Barbara Kirchner im Gespräch über Amokläufe, Frauenhass und Feminismus

»Gegenmacht aufbauen«

Zwischen Antikapitalismus, Pinkstinks, Feminismus und amoklaufenden Frauenhassern: Barbara Kirchner kritisiert das Kleinklein in der linken, queeren Politik und wünscht sich mehr Mut, aufs Ganze zu gehen.

Am 23. Mai führte Elliot Rodger in Santa Barbara im Bundesstaat Kalifornien einen lange geplanten Amoklauf aus, in dessen Verlauf er sechs Menschen tötete und 13 weitere verletzte, bevor er sich selbst umbrachte. Der 22jährige hinterließ ein 140seitiges Manifest, in dem er seinem Hass auf Frauen freien Lauf ließ.
Es folgten Forderungen nach Verboten von Waffen und Gewaltspielen und eine öffentliche Debatte über eine neue Dimension der Misogynie. Angestoßen wurde die Diskussion von der muslimischen Bloggerin und Twitter-Nutzerin @gildedspine, die unter dem Hashtag #yesallwomen argumentierte, dass vielleicht nicht alle Männer Frauen hassten wie Rodger, aber dass alle Frauen von dem Hass be­troffen seien. Viele Userinnen machten in Tweets und Artikeln darauf aufmerksam, dass man es bei diesem Fall mit einer speziellen Form von Frauenhass zu tun habe, die vor allem in der amerikanischen Nerd- und IT-Kultur verbreitet ist.
Wie bewerten Sie die Tat von Elliot Rodger? War das wirklich das einsame Attentat eines Frauenhassers oder greift die Erklärung zu kurz?
Solche Fälle haben viel mit sozialer Desintegration insgesamt zu tun. Sie sind nicht unmittelbar, sondern mittelbar politisch. Man erfährt vom Gefasel eines Anders Breivik auch nichts über rechte Ideologie in Europa heute, andererseits aber einiges darüber, welche Sorte von schwer Gestörten Europa heute produziert. Rodger und Breivik reden, was viele reden, aber nicht viele werden dann Killer, und damit hat es sozusagen statistische, aber nicht kausale Signifikanz.
Man kann solche Taten also nicht in einen größeren Zusammenhang einordnen und den Täter als frauenfeindlich bezeichnen?
Die Frage nach dem Resonanzboden stellt sich für mich erst, wenn Leute ihn anhimmeln, die irgendwie organisiert sind, statt sehr vieler Vereinzelter. Dass es viele Vereinzelte gibt, ist natürlich ein wichtiger Punkt, und was mit ihnen passiert, ist derzeit noch unklar. An vielen Stellen in den reichen Gesellschaften gibt es den Versuch, sie zu bündeln, indem man ihnen sagt, sie seien als Männer, als Weiße, als Deutsche und so weiter Verlierer und müssten sich wehren. Im Moment machen die Eliten da nicht mit, aber die Option besteht.
Wie bewerten Sie die feministische Hashtag-Kampagne #yesallwomen?
So was ist nett, aber nichts anderes als ein Aufkleber, auf dem »Ich bin gegen Vergewaltigung« steht. Es treten ja nicht eben viele für Vergewaltigung ein. Die bessere Entgegnung ist immer, Gegenmacht aufzubauen, anstatt etwa Antisemiten immer wieder zu erwidern, Juden seien auch Menschen.
Was könnte in diesem Fall eine Gegenmacht sein?
Man darf nicht in den bescheuerten Wettbewerb eintreten, wer denn nun benachteiligter ist – die Frauen, die nicht mehr in den Beruf zurückdürfen nach der Schwangerschaft, oder die kleinen Jungs, die in der Schule nicht mehr richtig gefördert werden –, sondern sollte statt­dessen konkret fordern und die Forderungen organisiert durchsetzen.
In manchen Artikeln über das Attentat von Rodger wurde die These vertreten, man habe es hier mit einer bestimmten Ausprägung einer spezifischen, in der amerikanischen Nerd-Kultur verhafteten Frauenfeindlichkeit zu tun. Stimmen Sie dem zu?
Ich hasse diese idiotische amerikanische High-School-Sprache. Da wird einer Nerd genannt, bloß weil er ein bisschen programmieren kann. An den US-High-Schools gibt es ja diese Selektion: Jocks, Nerds, Prom Queens. In Wirklichkeit verlieren derzeit so gut wie alle. Das Leben eines jungen Code-Schreibers für irgendein Start-up ist doch auch scheiße. Nur sind daran natürlich nicht die Feministinnen schuld oder die Homosexuellenlobby oder sonst eine kultu­ralistisch oder biologistisch oder milieusoziologisch oder nach Selektionskriterien bestimmbare feindliche Gruppe.
Aber es ist doch schon so, dass es eine neue, von den kalifornischen IT-Unternehmen geprägte Kapitalismuskultur ist, in der eben oft junge Männer, die man im weiteren Sinne als Nerds bezeichnen würde, die Gewinner sind. Und von denen sich manche, wie eben Elliot Rodger, trotzdem weiterhin als Außenseiter und Verlierer fühlen.
Der jüngste Sprung der Produktivkraftentwicklung, eben die IT-Umwälzung, ist dazu genutzt worden, überall die Erpressbarkeit der Leute zu erhöhen. Es gibt keine Flächentarifverträge mehr, demnächst keine sicheren Verbeamtungen mehr in Wissenschaft und Lehre. Nirgends versichert zu sein, ist die neue Freiheit, und vermarkten müssen sich auch die billigsten Leiharbeitskräfte, als wären sie Selbständige. Diese Dauerangst muss irgendwo hin und so werden Parolen attraktiv, die sagen: Früher hatten wir wenigstens nicht auch noch Frauen als Konkurrenz. Der neue Antifeminismus kommt aber natürlich nicht »vom Kapitalismus«, aber dessen Verschärfungen begünstigen jede Form von Ausgrenzung, Einschließung, Ausbeutung, Vereinzelung, Vereinsamung und Erniedrigung, die irgendwie anschlussfähig ist für die Gesamtentsolidarisierung. Wer sich als Außenseiter sieht, hat Recht, denn es gibt keine Innenseite mehr, keinen Gesellschaftsvertrag. Es gibt nur noch das Rattenrennen und das Rattenbeißen. Da triumphieren natürlich Biologismen.
Der Feminismus wird aber wieder sichtbarer und hat sich verjüngt. Es gibt die neoliberale Strömung, die sich am ökonomischen Aufstieg und an sogenannten Alphamännern orientiert, die sozialdemokratische, die permanent versucht, politische Trostpflaster wie Quoten oder verbesserte Familienpolitik zu erfinden, und die ästhetische, die vor allem die öffentliche Darstellung von Körpern und Sex kritisiert und sich in Kampagnen wie »Pinkstinks« artikuliert. Wie schätzen Sie diese Bewegungen ein?
Ich glaube, Mengenlehre bringt nichts, wo die Mengen, denen man angehören wollen würde, so klein sind. Emanzipatorische Politik, nicht nur in Geschlechterdingen, die mehr will als hübsche Kitas für die Kinder von Bundeswehr-Killern, sondern den konkreten Kampf gegen eine Form von Unrecht, wird derzeit ja nur noch von einer winzigen Minderheit betrieben. Es gibt heute keine riesigen Gewerkschaften, Friedensdemos oder ganze Staaten mehr, die von sich behaupten, ob zu Recht oder zu Unrecht, das Unrecht auf der Welt nicht dulden zu wollen. In dieser Situation, in der man Minderheit ist, muss man realistisch sein und zugeben, dass die meisten gesellschaftlichen Debatten nicht von diesen Minderheiten geformt werden.
Der Karrierefrauenscheiß ist demnach also eben keine Strömung im Feminismus, als ob der Feminismus etwas Großes wäre und der Karrierefrauenscheiß ein Teil davon, sondern der Karrierefrauenscheiß ist eine Strömung im sehr breiten Strom der derzeitigen Kreativ-Karriere-Selfie-Kapitalismus-Scheiße und färbt sich halt ein bisschen feministisch, weil der Einspruch von Feministinnen, also von Leuten, die gar kein Unrecht mehr wollen, nicht zu befürchten steht, weil diese Gruppe so klein und kaum hörbar ist. Genauso ist der sozialdemokratisch-reformistische Frauenrechtediskurs eher eine Strömung in der Post-New-Labour-Post-Schröder-Sozialdemokratie, die eben versucht, wieder mit irgendwas irgendwie Linkem ein paar Werbepunkte zu machen.
Was ist denn Ihrer Meinung nach ein geeigneter Ansatz?
Ich hege die Hoffnung, dass man mal wieder 70 Prozent der eigenen Zeit und Kraft auf die Auseinandersetzung mit den Mächtigen, mit der vorherrschenden Propaganda von wegen »für alle sozialen Probleme gibt es individuelle Lösungen« verwendet und weniger Zeit mit diesem Gekrümel der Abgrenzung von allem möglichem Anderen, das emanzipatorisch tut. Und es vielleicht sogar ist.
Tatsächlich kann man in der Linken aber gerade das Gegenteil beobachten, eine Paral­lele zu den sich immer weiter auseinanderdifferenzierenden Partikularinteressen der Mehrheitsgesellschaft. Beispiele sind die Debatte um Critical Whiteness, ein Ansatz, der die eigene Privilegiertheit in Beziehung zu Anderen setzt, oder um den »Care«-Begriff, in der versucht wird, für die zumeist von Frauen geleistete Pflege- und Erziehungsarbeit andere Begriffe als den der Reproduktion zu finden und daraus irgendwie politische Forderungen abzuleiten.
Ich kenne einiges davon, es ist eine Art Forschung in Kollektiven, und Forschung soll immer sein. Aber aus Analysen Forderungen ab­leiten, das ist mindestens heikel – es bedeutet nämlich unter anderem, dass dann nur die mitmachen beim Kampf gegen das Vorhandene, die diese Analysen mitvollzogen haben, deren Sprache sie sprechen und so weiter. Forderungen leitet man daraus ab, dass man das, was passiert, nicht will. Das ist voranalytisch. Das ist das, was ich mache, nicht mehr. Um eine Veranstaltung mit Thilo Sarrazin zu stören, weil man sieht, dieser Typ hetzt echte und vermeintliche Verlierer aufeinander, braucht man nicht den richtigen Faschismus-Begriff, sondern nur das Bewusstsein davon, dass da jemand Unwahrheiten sagt, die Unrecht stützen und verschärfen. Auch Unrecht ist keine Analyseka­tegorie, sondern der Vergleich zwischen einer Erfahrung und einem normativen Anspruch. Die idiotische »Sachzwang«-, »Fakten«- und »al­ternativlos«-Hetze aller Medien hat den Leuten eingebläut, es wäre falsch, normative Ansprüche zu stellen. Es ist nicht falsch, es ist lebenswichtig, wenn man mehr will, als mit allem einverstanden zu vegetieren, bis man stirbt.
Sie selber versuchen in Ihrem Aufsatzband »Dämmermännerung« die gegenwärtige Kultur des Antifeminismus marxistisch zu bearbeiten. Sie erinnern an die Mechanismen des »Teile und herrsche« und daran, wie diese eine wirkliche feministische Praxis verhindern.
Ich versuche nichts so Großes. Ich erinnere daran, dass auch mit Geschlechterbegründungen ausgebeutet, ausgegrenzt, eingeschlossen und erniedrigt wird und dass die Behauptung, das sei vorbei, gelogen ist. Ich habe keine Theorie und ich brauche dafür keine; es sind ein paar Beobachtungen. Jedes Feld des Unrechts muss anders behandelt und gedacht werden als jedes andere, wo es sich von den anderen unterscheidet. Sonst wäre es ja kein eigenes Feld. Aber Vergleiche sind lehrreich, nur soll man nicht so tun, als wäre ein bisschen Vergleich und Unterscheidung gleich ein neues Weltbild.
Wie können daraus überhaupt politische Ziele abgeleitet werden? Würden Sie das überhaupt machen?
Ich leite keine Ziele aus Analysen ab, weil das gegen die schöne Hume’sche Regel, »Man kann aus einem Sein kein Sollen ableiten«, verstößt und weil historisch gesehen Verstöße gegen diese Regel immer zu idealistischem Quatsch führen. Ich habe die Interessen, die Forderungen, dass keine soziale Ungleichbehandlung aufgrund von kulturellen, biologischen, religiösen, ästhetischen oder weiß der Teufel welchen Geschlechterunterscheidungen geschehen darf, zur Analyse schon mitgebracht, da sehe ich dann, wo die Probleme liegen, warum die Forderungen noch nicht erfüllt sind. Unter anderem – aber wirklich nur unter anderem – weil es so viel leichter ist, eine andere Gruppe von Verarschten zu hassen und zu bekämpfen, als sich zu fragen, wieso eigentlich das Gesamtspielfeld diese komische Ordnung von einander bekämpfenden Gruppen von Verarschten hat und ob das so sein muss und wie man das, falls es nicht sein muss, ändern kann.
Glauben Sie, dass der Feminismus in der Linken gerade nicht so beliebt ist?
Ich glaube, die Beobachtung macht jeder emanzipatorische Kampf. Ich kenne Antirassistinnen, die sagen: Sexismus, das geben alle zu, aber Rassismus ist angeblich ein Randphä­nomen. Ich glaube, wahr an solchen Beobachtungen ist, dass von konkreten Forderungen, also zum Beispiel bessere Löhne, mehr Redezeit, bessere Behandlung, immer alle genervt sind, während allgemeine Bekenntnisse zum Guten und Lieben jederzeit zu haben sind. Meine einzige Antwort darauf: Weiter nerven.
Nützt der Begriff »Feminismus« denn dann überhaupt noch?
Jeder Begriff nützt, wenn er verhindert, dass politische Fragen entpolitisiert werden und so getan wird, als wären das alles Privatsorgen. Man soll immer so reden, dass die, die über ein Unrecht gar nicht reden wollen, sich am meisten ärgern. Dann benutzt man offensichtlich die richtigen Worte.

Barbara Kirchner: Dämmermännerung. Neuer Antifeminismus, alte Leier. Konkret-Literaturverlag, Hamburg 2014, 96 Seiten, 12 Euro