Vergleich der Situation in Argentinien mit der in Griechenland

Athen ist nicht Buenos Aires

Im Zuge der Schuldenkrise Griechenlands wurde vielfach an die Staatspleite Argentiniens erinnert. Nun droht dem südamerikanischen Land schon wieder der Bankrott. Mit Griechenland lässt sich die Situation aber nicht vergleichen.

Geplünderte Supermärkte, zerstörte Geldautomaten und wütende Menschen auf den Straßen sind ein untrügliches Zeichen dafür, dass es mit dem Staat nicht zum Besten steht. Argentinien hat diesen Zustand nach der Pleite 2001 schon einmal erlebt, Griechenland stand in den vergangenen Jahren mehrfach kurz davor. In beiden Ländern geriet die staatliche Verschuldung außer Kontrolle, beide Staaten schlugen anschließend jedoch unterschiedliche Entwicklungen ein.
Doch offenbar scheint sich die Geschichte zu wiederholen, zumindest im Falle von Argentinien. Nach einem Urteil des New Yorker Richters Thomas Griesa muss das Land in dieser Woche 1,5 Milliarden Dollar an alten Schulden bei den US-Hedgefonds NML Capital und Aurelius begleichen. Deren Forderungen stammen aus der Staatspleite von 2001. Die überwältigende Mehrheit der Gläubiger hatte damals einen Schuldenschnitt von rund zwei Drittel der ursprünglichen Kreditsumme akzeptiert. Die Hedgefonds klagten jedoch gegen diesen Schritt und bestanden auf einer vollen Rückzahlung. Solange diese Forderungen nicht erfüllt sind, darf dem Urteil zufolge Argentinien auch kein Geld an die anderen Gläubiger überweisen, da alle Investoren gleich behandelt werden müssen. Die Verkaufsverträge für die Staatsanleihen enthielten eine entsprechende Klausel, die nun fatale Folgen haben könnte.

Für die Regierung in Buenos Aires handelt es sich um einen klaren Fall von Erpressung: Zahlt sie die geforderte Summe nicht, kann sie auch nicht die Gläubiger, mit denen sie sich bereits geeinigt hat, bedienen. Gibt es bis Donnerstag dieser Woche keine Einigung, wird Argentinien deswegen von Ratingagenturen als Pleitefall eingestuft. Fügt sie sich jedoch dem Urteilsspruch des Gerichts in New York, könnten umgehend zahlreiche weitere Forderungen folgen – von jenen, die sich auf einen Schuldenerlass eingelassen hatten und nun darauf pochen, ebenfalls voll ausgezahlt zu werden. Diese Folgeforderungen können sich zu einem dreistelligen Milliardenbetrag summieren – ein Betrag, der das Land ebenfalls in den Bankrott treiben würde.
Dabei hatte sich Argentinien in den Jahren nach der Staatspleite relativ schnell erholt und galt mit zeitweise zweistelligen Wachstumsraten als eines der erfolgreichsten Schwellenländer. Es ist zwar weitgehend von den internationalen Kreditmärkten abgeschnitten, kann sich jedoch mit Hilfe seiner boomenden Exporte refinanzieren. Insbesondere die steigenden Ausfuhren von landwirtschaftlichen Produkten wie Soja tragen dazu bei.
Kein Wunder also, dass sich viele Euroskeptiker in den vergangenen Jahren immer wieder gerne auf das argentinische Beispiel beriefen. Eine Staatspleite müsse nicht im Desaster enden, denn schon bald könnte eine im Vergleich zum Euro schwache Drachme auch in Griechenland für einen wirtschaftlichen Aufschwung sorgen.

Allerdings bestehen gravierende Unterschiede zwischen den beiden Staaten. Die argentinische Landeswährung Peso war zwar fest an den Dollar gekoppelt, befand sich aber weiter im Umlauf. Mit dem Ende der Dollar-Bindung stieg die Inflation wieder an, aber es musste keine neue Währung eingeführt werden. In Griechenland hingegen würde mit dem Austritt aus dem Euro sofort das gesamte Bankensystem zusammenbrechen – denn niemand würde dem Wert einer neuen Drachme vertrauen. Die griechischen Außenschulden würden zudem stark ansteigen, weil sie hauptsächlich in Euro abgerechnet werden. Hinzu kommt, dass Griechenland nur wenig exportiert und international kaum wettbewerbsfähig ist. Eine auch nur annähernd ähnliche wirtschaftliche Erholung wie in Argentinien wäre daher ausgeschlossen.
Mittlerweile erübrigen sich solche Überlegungen nahezu. Spätestens seit Mario Draghi, Vorsitzender der Europäischen Zentralbank, versichert hat, die fast unbegrenzten Mittel der EZB gegen Währungsspekulationen einzusetzen, ist eine Staatspleite Griechenlands so gut wie ausgeschlossen. Paradoxerweise besteht darin auch die schwerste Bürde für die Regierung in Athen. Neue Hilfszahlungen und Kredite erhält sie nur, wenn sie sich akribisch an die harten Auflagen der europäischen und deutschen Gläubiger hält. Über viel Spielraum verfügt Griechenland nicht.
Argentinien befindet sich zwar nun in einer dramatischen Situation, kann sich jedoch Handlungsmöglichkeiten offen halten, die Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner auch ausgiebig nutzt. Mit einer großangelegten Anzeigenkampagne diskreditierte sie die Forderungen der »Geier-fonds« und bemüht sich um diplomatische Hilfe. So bekundeten die Außenminister der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS), abgesehen vom US-Vertreter, ihre »volle Unterstützung«, um eine Umschuldung der argentinischen Staatsanleihen zu erleichtern. Schließlich würde man Großbanken in Krisensituationen als »too big to fail« bezeichnen und mit Steuergeldern vor der Pleite retten, meinte OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza kürzlich. Eine Staatspleite mitsamt den gravierenden sozialen Folgen würde hingegen einfach hingenommen. »Geierfonds« und »Spekulanten« sei es egal, ob die Armut in Ländern wie Argentinien durch ihre Aktivitäten zunehme, erklärte er.

Doch zu einer solchen Situation muss es gar nicht kommen. Anfang kommenden Jahres läuft die Gleichbehandlungsklausel aus, was die Posi­tion der argentinischen Regierung erheblich vereinfacht. Bis dahin könnte das Land sich für zahlungsunfähig erklären, was es faktisch gar nicht ist. Die Folgen eines solchen »technischen Bankrotts« wären vermutlich überschaubar. Argentinien werde jedenfalls »keinen Sturm auf den Schwellenmärkten auslösen«, kommentierte das Wall Street Journal Deutschland.
Zugleich bemüht sich die argentinische Regierung, neue Finanzierungsmöglichkeiten zu erschließen. Mit großem Interesse begleitete sie kürzlich in Brasilien die Gründung einer Entwicklungsbank für Schwellenländer, die vornehmlich von China finanziert werden wird. Kirchner nutzte die Gelegenheit, um die versammelten Staatschefs aus Lateinamerika und den Brics-Ländern China, Russland, Indien und Südafrika zu ­einer Einheitsfront gegen die »interessengeleitete US-Justiz und die Plünderung souveräner Staaten durch Geierfonds« zu bewegen. Außer ein paar herzlichen Worten von den brasilianischen und kolumbianischen Vertretern bekam sie zwar keine Unterstützung für ihr Ziel. Das hielt die Präsidentin jedoch nicht davon ab, den Gipfel als vollen Erfolg ihrer Kampagne zur inter­nationalen Solidarisierung mit Argentinien zu interpretieren.
Aus China fließen bereits jetzt umfangreiche Investitionen in das Land. Im argentinischen Patagonien finanzieren chinesische Banken mit 4,7 Milliarden Dollar den Bau von zwei Wasserkraftwerken. Zudem schloss Argentinien mit China ein Währungstauschabkommen, das der von akuter Devisenknappheit geplagten argentinischen Notenbank Zugriff auf Yuan-Kreditlinien im Wert von elf Milliarden Dollar ermöglicht. Der Umfang des Kontingents entspricht ziemlich genau dem Gesamtwert der chinesischen Jahresexporte nach Argentinien, die bisher in Dollar bezahlt wurden.
Wenn das Land die kommenden Monate übersteht, stehen die Chancen daher nicht schlecht, die Krise zu überwinden. Die Regierung in Buenos Aires könnte dann wieder frische Kredite in Yuan aufnehmen – und riskieren, dass die nächste Schuldenkrise vor einem Gericht in Peking statt in New York verhandelt wird. Möglichkeiten, mit denen sich die Regierung in Athen gar nicht befassen muss. Sie weiß genau, in wessen Abhängigkeit sie sich befindet – und dass sich daran so bald nichts ändert.