Ali Alfoneh im Gespräch über die Rolle des Iran im Konflikt im Irak

»Der Iran trägt einen Teil der Schuld«

Der im Iran geborene Ali Alfoneh forscht vor allem über die Geschichte und den wachsenden Einfluss der iranischen Revolutionsgarden. Derzeit ist er für die Foundation for Defense of Democracies in Washington tätig. Mit der Jungle World sprach er über die iranische Mitverantwortung für die Krise im Irak und wie das Regime in Teheran davon profitieren könnte.

Welche Verantwortung kommt der Islamischen Republik Iran für die Situation im Irak zu?
Der Iran trägt einen Teil der Schuld für die aktuellen Entwicklungen. Die Islamische Republik hat im Geheimen alle Milizen, schiitische wie sunnitische, bewaffnet, die bereit waren, nach 2003 gegen das US-Militär zu kämpfen. Offensichtlich hat die Unterstützung des Iran für die schiitische Machtübernahme im Irak nach dem Rückzug der USA 2010 die Sunniten marginalisiert. Einige von diesen organisierten sich in radikalen Milizen und wurden durch regionale Rivalen des Iran ermutigt, finanziert und bewaffnet, um gegen die Regierung in Bagdad zu kämpfen und ihre verlorene Position im Irak zurückzuerlangen. Die Schwächung der Zentralregierung hat wiederum den kurdischen Separatismus gestärkt und den Weg zu einem souveränen kurdischen Staat geebnet, der eine Bedrohung für Nachbarstaaten mit kurdischer Minderheit darstellen könnte, und dazu gehört auch der Iran. Zudem wird die Regierung in Teheran durch das erneuerte militärische Engagement der USA im Irak direkt mit der stärksten Militärmacht der Welt konfrontiert.
Große Teile des Irak stehen nun unter Kontrolle des radikal antischiitischen »Islamischen Staat« (IS), der proiranische irakische Premierminister Nuri al-Maliki musste zurücktreten, US-Streitkräfte sind wieder im Irak aktiv und die Kurden sind dabei, sich vom Irak abzuspalten. Ein strategisches Desaster für den Iran?
Die jüngsten Entwicklungen im Irak eröffnen für den Iran zugleich Gefahren und Chancen, so dass man kaum von einem strategischen Desaster sprechen kann. Die Regierung in Teheran ist in der Lage, jede der Bedrohungen in eine Chance zu verwandeln. Ein kurdischer Staat und erneuerte US-Militärpräsenz im Irak mögen eine Bedrohung darstellen, aber das Aufkommen des IS bereitet auch den Weg für Kooperationen mit den Kurden und den Vereinigten Staaten bei der Bekämpfung eines gemeinsamen Feindes. Beispielsweise finden sich die USA, die bislang stets die Präsenz der Quds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden auf irakischem Boden verurteilt haben, heute im Kampf gegen den IS mit den Quds-Brigaden verbunden. Die Erfolge des IS haben zudem den Einfluss des Iran auf die irakischen Schiiten vergrößert, die angesichts eines starken sunnitischen Feindes nun noch abhängiger vom Iran sind. Das wird die irakischen Schiiten davon abhalten, eine Politik zu betreiben, die unabhängig von oder im Widerspruch mit iranischen Wünschen ist.
Wie sind die Beziehungen des neuen irakischen Premierministers Haidar al-Abadi mit dem Iran?
Es ist nicht viel über seine frühere Beziehung zum Iran bekannt. Man weiß, dass er 1980 als Sprecher der irakischen al-Da’wa-Partei in Beirut, im Libanon, im Exil war. Al-Abadi könnte in den frühen achtziger Jahren Rekrutierungsversuchen seitens des Iran ausgesetzt gewesen sein. Es könnte aber auch andersherum gewesen sein, denn in dieser Zeit wurden viele radikale schiitische Aktivisten durch die Etablierung des revolutionären schiitischen Regimes im Iran ermutigt, die Regionalpolitik der Islamischen Republik zu infiltrieren und zu beeinflussen. Man glaubt heute, dass al-Abadi die Unterstützung von Admiral Ali Shamkhani genießt, dem Sekretär des Obersten Nationalen Verteidigungsrats des Iran.
In Ihren Analysen schreiben Sie viel über die Konflikte zwischen dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani und den iranischen Revolutionsgarden. Gibt es auch Konflikte über die Irak-Politik, und falls ja, wer hat dabei die Oberhand?
Der Irak fällt traditionell in die Zuständigkeit der Revolutionsgarden und Major General Qassem Suleimani, Kommandant der Quds-Brigaden, hat wahrscheinlich mehr Einfluss auf Irans Irak-Politik als Präsident Rohani. Es ist jedoch schwer, bedeutende Unterschiede in der Irak-Politik von Präsident Rohani und den Revolutionsgarden auszumachen. Schließlich war Rohani selbst Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrats und er teilt viele der Grundüberzeugungen über Irans Regionalpolitik mit den Revolutionsgarden.
Sind die Revolutionsgarden oder andere iranische Kräfte direkt oder indirekt in die Kämpfe gegen den IS im Irak involviert?
Von offizieller Seite hat der Iran die Präsenz der Revolutionsgarden im Irak nicht bestätigt, aber Berichte über einige Beerdigungen von Mitgliedern der Revolutionsgarden und der Quds-Brigaden, die im Irak zu »Märtyrern« wurden, sind ein klares Zeichen für deren Präsenz im Irak.
Stellt der IS eine Bedrohung für den Iran selbst dar?
Die Aussicht auf ein IS-Regime im Irak stellt ein Sicherheitsrisiko für den Iran dar, ebenso ein sunnitischer Aufstand, der Flüchtlingsströme über Irans westliche Grenzen zur Folge haben könnte, aber in seiner derzeitigen Form ist der IS für die Regierung in Teheran eher ein Ärgernis als eine Bedrohung.
Die USA und der Iran haben mit dem IS anscheinend den gleichen Feind. Aber haben sie wirklich gemeinsame Interessen im Irak und bietet der Kampf gegen den IS die Chance für diplomatische Annäherung, wie viele Kommentatoren meinen?
Die USA und die Islamische Republik Iran haben bereits in der Vergangenheit gegen gemeinsame Feinde kooperiert: Die Sowjetunion und ihre Verbündeten in Afghanistan, Saddam Husseins Irak und die Taliban brachten alle taktische Kooperationen zwischen den beiden Staaten hervor, aber diese führten nicht zu einer Veränderung der strategischen Beziehungen zwischen den USA und dem Iran. Das liegt natürlich daran, dass die beiden Staaten fundamental gegensätzliche Interessen in der Region verfolgen. Der Iran hat sich durchgängig einen Rückzug der USA aus dem Nahen Osten gewünscht, während sich die USA traditionell als Wächter eines freien Flusses von Energie aus dem Persischen Golf für die Weltökonomie verstanden haben. Es ist unwahrscheinlich, dass die USA den Persischen Golf und die Straße von Hormuz nicht länger als strategisch unverzichtbar für die eigenen nationalen Interessen betrachten werden. Es ist zudem unwahrscheinlich, dass die USA ihre arabischen Verbündeten in der Region des Persischen Golfs durch den Iran und seine Verbündeten im Irak, in Syrien und im Libanon austauschen. Einige Strategen in Washington mögen bereit sein, eine Politik weiterzuverfolgen, die eine Machtbalance zwischen dem Iran und seinen Verbündeten auf der einen und Saudi-Arabien und seinen Verbündeten auf der anderen Seite aufrechterhält. Aber diese Balance wird sich wahrscheinlich nicht als friedlich erweisen.
Wie sehen Sie die Zukunft des Irak? Ist eine Spaltung des Landes unvermeidbar und wie stünde man in Teheran zu solch einem Schritt?
Das graduelle Auseinanderbrechen des irakischen Staates ist seit den neunziger Jahren im Gange und ist anscheinend eine Frage des »wann« und nicht des »ob«. Dieser Prozess ist den politischen Strategen im Iran so bewusst wie den unseren. Die iranische Regierung mag rhetorisch den geopolitischen Veränderungen in der Region entgegentreten, hat es aber bislang geschafft, mit der Aserbaidschanischen Republik und mit Turkmenistan zu koexistieren, obwohl beide in unterschiedlichem Maße ethnische Herausforderungen für die Zentralregierung in Teheran darstellen. Ich vermute, das wäre auch im Falle eines souveränen Staats Kurdistan der Fall.