Die Folgen der argentinischen Staatspleite

Abschied vom Dollar

Die argentinische Staatspleite könnte weltweit das Verhältnis zwischen Schuldnerstaaten und Gläubigern verändern.

Wann explodiert die Bombe? Nachdem Argentinien teilweise für zahlungsunfähig erklärt wurde, sehen Ökonomen wie der US-Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz bereits das weltweite Finanzsystem gefährdet. Anlass für die düstere Prognose war das Urteil eines US-Gerichts, dem zufolge der US-Investor Paul Singer auf der vollen Rückzahlung seiner argentinischen Schuldentitel bestehen kann. Solange diese nicht beglichen sind, darf die Regierung in Buenos Aires ihre restlichen Schuldner nicht bedienen. Formal betrachtet ist das Land damit pleite. Amerika habe mit dem Urteil »eine Bombe in das globale Wirtschaftssystem« geworfen, erklärte Steglitz nun in der New York Times: »Wir wissen nicht, wie groß die Explosion sein wird – und es geht nicht nur um Argentinien.«
Singer hatte die Schuldentitel nach dem Staatsbankrott 2001 für einen Bruchteil ihres ursprünglichen Werts aufgekauft. Während die meisten Gläubiger damals einen umfassenden Schuldenschnitt akzeptierten, bestand Singer auf der vollen Rückzahlung des ursprünglichen Betrages. Die restlichen Gläubiger könnten nun nachträglich auf einer Rückzahlung bestehen, weil vertragsgemäß alle Käufer von argentinischen Staatsanleihen gleich behandelt werden müssen.
Künftig würden damit Umschuldungen von Staaten praktisch unmöglich, fürchtet Steglitz. Denn welcher Gläubiger würde sich noch auf ­einen Deal einlassen, wenn er weiß, dass er die volle Summe einklagen kann? Staatspleiten würden dadurch sehr viel wahrscheinlicher, was wiederum das globale Finanzsystem bedrohen könnte.
Bislang sind die Auswirkungen der Pleite überschaubar. Die wichtigsten Börsenkurse brachen zwar vergangene Woche deutlich ein, paradoxerweise aber vor allem wegen der überraschend guten Konjunkturdaten der USA. Nun fürchten viele Anleger, dass die Zinssätze bald wieder steigen könnten und der Börsenboom damit ein Ende findet. Die Krise in Argentinien kümmert da nur am Rande.
Für viele Schwellenländer sieht die Lage schon ernster aus. Sie müssen mehr denn je damit rechnen, in endlose Rechtsstreitigkeiten verwickelt zu werden, wenn sie in Zahlungsschwierigkeiten geraten.
Zwar gibt es die Möglichkeit, mit einer collective action clause festzulegen, dass eine Mehrheit der Gläubiger über eine Änderungen der Zahlungsbedingungen entscheidet. Aber vermutlich werden findige Anwälte nicht lange brauchen, um neue juristische Lücken zu entdecken. Schließlich werden Staatanleihen von Schwellenländern vornehmlich nach US-amerikanischem Recht abgewickelt, weil dies Gläubigern mehr Sicherheit bietet. Klagen landen daher zumeist vor investorenfreundlichen US-Gerichten.
Um sich von diesen Abhängigkeiten zu befreien, suchen Staaten wie Argentinien händeringend nach neuen Kreditgebern. Es bieten sich China, aber auch Russland und Brasilien an. Die wirtschaftlich stärksten Schwellenländer wollen mit aller Macht den Einfluss des US-Dollars als globale Leitwährung brechen – und offerieren daher aus politischen Gründen oft günstige Konditionen. Argentinien und andere lateinamerikanische Staaten haben in jüngster Zeit diese Angebote gerne angenommen.
Gut möglich also, dass sich viele Krisenländer künftig lieber in Yuan oder Rubel statt in Dollar verschulden. Vorausgesetzt, die neuen Geberstaaten manövrieren sich, wie derzeit Russland, nicht selbst in eine wirtschaftliche Krise. Dann explodiert vielleicht tatsächlich eine Bombe. ­Allerdings eine ganz andere, als Stiglitz erwartet hat.