Der Gaza-Krieg und die extreme Rechte in Frankreich

Ein Jein für Gaza

Der Gaza-Krieg beschäftigt extreme Rechte in Frankreich ebenso wie die Aufnahme irakischer Flüchtlinge. Einig sind sie sich nur, wenn es um Flüchtlinge geht.

Konflikte wie der jüngste Krieg im Gaza-Streifen sind für die extreme Rechte in Frankreich stets heikel. Denn solche Auseinandersetzungen stellen sie vor ideologische Fragen: Soll man nun dem Antisemitismus oder dem antiarabischen Rassismus den Vorrang geben? In der Vergangenheit versuchte die extreme Rechte häufig, beides zu vereinen. Mittlerweile muss vor allem der Front National (FN) auch sein öffentliches Image in solchen Entscheidungen berücksichtigen, möchte er doch nicht, dass Skandale den Weg zur Beteiligung an der politischen Macht verbauen.

Um welches Ausmaß an Macht es geht, hat eine Umfrage gezeigt, deren Ergebnisse am 31. Juli veröffentlicht wurden. »Falls die Präsidentschaftswahl von 2017 am kommenden Sonntag stattfinden würde«, würde Marine Le Pen, die Vorsitzende des FN, der Umfrage zufolge im ersten Durchgang den ersten Platz vor den anderen Bewerbern erringen. Die rechtsextreme Politikerin erhielt in der Befragung 26 Prozent der Stimmen, hinter ihr lag Nicolas Sarkozy mit 25 Prozent, für den amtierenden Staatspräsidenten François Hollande und Premierminister Manuel Valls sprachen sich jeweils 17 Prozent der Befragten aus. Le Pen und Sarkozy trügen in einem solchen Fall die Stichwahl aus. Solche Aussichten möchte der FN nicht gefährden.
Ohnehin gehen die Meinungen zu Israel und den Palästinensern in der Partei auseinander. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass sich die Führung des FN mit offiziellen Parteinahmen im jüngsten Konflikt zurückhielt. Sie beließ es meist, jedenfalls nach außen, bei erklärter Neu­tralität, die Konflikte im Ausland sind demnach belanglos, nur die französischen Interessen zählen. Zugleich richteten sich Funktionäre gegen Gaza-Demonstrationen, die in Frankreich überwiegend von Linken sowie Einwanderern und ihren Nachfahren abgehalten wurden. Louis Aliot, einer der fünf stellvertretenden Vorsitzenden des FN, verwahrte sich öffentlich dagegen, dass Demonstranten »den Konflikt in unser Land importieren«. Er forderte betreffende Personen – »ich denke da besonders an die Propalästinenser« – dazu auf, Frankreich zu verlassen und die Auseinandersetzung im Nahen Osten auszutragen.
Doch nicht alle in Aliots Reihen sind dieser Ansicht. Florian Philipot, ebenfalls stellvertretender Parteivorsitzender des FN, prangerte in einer Diskussionsrunde des Radiosenders RMC das Verbot antiisraelischer Demonstrationen mit der Begründung, sie seien eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, als Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung an. Er lehnte es ab, die Hamas zu verurteilen. Es sei an Israel, »die unerträglichen Bombardierungen sofort zu beenden«. Das Geschehen im Gaza-Streifen sei »apokalyptisch«, die Bevölkerung stehe kurz davor, »massakriert zu werden«.
Auch auf der Straße ergriffen Rechtsextreme Partei. Im Anschluss an eine vorab verbotene, aber dennoch abgehaltene Gaza-Kundgebung am letzten Samstag im Juli wurden in Paris etwa 60 Personen festgenommen. Bei einigen handelte es sich um Teilnehmer der Kundgebung, die versucht hatten, die Polizei zu provozieren. Einige Aufgegriffene kamen jedoch nicht aus der Demonstration, sondern wurden weiter entfernt festgenommen, als sie sich für eine »Strafexpedition« in den Pariser Stadtteil Marais, das alte jüdische Viertel, begeben wollten. Ein 18jähriger, der wegen dieser geplanten Attacke im Eilverfahren dem Gericht vorgeführt wurde, berief sich auf seine Nähe »zu den Ideen des Front National«. In einer Nachricht bei Twitter verkündete Jordan Bardella, der neue Bezirkssekretär des FN im Département Seine-Saint-Denis, das die nördlichen Pariser Vorstädte umfasst, der Angeklagte sei »nicht Parteimitglied, aber Kandidat auf einer unserer Listen« zu den Kommunalwahlen im März 2014 gewesen.

An den Gaza-Demonstrationen beteiligte sich auch eine neue Gruppe mit dem Namen »Gaza Firm«. Sie besteht hauptsächlich aus Ultras des Fußballvereins Paris Saint-Germain, auch ihr Anführer Mathias Cardet, dessen richtiger Name nach Angaben von Libération Thomas N’Lend ist, war früher ein Ultra. Mittlerweile ist er jedoch Buchautor und ein politischer Freund des antisemitischen, rechtsextremen Schriftstellers Alain Soral. Dieser begrüßte die Gründung von Gaza Firm ausdrücklich. Der Antisemitismus von Gaza Firm ist offensichtlich ganz nach dem Geschmack des Schriftstellers, der sich selbst als »französischen Nationalsozialisten« bezeichnet. »Endlich eine Verteidigungsliga für Goy?« fragte Soral auf seiner Internetseite. Gaza Firm spricht von »Nazi-Zionisten«, Cardet trat nach Erkenntnissen von Libération öffentlich mit einem T-Shirt auf, auf dem der Slogan »Anti-SS« stand – eine Abkürzung für »anti suceurs de sionistes«, auf Deutsch: »gegen zionistische Schwanzlutscher«.
Die Parteivorsitzende des FN, Marine Le Pen, äußerte am 1. August hingegen ihr Verständnis für die gewalttätige rechtsextreme »Jüdische Verteidigungsliga« (LDJ). Die französischen Juden litten besonders unter der verbreiteten »Unsicherheit«, sie müssten sich deshalb verteidigen können, so die Vorsitzende. Allerdings wurde die LDJ, anders als ihr Name suggeriert, nicht in Reaktion auf eine tatsächliche Bedrohung gegründet, sondern ist lediglich der französische Ableger der Jewish Defence League, einer rassistischen Organisation, die 1968 in New York geschaffen wurde. Diese wird vom FBI als terroristisch eingestuft, auch ihr Ableger in Israel ist wegen rechtsterroristischer Taten verboten – anders als das französische Pendant. Am 30. Juli hat jedoch das französische Innenministerium unter Bernard Cazeneuve angekündigt, das Verbot der LDJ endlich zu prüfen.
Ein weiteres Thema, das derzeit für eine Debatte sorgt, ist die Aufnahme von Christen aus dem Irak, die dort von den Gotteskriegern des im Juni ausgerufenen Kalifats mit dem Tod bedroht werden. Innenminister Cazeneuve kündigte an, ihnen als bedrohter Minderheit in Frankreich Aufnahme zu gewähren. Die Solidaritätsinitiativen für Migranten und antirassistische Verbände bleiben bisher jedoch skeptisch. Warum nur Christen und nicht auch andere bedrohte Menschen aus dem Irak wie etwa Yeziden, Muslime, die sich dem »Islamischen Staat« nicht unterwerfen wollen, und Atheisten aufgenommen werden sollen, bleibt von der Regierung unbeantwortet. Zugleich kritisieren die Gruppen den bislang nur sehr allgemeinen Charakter von Cazeneuves Ankündigung.
Die konservative Opposition betreibt hingegen eine Kampagne, um besondere Solidarität mit den bedrohten Christen im Nahen Osten einzufordern. Aus ihrer Sicht ist dies auch ein probates Mittel, um den »christlichen Charakter« Europas zu betonen und öffentlich vor einer wachsenden »islamischen Bedrohung« zu warnen. Eine Reihe konservativer Prominenter nahm am 28. Juli an einer Kundgebung für die irakischen Christen vor der Kathedrale Notre-Dame in Paris teil.
Der FN wiederum setzt sich gegenüber dieser Solidaritätskampagne ab, um seine Ablehnung jeglicher Zuwanderung zu bekräftigen. Louis Aliot sagte Ende Juli, es sei eine besondere Solidarität mit den irakischen Christen nötig – aber nicht ihre Aufnahme in Frankreich, wo man bereits überlastet sei und nun einmal »nicht alles Elend der Welt aufnehmen« könne. Marine Le Pen griff dies am folgenden Tag auf und fügte hinzu: »Die Christen im Irak wollen bei sich zu Hause leben, in ihrem Land, das ist unsere Verantwortung.« Womit selbstverständlich gemeint war: Es liegt nicht in der Verantwortung Frankreichs, sie aufzunehmen.