Die Rolle Pakistans im Kampf gegen den islamistischen Terror

Der ambivalente Frontstaat

Seit dem 11. September 2001 ist Pakistan einer der wichtigsten Schauplätze des Kampfes gegen den islamistischen Terror. Der radikale militante Islamismus findet zwar auch hier viele Anhänger, trotzdem scheint ein Erfolgszug wie derzeit in Syrien und dem Irak unwahrscheinlich.

Entgegen aller Horrorszenarien existiert Pakistan weiterhin – nicht zuletzt, weil sich das pakistanische Militär, jener mächtige Staat im Staate, als Garant der Einheit des Landes jenseits von ethnischen Zugehörigkeiten sieht und bis heute die Strippen im Hintergrund zieht. Aber gesellschaftlich hat sich vieles verändert in den vergangenen Jahren, in der Regel zum Schlechten. Ein Klima der Angst und des Misstrauens vergiftet vielerorts das Miteinander. Der Islamisierungsprozess Pakistans, der bereits in den achtziger Jahren unter der Militärdiktatur Zia ul-Haqs das politische Leben, die Gesetzgebung und den Alltag prägte, setzt sich insbesondere seit dem Beginn des Antiterrorkriegs im Herbst 2001 fast ungehindert fort. Während auf Angriffe auf den pakistanischen Staat hart reagiert wird, fällt das Engagement nach Gewalttaten gegenüber und zwischen religiösen Gruppen sehr zurückhaltend aus. Die schwammigen Blasphemiegesetze werden gerne bei Nachbarschaftskonflikten missbraucht und sogenannte Ehrenmorde sowie andere Gewaltakte, wie Säureattacken auf Frauen und Mädchen, selten geahndet.

Mit der vorübergehenden Vertreibung der Taliban und ihrer ausländischen Verbündeten aus Afghanistan, darunter auch radikale pakistanische Islamisten, setzte ein Zustrom radikaler Kräfte ein, der sich bald als immenses Problem erweisen sollte. Jahrelang hatten die zivilen und militärischen Machthaber in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad einen Großteil dieser Kräfte unterstützt, um ihre strategischen Interessen in Afghanistan zu stärken. Die Beziehungen reichen bis in die Zeit vor dem sowjetischen Einmarsch in das westliche Nachbarland Ende der siebziger Jahre zurück.
Wegen des hohen außenpolitischen Drucks, insbesondere der USA, des wichtigen Verbündeten des pakistanischen Militärs und größten Geldgebers, vollzog die Regierung unter dem Putschistengeneral und späteren Präsidenten Pervez Musharraf nach außen hin eine Kehrtwende. Zahlreiche hochrangige al-Qaida-Terroristen wurden von den pakistanischen Sicherheitsbehörden verhaftet, darunter Khalid Sheikh Mohammed, der mutmaßliche Planer der Anschläge vom 11. September 2001, der zudem die Ermordung des US-Journalisten Daniel Pearl befohlen haben soll. Pearl wurde im Januar 2002 in der Hafenmetropole Karatschi entführt und enthauptet.

Weitgehend ungeklärt ist jedoch, wie es al-Qaida-Führer Ussama bin Laden gelingen konnte, unbehelligt in Pakistan unterzutauchen. Der Bericht der Untersuchungskommission, welche die Umstände des Einsatzes und der Erschießung bin Ladens in der Nacht zum 2. Mai 2011 durch ein US-Spezialkommando in der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad aufklären sollte, ist bis heute unter Verschluss. Eine dem arabischen Nachrichtennetzwerk al-Jazeera zugespielte Kopie stellt angeblich ein eklatantes massives Versagen der Sicherheitsbehörden und insbesondere des militärischen Geheimdienstes Directorate of Inter-Services Intelligence fest; demnach konnte bin Laden über neun Jahre lang an unterschiedlichen Orten in Pakistan untertauchen. Seit 2005, dem Jahr, in dem bin Laden seinen letzten Unterschlupf in Abbottabad bezog, sei die Suche nach ihm seitens der Sicherheitsbehörden de facto eingestellt gewesen. Mögliche Helfer bin Ladens wurden bislang kaum von der pakistanischen Justiz belangt, ganz im Gegensatz zu mutmaßlichen CIA-Agenten wie dem Arzt Shakil Afridi, der mit Hilfe einer inszenierten Impfkampagne geholfen haben soll, DNA-Proben von bin Ladens Verwandten in Abbottabad zu sammeln.
Gegenüber militant-islamistischen Gruppierungen verfolgen die pakistanischen Regierungen und das Militär seit Jahrzehnten ein doppelbödige Politik. Solange diese von strategischem Nutzen gegenüber den Nachbarstaaten sind, insbesondere gegenüber dem Erzfeind Indien und eher indienfreundlichen Staaten wie Afghanistan und zum Teil auch dem Iran, können sie mit Duldung bis hin zu informeller Unterstützung rechnen. Gerade auch die unsichere Zukunft Afghanistans und der Rückzug der Nato-Truppen lässt ein Zurückfallen in alte Handlungsmuster befürchten. Problematisch wird das Ganze, wenn die Netzwerke, wie beispielsweise bei den Terrorattacken in Mumbai 2008, auffliegen. Bislang halten sich die Gruppen im Gegenzug aus innerpakistanischen Konflikten weitestgehend heraus. So kommt es, dass die pakistanischen Taliban, die seit Jahren vor allem im Nordwesten des Landes tätig sind, keine Unterstützung seitens der meisten afghanischen Taliban-Fraktionen genießen. Gleichzeitig bestehen jedoch gute Kontakte, einerseits da viele Pakistaner jahrzehntelang in Afghanistan aktiv waren und andererseits, weil innerhalb einiger der paschtunischen Clans im Grenzgebiet familiäre Beziehungen bestehen. Zudem haben sich ausländische Kämpfer lokal eingeheiratet.
Die pakistanischen Regierungen haben in den vergangenen Jahren lange untätig dem Treiben islamistischer Militanter zugesehen und erst dann zurückgeschlagen, wenn es ihnen doch zu bunt wurde, wie bei den monatelangen Auseinandersetzungen um die Rote Moschee in der Hauptstadt Islamabad im Jahr 2007 oder der vom Swat-Tal ausgehenden Offensive pakistanischer Taliban im Jahr 2009. Durch das Erstarken islamistischer Terrorgruppen in den unter Bundesverwaltung befindlichen autonomen Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan sah sich die Armee im Frühjahr 2004 gezwungen, erstmals seit der Unabhängigkeit Pakistans im Jahre 1947 dort einzumarschieren. Seitdem herrscht dort, zusätzlich zum Drohnenkrieg der USA und den gelegentlichen Scharmützeln entlang der umstrittenen Grenze zwischen pakistanischen und afghanischen Grenztruppen, auch noch ein bürgerkriegsähnlicher Zustand. Wegen der regelmäßigen Großoffensiven des Militärs suchen Hunderttausende Menschen Zuflucht in Flüchtlingslagern.

Mehrere Millionen Pakistaner flohen im Laufe des vorigen Jahrzehnts aus den Stammesgebieten und der angrenzenden Provinz Khyber Pakhtunkhwa in andere Landesteile, was teilweise zu weiteren Konflikten wie ethnischen Spannungen in Karatschi, einer Metropole mit 23 Millionen Einwohnern, führt. Inzwischen agieren Terrorgruppen landesweit und neben Repräsentanten der Regierung und Armeeeinrichtungen werden seit Jahren sufistische Sunniten und religiöse Minderheiten wie Schiiten, Ismailiten, Ahmadis, Christen, Hindus, Sikhs und Kalasha attackiert und drangsaliert. Der Blutzoll in Pakistan beläuft sich dem südasiatischen Terrorismusportal des Instituts für Konfliktmanagement in Delhi zufolge auf fast 54 000 Tote seit dem Jahr 2003.
Die wahren Machthaber Pakistans, die hohen Militäroffiziere, sitzen derweil sicher in ihren Offizierscasinos und nippen dabei gelegentlich heimlich am verbotenen Whisky, während sie sich in strategischen Gedankenspielen üben. Im Zweifel scheint die Bevölkerungsmehrheit ihnen mehr zuzutrauen als vermeintlich korrupten Politikern und zauselbärtigen Eiferern.