Jeffrey Gedmin im Gespräch über den »War on Terror« und die US-amerikanische Außenpolitik

»Präsident Obama hat keine strategischen Vorstellungen«

Jeffrey Gedmin ist Senior Fellow an der Georgetown University, zuvor war er unter anderem Leiter des Aspen-Instituts in Berlin und von Radio Free Europe/Radio Liberty in Prag. Der 58jährige gilt als liberaler Neocon mit guten Kontakten zur ehemaligen Bush-Administration. Mit der Jungle World sprach er über die Lehren aus dem »War on Terror«, die heutige Außenpolitik der USA und die Lage im Nahen Osten.

Kurz nach dem 11. September 2001 waren Sie Mitunterzeichner eines offenen Briefes an Präsident George W. Bush, in dem es hieß, dass »jede Strategie mit dem Ziel der Auslöschung von Terrorismus und seiner Förderer die Entfernung Saddam Husseins von der Macht im Irak beinhalten muss. Eine solche Anstrengung zu unterlassen, würde ein frühes und vielleicht entscheidendes Aufgeben im Krieg gegen den internationalen Terrorismus bedeuten.« Wie bewerten Sie diese Sätze mit Blick auf die heutige Situation im Irak und dem Nahen Osten?

Ich habe damals fest daran geglaubt, dass Saddam Hussein eine Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit ist. Ein wichtiger Faktor war die barbarische Behandlung der irakischen Bevölkerung. Er hat Nachbarn bedroht und Krieg gegen den Iran geführt. Zu seinen Massenvernichtungswaffenprogrammen, über die er gelogen hatte, gehörten ein Atomprogramm während des ersten Golfkrieges und später Chemiewaffen. Es ist ein wunder Punkt, dass wir dann keine Massenvernichtungswaffen gefunden haben und das hat die Glaubwürdigkeit von Bush, Blair und Leuten wie mir beschädigt. Saddam hatte ganz offen das internationale Recht abgelehnt, hatte in zwölf Jahren über ein Dutzend UN-Sicherheitsratsresolutionen verletzt. Ein letzter Grund war, dass er offen die Attacken des 11. September pries, was für die USA zu dieser Zeit sehr bedeutend war.
Ich glaube, dass es überzeugende Gründe und eine vernünftige Strategie gab. Aber Strategien müssen auch gut umgesetzt werden und hier haben die USA und ihre Verbündeten schwer versagt. Dieses Versagen hat zu Instabilität und Unruhe, zu sehr großen Verlusten an Menschenleben geführt. Wenn jetzt die nächste Frage lauten würde, ob ich das mit dem heutigen Wissen noch als die richtige Politik ansähe, wäre die Antwort: Absolut nein. Die Kosten dafür waren katastrophal.

Gab es irgendetwas im westlichen »Krieg gegen den Terror« seit 2001, das man als Erfolg werten könnte?

Im Leben geht es immer um eine Balance und ich versuche, eine Balance zwischen zwei extremen Sichten auf den Krieg gegen den Terrorismus, auf den Irak und den Nahen Osten einzunehmen. Das eine Extrem, das ich ablehne, ist ein klassische »realistische« Sicht, der es um Machtausgleich, Stabilität und Wirtschaftskontakte geht. Ihr zufolge ist es egal, ob Tyrannen ihre Bevölkerung terrorisieren, solange es unsere Tyrannen sind und das Öl fließt. Der entgegengesetzten Extremposition würde ich entgegenhalten, dass die US-Außenpolitik keine Menschenrechtsgruppe ist. Wir können nicht wegen jeder Ungerechtigkeit an jedem Ort zu jeder Zeit intervenieren. Ich halte es für eine vernünftige, verantwortungsvolle Mittelposition, dass westliche Demokratien moralische Verantwortung für andere Menschen und Länder tragen, die im wesentlichen ein ähnliches System anstreben, mit Rechtsstaatlichkeit, einer verantwortlichen Regierung, Pluralismus, Toleranz, Respekt für Diversität. Eine Intervention zu ihren Gunsten muss nicht immer militärisch sein, sie kann wirtschaftlich, politisch, durch NGOs, die Unterstützung von Frauengruppen etc. erfolgen. Wie alle Länder müssen auch jene im Nahen Osten ihren eigenen Weg finden. Wir brauchen einen Mittelweg zwischen kaltem Realismus und naivem Idealismus und wir müssen die Grenzen unseres Einflusses erkennen und die oft sehr komplexen lokalen Verhältnisse verstehen.

Viele Stimmen in den USA und der Welt kritisieren Barack Obama als schwachen Präsidenten, der bei Krisen wie der im Irak keine Führungsstärke zeigt. Aber reflektiert seine Politik nicht ganz demokratisch eine isolationistische Grundhaltung in der US-Bevölkerung? Und ist diese nicht ein Resultat des Scheiterns im Irak?

Das ist richtig. Eine oft nicht verstandene historische Tatsache hinsichtlich der USA, die von der Geschichte und durch Meinungsumfragen bestätigt wird, ist, dass Amerikaner sehr ambivalente und zerrissene Internationalisten sind. Wir wollen überall sein und haben einen missionarischen Eifer, aber wir wollen es auch nicht zu sehr. Wir wollen uns einmischen, aber wir wollen auch eine Strategie für den Rückzug haben. Barack Obama wurde Präsident, als es im Irak sehr schlecht lief und Afghanistan eine sehr unsichere Entwicklung nahm. Die Amerikaner sind skeptisch, zögern, haben genug – und er reflektiert das. Doch meiner Meinung nach hat er als Präsident die Verantwortung, Politik nicht ohne Zustimmung zu machen, aber auch, die Öffentlichkeit zu überzeugen. Ich werfe ihm vor, keine strategischen Vorstellungen zu haben. Er sagt, er habe noch keine Strategie für den Islamischen Staat (IS), und das ist auch sicher sehr schwer. Aber das ist der Job des US-Präsidenten und anderer gewählter Führer. Egal, ob es um den Irak oder die Ukraine geht, sind wir sehr vorsichtig und reaktiv geworden. Wir sollten uns besser fragen, was wir dort in fünf, sieben oder zehn Jahren erreichen wollen, und dann sollten wir uns über die Taktik und die zur Verfügung stehenden Mittel unterhalten und darüber, wie viel wir investieren und riskieren wollen. Obama reflektiert die Zögerlichkeit der Gesellschaft, die es nicht ohne Grund gibt, und das kreide ich ihm nicht an, aber er hat keine Vision, keine Strategie dafür, was die USA mit ihren Verbündeten erreichen wollen.

Wird Obama nicht gerade gezwungen, trotz seiner Zögerlichkeit wieder stärker einzugreifen?

Ja, das sehe ich so, und auch darüber sollten wir besorgt sein. Er wird von verschiedenen Interessengruppen, seinen Sicherheitsberatern und Teilen der öffentlichen Meinung gedrängt, zu handeln. Für den Irak oder Syrien gibt es aber keine einfachen, billigen Lösungen. Man kann diese Konflikte vielleicht sowieso nur verwalten, nicht lösen. Es geht wieder um Balance. Man kann nicht sagen, dass Bush falsch lag und jetzt alles katastrophal ist, es uns aber nichts angeht. Gleichfalls ist es nicht möglich und würde nie die Zustimmung der amerikanischen Öffentlichkeit finden, Zehntausende Soldaten in die Region zu schicken, Krieg zu führen und zwei Länder zu besetzen. Trete ich für eine große militärische Intervention ein? Nein! Aber wir sollten mit unseren Verbündeten sehr kreativ nachdenken, was wir wollen und welche Mittel wir einsetzen können. Obama handelt dagegen unter Druck reaktiv und taktisch, ein paar Bomben gegen den IS, die nützen mögen, aber den IS vermutlich nicht aufhalten werden. Syrien ist so aufgesplittert, dass man gar nicht mehr von einem Syrien sprechen kann. Zu Beginn des Konflikts hätte es größere Chancen auf Einflussnahme gegeben, aber wir sind untätig geblieben und schlimmer noch, wir haben konsequenzlos rote Linien gezogen. Jeder Lehrer weiß, dass man das nicht tut, und heute ist die Situation viel komplizierter und gefährlicher.

Sie waren Leiter von Radio Free Europe/Radio Liberty und haben viel über die Bedeutung von Medien und »Soft Power« für die Verbreitung westlicher Werte geschrieben. Heute sind es Gruppen wie der IS, die neue Medien sehr erfolgreich für ihre Propaganda und Rekrutierung einsetzen.

Zunächst möchte ich sagen, dass man alles tolerieren sollte – außer Intoleranz. Und der IS ist deshalb ein Anlass für Intoleranz, er greift den Kern unseres Verständnisses von Werten und Menschlichkeit an. Aber es gibt Menschen im Nahen Osten, in den USA, in Großbritannien und anderswo, die sehr desillusioniert sind, und das nicht ohne Gründe. Die Intervention im Irak lief sehr schlecht und hat die Glaubwürdigkeit westlicher Staaten und an erster Stelle der USA schwer beschädigt. Hinzu kam 2008 eine sehr schwere Finanzkrise, die unser Wirtschaftssystem bis heute in Frage stellt. Es gibt in den USA eine große Debatte über Ungleichheit. Die derzeitige Aufsplitterung des politischen Spektrums, mit »Occupy Wall Street« und der Tea Party an den beiden Polen, das schwindende Vertrauen in den Kongress, das alles stellt auch die Funktionalität und Effizienz des demokratischen Systems in Frage.
Was den Informationskrieg angeht, haben sich die Islamisten sehr verbessert, haben sich moderne Technologie angeeignet und schaffen es, Gefühle anzusprechen und Leidenschaften zu wecken. Sie sind ohne Zweifel gut in dem, was sie tun. Wir dagegen waren nicht gut. Wir müssen selbstbewusst über die Überlegenheit offener, pluralistischer, toleranter Systemen reden. Sie bringen Laster und Exzess mit sich, aber auch großartige Möglichkeiten für Erfolg und Entwicklung. Individualismus kann, muss aber nicht zu Lasten des Gemeinwohls gehen. Aber wir dürfen nicht manipulieren oder hohles Marketing betreiben, das ist meine Erfahrung bei Radio Liberty. Wir haben in 20 Sprachen gesendet und überall wollten die Menschen verlässliche Informationen. Bei unserer populärsten Sendung in Afghanistan konnten Frauen anrufen und mit einer afghanischen Ärztin Gesundheitsthemen besprechen. Wir haben sie nicht über ihren Platz in der Gesellschaft belehrt oder wie sie leben sollten, aber doch die Idee vermittelt, dass Frauen das Bedürfnis nach und das Recht auf Informationen haben.

Die jüngsten Bilder, die aus den USA um die Welt gingen, kamen aus Ferguson, wo die Polizei mit Ausrüstung und Methoden aus dem Afghanistan-Krieg gegen die eigene Bevölkerung vorging. Wie hat sich der »War on Terror« auf die US-Gesellschaft ausgewirkt?

Die Auswirkungen waren vielschichtig und sie waren nicht gut. Haben wir bei Themen wie Überwachung oder Einwanderung überreagiert? Das kann gut sein. Aber Ferguson ist ein Beispiel dafür, dass Berichterstattung für die ausländische Öffentlichkeit akkurat sein, aber auch den Kontext mitliefern muss. Der Kontext ist der wohl beschämendste Teil der Geschichte, Sklaverei und Segregation, aber beim Problem Rassismus gab es in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten auch immense Fortschritte. Dafür gibt es Beweise: Umfragewerte, die Besetzung in leitenden Berufen, Studierendenzahlen, Dating und Eheschließungen.

Das iranische Regime ist noch immer an der Macht und der Konflikt um das Atomprogramm ist nicht gelöst, trotzdem wird das Regime teils sogar als Partner im Kampf gegen den IS gesehen.

Ja, das Regime ist immer noch die größte Bedrohung für die Region, wegen seiner Hegemoniebestrebungen, seines Energiereichtums und seines Atomwaffenprogramms. Ich war immer dagegen, sich allein auf das Atomprogramm zu konzentrieren, und bin für einen breiten Ansatz eingetreten, mit Diplomatie, Politik und Menschenrechten. Niemand weiß sicher, was die Mehrzahl der etwa 70 Millionen Iraner will, aber ich glaube, dass die meisten, ob jung oder alt, in Stadt oder Land, keinen theokratischen, intoleranten, expansionistischen Iran wollen. Ich glaube, das Regime hat seine politische und ideologische Energie verbraucht und herrscht mittels Gewalt und Schrecken und natürlich durch die Tatsache, dass die Revolutionsgarden ihre Tentakel in alle Bereiche der Wirtschaft ausgebreitet haben. Ich weiß nicht, wie man das Problem löst, aber an dem Tag, an dem der Iran eine bessere, demokratischere Regierung hat, wird die Atomproblematik sich ganz anders darstellen. Und wenn der Iran aufhört, Hamas, Hizbollah und andere Gruppen zu finanzieren, wird das noch nicht Frieden, aber doch neue Möglichkeiten für einen friedlicheren Nahen Osten eröffnen. Leider hat Obama keine breite, strategische Sicht auf die Region. Der Iran ist noch immer das Hauptproblem und der Westen versagt dabei.
Zumindest in Israel wird das ähnlich gesehen. Wachsen die Spannungen zwischen Israel und den USA, wie zuletzt während des Gaza-Kriegs wieder oft zu lesen war?
Offensichtlich gibt es Spannungen zwischen Benjamin Netanyahu und Obama, die nicht gut miteinander auskommen und sich nur wenig vertrauen. In den USA gibt es eine recht breite und starke Unterstützung für Israel, aber ohne Frage wird diese etwa von der Sorge über zivile Opfer in Gaza beeinträchtigt. Aber auch jenseits von Gaza sind in den vergangenen Jahren kleine Risse zu Tage getreten. Israel hat etwa den Handel mit China ausgebaut, was Teilen der US-Meinungsmacher missfällt. Israel ist zusammen mit Ägypten ein großer Unterstützungsempfänger, was vor Jahren nicht wirklich hinterfragt werden konnte, aber heute wird im linken wie im rechten Spektrum darüber debattiert, ob diese Hilfe neu justiert werden muss. Und dann sind Israel und die USA sehr enge Sicherheitspartner, aber sie spionieren sich auch gegenseitig aus. Die US-israelischen Beziehungen sind angespannter als vor Obama, Netanyahu und dem Gaza-Krieg, aber die Fundamente sind noch stark.

Haben Sie in letzter Zeit einen offenen Brief unterzeichnet, den Sie vielleicht noch erwähnen möchten?

Ja, ich habe soeben einen Brief unterzeichnet, der sich gegen einen Plan zur Lösung der Ukraine-Krise richtet, den Russen und Amerikaner über die Köpfe und ohne Beteiligung der Ukraine und der Europäer ausgearbeitet haben, was ich für einen furchtbar falschen Ansatz halte.