Auch als türkischer Präsident noch fies: Recep Tayyip Erdoğan

Der Sultan hat Durst

Mit Recep Tayyip Erdoğan als neuem Präsidenten der Türkei wird die Repression gegen Oppositionelle weitergehen.

Kurz vor 20 Uhr verließ Recep Tayyip Erdoğan am Sonntag sein Haus im Istanbuler Stadtteil Üsküdar. Mit 51,8 Prozent war er im ersten Wahlgang zum neuen Staatsoberhaupt gewählt worden. Zum ersten Mal hat die türkische Bevölkerung direkt den Präsidenten gewählt. Durchgesetzt hatte dies Erdoğans islamisch-konservative »Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung« (AKP) 2007 mit einem Verfassungsreferendum.
Am 28. August wird er das Amt von Präsident Abdullah Gül übernehmen. Am Wahlabend sprach er ein Dankesgebet in der Moschee Eyüp-Sultan-Camii in Istanbul, bevor er nach Ankara abflog. Die kleine Moschee am Goldenen Horn hat für die islamische Bewegung in der Türkei eine besondere Bedeutung. Die osmanischen Sultane pflegten nach ihrer Ausrufung zum Herrscher über die Gläubigen, hier ihr Schwert in Empfang zu nehmen. Die Symbolik ist eindeutig: Wie ein Sultan soll Erdoğan walten. In der anschließenden Balkonrede in Ankara donnerte er, er wolle eine große, mächtige Türkei in der Welt vertreten. Niemand im Land müsse fürchten, verloren zu haben. »Wir werden in niemandes Lebensstil eingreifen« und »Staat und Volk sind jetzt eins« gehörten zu den Kernsätzen seiner Rede, die Gegnerinnen und Gegner der AKP skeptisch bleiben lässt.
Vor den Wahlen hatte der Ministerpräsident immer wieder angekündigt, ein aktiver, mächtiger Staatschef zu werden. Pressezensur, Monopolisierungen von regierungsnahen Medienkartellen, Korruptionsskandale und die Säuberung des Polizeiapparates und der Justiz von regierungskritischen Personen sprechen eine klare Sprache. Wer gegen die Regierung ist, wird in der Zukunft kein öffentliches Amt mehr bekleiden. Brave Untertanen dürfen Milde erwarten, die Opposition wird die Knute spüren. »Wir wollen eine Fahne, ein Volk, einen Staat«, sagte Erdoğan. Auch für die Kurden gab es eine klare Ansage. »Die Berge gehören uns allen«, verkündete Erdoğan am Wahlabend. Eine Anspielung auf die sich in den südostanatolischen und nordirakischen Bergen verschanzende PKK. Vor den Wahlen hatte die prokurdische »Partei für Frieden und Demokratie« (BDP) auf mehr Einfluss gehofft. Ihr Präsidentschaftskandidat Selahattin Demirtaş vermied ausdrücklich eine Solidarisierung mit der PKK und ihrem Führer Abdullah Öcalan. Gespräche zwischen Vertretern der Regierung und Öcalan auf der Gefängnisinsel Imralı wurden als Kehrtwende in der türkischen Kurdenpolitik gewertet. Hätte Erdoğan die Präsidentschaftswahlen in der ersten Runde nicht gewonnen, wären die kurdischen Stimmen in der zweiten Runde wichtig gewesen.

Mehmet A., ein Istanbuler Lokalpolitiker der BDP, raucht nervös, als er sich in der Istanbuler Zentrale die Rede Erdoğans anhört. Er hätte auch im zweiten Wahlgang den AKP-Kandidaten nicht unterstützt, unterstreicht er, aber das sei jetzt nicht mehr wichtig. Die Kurdinnen und Kurden werden in der nächsten Zeit sehen, ob die Regierung nach dieser Wahl und der eindeutigen Machtkonzentration bei der AKP noch an dem sogenannten Friedensprozess interessiert ist. Zu erwarten ist eher das Gegenteil. Die AKP wird versuchen, die eigene Rolle im vor allem von Kurden bewohnten Südosten zu festigen. Auch wenn Selahattin Demirtaş mit 9,8 Prozent der Stimmen ein gutes Ergebnis erzielt hat, gelang es der Opposition nicht, eine ernsthafte Gefahr für Erdoğan zu werden. Der gemeinsame Kandidat der »Republikanischen Volkspartei« (CHP) und der »Nationalen Bewegungspartei« (MHP), Ekmeleddin Ihsanoğlu, erhielt 38,5 Prozent der Stimmen. Der Vorsitzende der MHP, Devlet Bahçeli, führte das am Wahlabend auf die geringe Wahlbeteiligung von 73,13 Prozent zurück. Tatsächlich haben nur etwa 21 von fast 56 Millionen Wahlberechtigten Erdoğan gewählt. Doch das ist ein Symptom für die Schwäche der türkischen Opposition.
Der als gemäßigter Frommer geltende Ihsan­oğlu, ein Chemiker und Wissenschaftshistoriker, der in Kairo und Ankara ausgebildet wurde und als erster Türke von 2005 bis 2013 als Generalsekretär der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) fungiert hatte, war ein schwacher Kompromiss. Sein Wahlslogan »Brot mit Ekmeleddin« unterschied sich wenig von den populistischen Versprechen der AKP. Sein Werben für religiöse Toleranz konnte viele jüngere Wählerinnen und Wähler, die im vergangenen Jahr gegen die AKP demonstriert haben, nicht begeistern. »Wollt ihr einen Blumentopf als Präsidenten?« hatte Erdoğan im Wahlkampf gehöhnt. Und damit auch vielen seiner Gegner aus der Seele gesprochen. Doch Ihsanoğlu beschwerte sich im Wahlkampf zu Recht über die unfairen Bedingungen. Die staatlich kontrollierten Medien hatten ihre Sendeplätze weitgehend Erdoğan zur Verfügung gestellt, der immer wieder zur besten Sendezeit die Fragen ihm wohlgesinnter Moderatoren beantworten durfte.
Sein Wahlkampf straft deutlich seine Behauptungen am Wahlabend Lügen, der Präsident aller Bürger der Türkei zu sein. Demirtaş wurde abfällig als »der Zaza« tituliert. Die Zaza sind eine kurdische Bevölkerungsgruppe, die überaus stolz auf ihre Herkunft und ihre eigene Sprache ist. »Manche haben mich als Georgier oder noch hässlicher als Armenier bezeichnet«, hatte Erdoğan auf einer Wahlveranstaltung weiter getönt. Doch gerade dieser unverhohlene Nationalismus und der autoritäre Führungsstil setzen sich derzeit in der Türkei durch. Die AKP gilt weiterhin bei vielen als Garant für Wohlstand und Wachstum, auch wenn diese vor allem den Profiteuren der Partei und der etablierten Wirtschaftselite nutzen.

Die türkische Politik dürfte in Zukunft durch noch mehr Machtmissbrauch gekennzeichnet sein. Der AKP nützt bislang bei Wahlen vor allem die Schwäche der Opposition. Also wird sie alles versuchen, um diese weiterhin macht- und einflusslos zu halten. Die Verfassung lässt dem Präsidenten Spielraum bei der Auslegung seiner Befugnisse. Bisherige Amtsinhaber beließen es bei repräsentativen Aufgaben. Mit wenigen Ausnahmen hat der Präsident keine exekutiven Befugnisse, deshalb arbeitet eine Kommission zurzeit an einer neuen Verfassung. Bislang ist die Kommis­sion zerstritten. Ein Präsidialsystem, wie Erdoğan es sich wünscht, konnte daher nicht durchgesetzt werden. Nun werden die nächsten Parlamentswahlen entscheidend sein, die spätestens im Sommer 2015 stattfinden sollen. Präsident Erdoğan wird jedoch sicher seinen Einfluss in der AKP-Fraktion geltend machen, die im Parlament fast zwei Drittel der Sitze innehat.
Unklar ist noch, wer der neue Parteivorsitzende der AKP und Ministerpräsident wird. Es wird gemunkelt, dass die AKP ihren Parteikongress noch vor der Übergabe des Amtes an Erdoğan abhalten möchte. Damit würde der amtierende Präsident Gül als Amtsanwärter ausscheiden. Obwohl Gül sich als Präsident nie gegen Erdoğan gestellt hat, galt er immer als mäßigendes Element in der Partei. Erdoğan wird wichtige Positionen nur willfährigen Getreuen zukommen lassen. Mit Turgut Özal begann 1989 die Praxis, dass Ministerpräsidenten in der Türkei sich zum Zwecke des Machterhalts zu Staatspräsidenten wählen lassen. Doch damals gab es noch das Militär als Gegenpol. Mit dessen Entmachtung hat eine neue Phase in der türkischen Politik begonnen. Es bleibt abzuwarten, ob die Partei Erdoğan alle Belange des Landes dominieren lässt oder ob sich innerhalb der islamisch-konservativen Bewegung bis zu den Parlamentswahlen eine Opposition gegen ihn bildet. Die außerparlamentarische Opposition wächst jedenfalls stetig. Dementsprechend wird Erdoğan alles tun, um repressiv gegen alle Gegner vorzugehen. Frömmelei, Nationalismus, Zensur, Vetternwirtschaft und eine Instrumentalisierung des Sicherheits-und Justizapparates sind seine bewehrtesten Mittel dazu.