdemokratie sind, in der die Simulation von Politik schlimmer ist, als alle Kritiker sich das beim Ansatz der Postdemokratie je vorstellen konnten, ein lebendiges Experiment in Sachen Entpolitisierung von gesellschaftlichen Prozessen« sowie als »Förderer des Autoritarismus als Politikstil«. Auch die Parteilinken sieht der Mann sehr kritisch, die Plattform bezeichnet er als einen »widerlichen Verein, der in seinen Abgrenzungsbemühungen nach außen lustigerweise massiv Illuminatensprech benutzt, Geheimbündelei falsch betreibt und das Transparenzversprechen gänzlich ad absurdum führt«. Inhaltliche Arbeit werde kaum geleistet, das, was »offiziell der Aufbruch in eine schönere Zeit« sein solle, sei inoffiziell »ein Rekrutierungsbude für Jobs, die Umsetzung lang gehegter Träume mancher, die endlich ihre Vorstellung umsetzen können, wie alles zu laufen hat«. Wohlgemerkt, so reden Piraten über ihre eigene Partei. Deren Auflösung beginnt nicht erst mit organisatorischen Abspaltungen, sondern hat mental längst begonnen.