Der Roman »Wir brauchen neue Namen« von NoViolet Bulawayo

Sonderbare Früchte

In ihrem Debütroman »Wir brauchen neue Namen« erzählt NoViolet Bulawayo von Darling, einem schnodderig daherredenden Mädchen aus einer Blechhüttensiedlung, das in Michigan vom Guavenklau in Simbabwe träumt.

Afrika ist schön«, säuselt eine Frau, die sich am Rande einer Hochzeitsfeier neben Darling, einem jungen Mädchen aus Simbabwe, die Hände wäscht. Auch den Gruß, den Darling nach Aufforderung in ihrer eigenen Landessprache entrichtet, findet die Unbekannte schön. Und schön sei bestimmt auch Simbabwe, Darlings Herkunftsland. So viel Schönheit, ahnt die Schwarze aus einer Blechhüttensiedlung, muss einen Haken haben. Und tatsächlich: Kaum hat der weiße Hochzeitsgast Afrika mit an Hysterie grenzendem Lob überschüttet, setzt auch schon ihr Strafgericht ein. So viele schreckliche Bilder von goldigen afrikanischen Kindern auf CNN! Und sei es nicht ganz entsetzlich, was gerade im Kongo geschehe? Darling fühlt sich von dem Wortschwall der Weißen überwältigt: »Mein Herz schlägt gerade Salto, um sich daran zu erinnern, was genau im Kongo passiert, denn ich glaube, ich verwechsel’ es mit einem anderen Ort, aber in den Augen der Frau seh’ ich, dass es ernst ist und wichtig und dass ich Bescheid wissen sollte, also sag ich schließlich, ja, das ist schrecklich, was im Kongo passiert.« Mitfühlend reicht Darling der verstörten Fremden ein Taschentuch. Soll die Weiße sich doch erst einmal richtig ausweinen über Afrika.
Das Ausweinen ist Darlings Sache nicht. Schnodderig und unsentimental ist ihr Ton, wenn sie von ihrem früheren Leben in der Blechhüttensiedlung Paradise erzählt. Die Umstände, unter denen sie aufwuchs, könnten es mit den grausigen Berichten auf CNN zwar durchaus aufnehmen: Das frühere Zuhause ihrer Familie wurde eines Tages von der Regierung platt gewalzt und ihr Vater, der für Jahre als Arbeitsmigrant in Südafrika verschwand, kam als an Aids erkrankter Pflegefall zurück. Doch NoViolet Bulawayo, die 1981 in Tsholotsho geborene Autorin des Romandebüts »Wir brauchen neue Namen«, segnet ihre Heldin mit einem unverwüstlichen Stoizismus, der sie unberührt von Katastrophen in plötzliche Lebensfreude ausbrechen lässt. Besonders eindrucksvoll tritt Darlings kindliche Abgebrühtheit im ersten Kapitel hervor, in dem sich das magisch leuchtende Gelb des Kleides einer Erhängten schon bald mit dem Duft von Gebäck vermischt. Darling und ihre Spielkameraden träumen von dem Brot, das sie sich kaufen werden, wenn sie die nagelneuen Schuhe der Toten endlich zu Geld gemacht haben.
Ein Leitmotiv des Romans ist der Guavenklau. In den Augen der ausgehungerten Kinder aus dem Slum kommen die üppig auf den Bäumen der Reichen wuchernden Früchte paradiesischen Verheißungen gleich. Allerdings übertüncht ihr verlockender Duft ihre Tücke: Im Übermaß genossen, rufen die Guaven Verstopfungen und damit das quälende Gefühl hervor, »ein Land zu gebären«. Vollends zum Fluch wird das begehrte Obst, als Darling kauend in einem Baum sitzt und unerkannt Zeugin wird, wie eine Gruppe randalierender Anhänger Robert Mugabes einen schwarzen Wachmann drangsaliert. Ängstlich hält sie den Atem an, vertraut sie doch keineswegs ihrem Freund Bastard, der behauptet, der Schlägertrupp mit seinen Afrika-den-Afrikanern-Parolen habe es nur auf Weiße abgesehen. Mit einem Schlag liegt dem Mädchen ihre Lieblingsfrucht schwer wie ein Stein im Mund. Die Guave verwandelt sich in jene »Strange Fruit«, die Billie Holiday in ihrem gleichnamigen Song zum Symbol für rassistische Lynchmorde gemacht hat. Doch anders als in dem Lied stehen bei Bulawayo nicht Weiße auf der Seite der Aggressoren. Die Kinder aus dem Slum zittern vor den schwarzen Schergen der Diktatur, die es auf jeden abgesehen haben, der der Regierung im Weg steht – ganz gleich, welche Hautfarbe er hat.
Der Magie der Guave kann dieses Erlebnis auf Dauer nichts anhaben. Als Darling schon längst in den USA lebt und sich am Tisch ihrer Tante satt essen kann, verwandeln sich die Früchte wieder zurück in Sehnsuchtsobjekte. Genießen kann sie das Obst nun kaum noch, denn hier sind Guaven aus Simbabwe nur als Schmuggelware erhältlich. Nach und nach werden die Erlebnisse der Kindheit – die bestialische Teufelsaustreibung auf einem Berg, eine versuchte Abtreibung mit einem Bügel und die abenteuerlichen Streifzüge durch Paradise und den benachbarten noblen Stadtteil Budapest – von den Erfahrungen eines US-amerikanischen Teenagers überlagert. Mit ihren neuen Freundinnen fährt Darling nun ohne Führerschein zu Shopping-Malls, guckt Pornos im Internet und regt sich über die ewige Leidensmiene des Popstars Rihanna auf: »Ich weiß, dass ihr irrer Freund sie verprügelt hat, aber ich finde nicht, dass man sie deswegen überall sehen muss, als wäre ihr Gesicht eine humanitäre Katastrophe, wie Sudan oder was.« Liegt es an ihrem neuen Wohnort oder daran, dass sich Bulawa­yos poetisches Leuchten in der Mitte des Romans eintrübt? Darlings Zeit als Teenager in Michigan wirkt jedenfalls fader als ihre Erlebnisse als Straßenkind in Paradise.
Längst haben Autoren wie Teju Cole, Chimamanda Ngozi Adichie, Taiye Selasi und Dinaw Mengestu, allesamt an US-amerikanischen Universitäten ausgebildet und des Englischen mächtig, von afrikanischer Migration erzählt und sie für westliche Leser nachvollziehbar gemacht – Bulawayo betritt kein Neuland. Alle diese Schriftsteller müssen entscheiden, ob sie die Überlappung zweier Kulturen zerstörerisch oder kosmopolitisch auslegen – und ob sie die Auswanderung tragisch oder komisch darstellen wollen. Die Spannung in Bulawayos Prosa ergibt sich aus Erinnerungen an Afrika, die plötzlich in Darlings amerikanischen Alltag ragen. Die Guaven stimmen den Teenager traurig, der Anruf der Mutter scheucht sie auf, als sie einen Porno guckt. Oder Tshaka Zulu, ein verwirrter Greis aus Simbabwe, der Darling mit seinen Liedern an ihr Herkunftsland erinnert: Als er sich eines Tages in seinem Pflegeheim mit Federn schmückt, die weißen Geier verflucht und zur Verteidigung Afrikas nach dem Speer greift, empfindet Darling etwas derart »Namenloses, dass ich klatschen und hüpfen und rufen und einfach ausflippen will, als hätte ich Strom geschluckt«. Die aggressiven Parolen, die Darling Angst gemacht haben, als sie in dem Baum in Budapest hockte, werden nun, im Mund eines alten Mannes, zum beglückenden Gruß von zu Hause.
Wo aber liegt mittlerweile dieses Zuhause? Als die Sehnsucht überhand nimmt, skypt Darling mit Chipo, ihrer Freundin aus Paradise, und beschimpft die Regierung, die die Guavendiebe von einst auseinandergerissen hat. Die Freundin explodiert: »Wenn es dein Land ist, musst du es lieben, um drin zu leben, und nicht einfach weglaufen.« Chipo will nicht bemitleidet werden, zumal sie nun eine Tochter hat, die den Namen Darling trägt. Der Schmerz darüber, dass man in Simbabwe jetzt ohne sie Isitshwala und Guaven isst, zerreißt die Heldin plötzlich wie ein Blitz: »Auf einmal erinnere ich mich an den Geschmack von all diesen Sachen, aber Erinnerung ist nicht dasselbe wie Geschmack.« Darling erkennt: Sie ist längst vertrieben aus Paradise.

NoViolet Bulawayo: Wir brauchen neue Namen. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2014, 264 Seiten, 21,95 Euro