Die neue Außengrenze der EU liegt vor Ostafrika

Europas neues Inselparadies

Das zum Archipel der Komoren gehörende Mayotte ist französisches Verwaltungs­gebiet und seit Anfang des Jahres offiziell Teil der EU. Zur Geschichte einer kleinen Inselgruppe, die zur neuen europäischen Außengrenze werden könnte.

Der südlichste Zipfel der Europäischen Union liegt im Südwesten des Indischen Ozeans. Bereits am 1. April 2011 war die vor Ostafrika, zwischen Madagaskar und Mosambik liegende Inselgruppe Mayotte zum 101. Département der Französischen Republik geworden. Am 1. Januar dieses Jahres erhielt die offiziell rund 212 000 Einwohner und 17 Kommunen zählende Inselgruppe den Status eines »Gebiets in äußerster Randlage der Europäischen Union«, wodurch sie Anspruch auf Hilfen aus dem Fonds der EU zur Förderung strukturschwacher Regionen hat.
Im Jahr 2009 hatten sich die Einwohner von Mayotte in einem Referendum dafür ausgesprochen, als Überseegebiet mit begrenzter Autonomie in den französischen Staat integriert zu werden. 95,2 Prozent der an der Volksabstimmung Teilnehmenden hatten damals dafür zugestimmt. Allerdings hatten sich fast 40 Prozent der Wahlberechtigten enthalten, und viele Beobachter beklagten, es habe keinerlei offene Debatte über die Abstimmungsvorlage gegeben. Nur die Anhänger der Integration seinen damals in der Öffentlichkeit zu Wort gekommen. Hohe Staatsvertreter und viele Beamte machten offen Wahlwerbung für die Annahme der Vorlage, obwohl sie juristisch grundsätzlich zu politischer Neutralität verpflichtet sind.
Als einzige im Parlament vertretene politische Kraft hatte sich damals die Kommunistische Partei Frankreichs gegen das Referendum ausgesprochen. Das Referendum wurde aber auch in der öffentlichen Debatte kritisiert. Gegenstand der Kritik war zunächst der langjährige Bruch interna­tionalen Rechts, der durch das Referendum von 2009 endgültig besiegelt werde.
Mayotte zählt zum Archipel der Komoren, der 1889 als Kolonie in französischem Besitz kam, damals zunächst unter dem Verwaltungsnamen »Mayotte und von ihm abhängige Territorien«. Das Archipel umfasst drei weitere Hauptinseln: Grande Comore, Mohéli und Anjouan. Die gesamte Zeit der französischen Kolonialherrschaft über hatte die französische Regierung die Inselgruppe als eine Einheit behandelt, und auch ihre Bevölkerung ist relativ homogen. Doch nachdem Frankreich im Jahr 1973 der Einleitung eines Unabhängigkeitsprozesses zugestimmt hatte, wurde im Dezember des folgenden Jahres auf den Inseln darüber abgestimmt. Die Ergebnisse waren unterschiedlich.
Eine knappe Mehrheit stimmte auf der östlichsten Insel, Mayotte, gegen die Unabhängigkeit, während diese auf den übrigen Inseln mit deutlicher Mehrheit befürwortet wurde. Dieser Unterschied ist der Tatsache geschuldet, dass der französische Einfluss in Mayottes Inselhauptstadt Mamoudzou, wo die Kolonialverwaltung angesiedelt war, mit Abstand am stärksten war.

Unter Bruch ihrer eigenen bisherigen Versprechen, bisheriger französischer Gesetze und des internationalen Rechts beschloss die französische Regierung daraufhin 1975, die Einheit des Archipels aufzubrechen und Mayotte als eigenständige Einheit zu behandeln. Dies stand allen bisherigen Ankündigungen, man werde die Komoren nur als Einheit in die Unabhängigkeit entlassen oder aber bei Frankreich behalten, entgegen. Grund war der Wunsch, durch den Verbleib auf Mayotte den politischen Einfluss im Indischen Ozean zu sichern – wo mit der Insel La Réunion, südlich von Madagaskar, ein weiterer, bereits alter französischer Bezirk liegt – und so eine wichtige Seemacht zu bleiben. Bis heute ist Frankreich die weltweit zweitgrößte maritime Macht. Bis zum Sturz des Apartheidregimes in Südafrika blieb Mayotte aber auch eine Drehscheibe für den, zumindest in der Schlussphase bereits illegalen, Handel Frankreichs mit dem damaligen Regime in Südafrika.
Die Einwohner Mayottes profitierten davon zum Teil auch selbst: Die 9 000 Kilometer entfernte Metropole in Europa schüttet nach wie vor Geld aus, um der lokalen Bevölkerung ihren Verbleib mehr oder minder schmackhaft zu machen. Jährlich transferiert Frankreich rund 400 Millionen Euro an Mayotte, während der Staatshaushalt der benachbarten Inselrepublik der Komoren insgesamt rund 60 Millionen beträgt.

Die benachbarten Komoren, deren einziger Reichtum aus Naturschätzen – etwa zur Parfümherstellung verwendeten Orchideen und dem Vanille-Anbau – besteht, sind nicht nur relativ arm, sondern waren auch immer wieder Gegenstand politischer Destabilisierungsversuche. Viele davon wurden durch Frankreich initiiert, da es den französischen Regierungen immer darum ging, die Republik Komoren davon abzuhalten, eine Wiederangliederung von Mayotte zu fordern.
Eine wichtige Rolle spielte dabei der französische Söldnerführer Bob Denard, der oft auf den Komoren intervenierte. Er stürzte etwa im September 1975, ein knappes Vierteljahr nach der Unabhängigkeit, den dortigen Präsidenten Ahmad Abdallah, der durch den Putschisten Ali Soilih ersetzt wurde. Im September 1995 war Denard erneut an der gewaltsamen Absetzung eines Präsidenten, Said Mohamed Djohar, beteiligt. Die Waffen waren unter anderem von Francois-Xavier Sidos, einem rechtsextremen Stadtverordneten in Saint-Denis bei Paris, verschickt worden. Kurz darauf berichtete das Wochenmagazin L’Evénement du jeudi über die Komplizenschaft des französischen Auslandsgeheimdiensts, dank derer die Waffen über Le Havre verschifft werden konnten. Erneut sollte Denard der Prozess gemacht werden, in Frankreich, aber auch in Italien, wo er wegen der Rekrutierung von Söldnern im rechtsextremen Milieu belangt werden sollte. Denard starb jedoch 2007 verarmt in Südwestfrankreich in seinem Bett, ohne verurteilt worden zu sein.
Die wiederholten Konflikte, in die die Komoren immer wieder verwickelt wurden, und ihre schlechte Position auf dem Weltmarkt trugen dazu bei, dass der Unterschied zwischen den Lebensverhältnissen in Mayotte und im Rest der Komoren immer größer wird. Dies sorgt für starke Migrationbewegungen. Die beiden Inseln Anjouan und Mayotte werden durch einen Meeresarm von 70 Kilometern Breite getrennt. Seit die französische Regierung 1994 eine Visapflicht für den Verkehr zwischen der übrigen Inselgruppe und Mayotte eingeführt hat – das sogenannte »Balladur-Visum« – versuchen zahlreiche Komorer, illegal überzusetzen. Die Fahrt kostet zwischen 400 und 1 000 Euro und kann, je nach Winden und Meeresströmung, sehr gefährlich werden.
Zum Zeitpunkt des Referendums über die Angliederung Mayottes an Frankreich vor fünf Jahren wurde die Zahl der »Toten des Balladur-Visums« auf 6 000 geschätzt, inzwischen wird sie jedoch bei 10 000 vermutet. Ein Artikel der katholischen Zeitschrift La Vie von vergangener Woche bezeichnet Mayotte als »das Lampedusa des Indischen Ozeans«, unter Anspielung auf die südlich vor Italien vorgelagerte Insel, die als Nadelöhr für die Migration aus Nordafrika dient.