In Nordirland wird über das Unabhängigkeitsreferendum in Schottland diskutiert 

Mit Keynes gegen Cameron

Das bevorstehende Unabhängigkeitsreferendum in Schottland führt auch in Nordirland zu Diskussionen. Protestantische Loyalisten warnen vor einer Abspaltung.

Sollte das schottische Unabhängigkeitsreferendum am 18. September Erfolg haben, hätte dies nicht nur Konsequenzen für Schottland und die britische Regierung, sondern auch für Nordirland. Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 ist Nordirland weitestgehend befriedet, jedoch sind die grundsätzlichen Konflikte zwischen Protestanten und Katholiken, Loyalisten und Nationalisten nicht gelöst. Eine Veränderung der staatlichen Konstellation Großbritanniens könnte diese wieder eskalieren lassen.
Viele der probritischen nordirischen Loyalisten identifizieren sich mit Schottland. Die Besiedlung Nordirlands durch Protestanten im 18. Jahrhundert wurde vor allem von Schottland aus betrieben. Eine Nähe zu Großbritannien sieht ein Großteil der Loyalisten aufgrund ihrer vermeintlich schottischen Identität. Der Loyalismus bezieht sein Selbstverständnis somit auch aus der Union zwischen Schottland und England. Zum anderen sind auch die politischen Verbündeten der loyalistischen Gemeinde außerhalb Nordirlands hauptsächlich in Schottland zu finden. Der pro­britische Oranierorden hat außer in Nordirland vor allem in Schottland Mitglieder. Seine jährlichen Märsche in Belfast, die die protestantische Vormacht in Nordirland demonstrieren sollen, führen immer wieder zu Ausschreitungen zwischen Katholiken und Protestanten. Auch in Schottland finden solche Märsche statt.

So ist es nicht verwunderlich, dass loyalistische Parteien vor einer Unabhängigkeit Schottlands warnen. Durch die Abspaltung von Großbritannien würde ein wichtiger Identifikationspunkt, aber auch ein bedeutender Teil der politischen Unterstützer der Union zwischen Großbritannien und Nordirland wegfallen. Tom Elliot, ein Politiker der loyalistischen Unionistenpartei Ulsters (UUP), sagte bereits 2012, die Schottische Nationalpartei (SNP) sei eine größere Bedrohung für die Einheit Großbritanniens als die Gewalt der Irisch-Republikanischen Armee (IRA).
Nach dem Ende der bürgerkriegsähnlichen Zustände in Nordirland durch das Karfreitagsabkommen haben die paramilitärischen Gruppen auf beiden Seiten an Bedeutung verloren. Eine Unabhängigkeit Schottlands könnte aber wieder zu verstärkten Aktivitäten von loyalistischen paramilitärischen Gruppen führen. Andere bewaffnete nationalistische Splittergruppen könnten ebenso ihre Chance wittern und eine Eskalation herbeiführen.
Dem stehen weiterhin politisch aktive Katholiken gegenüber. Denn die Nationalisten der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin, vormals der legale Arm der IRA, befinden sich in einer komfortablen Position. Die jüngsten Europa- und Kommunalwahlen haben der Partei sowohl in der Republik Irland als auch in Nordirland große Stimmengewinne beschert. Ihr Erfolg beruhte vor allem auf ihren keynesianischen und sozialdemokratischen wirtschaftspolitischen Forderungen in Hinblick auf das europäische Krisenmanagement. Und darin ähnelt sie der SNP.
Beide nationalistischen Parteien kritisieren insbesondere die Sozialstaatsreform des britischen Premierministers David Cameron. Gerry Adams, der Vorsitzende der Sinn Féin, behauptet, der Friedensprozess in Nordirland stehe vor der größten Herausforderung seit dem Karfreitagsabkommen. Er wirft der loyalistischen Demokratischen Unionistenpartei (DUP), der stärksten Partei in Nordirland, vor, sich nicht gegen den Abbau des Sozialstaats durch die britische Regierung zu stellen. Die DUP, die zusammen mit der Sinn Féin in Nordirland regiert, verhalte sich parteiisch für die britische Regierung. Sozialpolitische Forderungen werden so zu nationalistischen Positionen.
Sinn Féin beteiligt sich zwar kaum an der britischen Diskussion über die Unabhängigkeit Schottlands, jedoch verwies Adams darauf, dass die Unabhängigkeit auch eine Möglichkeit sei, den Status quo Nordirlands zu revidieren. Mit dem Karfreitagsabkommen gibt es zumindest rechtlich eine Grundlage für die Bevölkerung in Nordirland, einen ähnlichen Weg wie die schottischen Nationalisten zu gehen. Es sieht, wie in Schottland, ein Referendum vor.