Bei der Debatte um Leihmutterschaft spielt die Suche nach Echtheit eine Rolle

Sehnsuchtsort Authentizität

Leihmutterschaft ist auch ein gesellschaftlicher Ausdruck der Suche nach Echtheit.

In einer kapitalistischen Gesellschaft werden Waren, zu denen auch Dienstleistungen gehören, arbeitsteilig produziert. Und so liefern die in der wirtschaftlichen Peripherie liegenden Länder denen im Zentrum nicht nur Fernseher und Kleidungsstücke kostengünstig, sondern die dort ­lebenden Menschen bieten auch sexuelle Dienstleistungen und das Austragen von Kindern zu Schnäppchenpreisen an.
In den vergangenen Ausgaben analysierten Sarah Diehl (35/2014) und Antje Molitor (36/2014) aufgrund aktueller Ereignisse um den Fall des Kindes Gammy, das mit der Diagnose Trisomie 21 von einer Leihmutter zur Welt gebracht und daraufhin von den Eltern in seinem Geburtsland Thailand gelassen wurde, das Problem der Leihmutterschaft.
Ganz richtig stellt Sarah Diehl die Ähnlichkeiten zwischen Sexarbeit und Leihmutterschaft heraus, die beide jeweils gesellschaftliche Reaktionen hervorrufen. So besteht ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass jeder seine Arbeitskraft verkaufen sollte, um der Gesellschaft nicht auf der Tasche zu liegen; entscheidet sich ein Mensch jedoch dafür, gegen Entlohnung mit anderen Menschen sexuell zu verkehren, anstatt acht Stunden täglich auf dem Bau oder am Fließband seinen Körper zu schinden, wird dies gesellschaftlich verurteilt. Ähnlich fallen die Reaktionen auf das freiwillige Leihen des eigenen Uterus für das Austragen eines Kindes gegen Bezahlung aus. In beiden Fällen ist die gesellschaftliche Empörung groß. Sex und das Gebären von Kindern dürften nicht als Dienstleistungen verkauft werden, da nicht sein kann, was nicht sein darf. Kann man etwa Sex ohne Begehren oder Liebe haben? Kann ein Kind zur Welt gebracht werden, ohne sich mit mütterlichen Bindungen darin zu verstricken? Dass dies möglich ist, scheint den gängigen Normen und Werten zu widersprechen. Selbst die Vorstellung, das eigene Kind von einer fremden Frau stillen zu lassen – eine Praxis, die vor nicht allzu langer Zeit gar nicht unüblich gewesen ist –, würde heute mehrheitlich Unverständnis hervorrufen.
Daran werden nicht nur eine eindimensionale gesellschaftliche Vorstellungskraft und die Unfähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, deutlich, sondern treten auch eine ganz bestimmte Ideologie und spezifische Sehnsüchte zu Tage. Zunächst ist es Ideologie, anzunehmen, dass Menschen außerhalb von Prostitution und Reproduktion nur Geschlechtsverkehr aus Liebe oder Begehren haben. Dass Sex auch eine – wohl nicht allzu seltene – Praxis ist, um bestehende familiäre und nicht-familiäre Bindungen und damit zum Teil auch materielle Sicherheiten aufrechtzuerhalten, wird häufig nicht eingestanden. Dabei dürfte es noch immer zahlreiche Menschen – in einer patriarchalen Gesellschaft sind das überwiegend Frauen – geben, die mit einem Partner zusammenleben und dabei wohl auch sexuelle Praktiken teilen, um ihren wie auch immer gestalteten Lebensstandard zu erhalten. Da dabei jedoch das klassische Modell von Familie und Partnerschaft erhalten bleibt, wird dies ganz anders bewertet als das eindeutigere Angebot, gegen Bezahlung mit jemandem sexuell zu verkehren.

Mit dem Gebären von Kindern verhält es sich ähnlich. Frauen gebären nicht nur Kinder aus einer mütterlichen Fürsorge heraus, sondern auch aus verinnerlichten Rollenbildern, Gründen des eigenen Lebenslaufs oder um eine Beziehung nicht zerbrechen zu lassen. Dass es Menschen gibt, die ein solches Kalkül ganz bewusst – aus einer Notlage heraus oder auch nicht – anwenden, um damit Geld zu verdienen, stellt dagegen für viele eine gesellschaftliche Bedrohung dar. Es müsse doch gesellschaftliche Bereiche und zwischenmenschliche Verbindungen geben, die nicht der Mehrwertproduktion dienen. Hieran scheint ein Aspekt, den man als den Wunsch nach Authentizität bezeichnen könnte, besonders interessant. Die Suche und die Sehnsucht nach dem – scheinbar – Authentischen durchzieht derzeit alle gesellschaftlichen Bereiche und führt zu dem, was Antje Molitor in ihrem Beitrag zum Thema Leihmutterschaft als Backlash kritisiert: zu einem Rückzug ins Private. Auch hier finden sich Parallelen in den Debatten um Sexarbeit und Leihmutterschaft. So beschreibt Theodora Becker in dem Artikel »Die Entdeckung der Ehrlichkeit« in der Bahamas 68/14 die sogenannte Girlfriend-Experience, mit der gegenwärtig viele Freier ein sexuelles Erlebnis kaufen möchten, das einer privaten Beziehung ähneln solle. Weniger der Ausbruch aus dem Alltäglichen und das Unsittliche werden dabei gesucht, als Heimeligkeit, Schutz und Nähe.
Diese Sehnsüchte scheinen auch bei der Zeugung und ihrem Äquivalent – wenn die eigene Biologie oder die des Partners nicht mitspielt –, dem Kauf von genetisch eigenen Kindern, eine Rolle zu spielen. Ein Zusammenhang mit der Zunahme an Koch-, Heimwerker- und Erziehungsratgebern in Form von Büchern oder Fernsehbeiträgen drängt sich auf. Waren Mütter und Väter vor 20 Jahren noch über Fertignahrung für Babys und Wegwerfwindeln erfreut, scheint es heute wieder mehr Spaß zu machen, selbst (einzu-)kochen und Stoffwindeln aufwendig zu waschen. Auch dem Anbau der eigenen Nahrung auf dem Balkon oder im Schrebergarten wird ein immenses Glücksversprechen zugesprochen – das häufig richtige Argument des besseren Geschmacks fällt dabei meist nur nebenbei. Was hier seinen Ausdruck findet, ist die Suche nach Echtheit und Ursprünglichkeit, die meist mit einer Entpolitisierung einhergeht und tatsächlich einen gewaltigen Backlash darstellt.

An der Leihmutterschaft wird dieser Rückzug ins Private auf besonders perfide Art deutlich. Die Leihmutter wird zu einem uterinen Umfeld zur Versorgung eines Normfötus degradiert. Nicht nur wird sie gerade in den südostasiatischen Ländern mit dem Vertrag zur Leihmutterschaft wie eine Gefangene gehalten, deren Handlungen vollständig auf das Gebären eines gesunden Kindes eingestellt werden. Ihr ganzer Lebensstil wird ihr vorgeschrieben. Sie darf häufig die Gebäranstalt, in der sie untergebracht ist, auf unbestimmte Zeit nicht verlassen, um den Fötus nicht zu gefährden. Dass die eigene Fortpflanzung nur durch sie möglich ist, scheint für manche zukünftige Eltern ein Übel, das mit gewissen Klauseln wie jener, dass das genetisch eigene Kind nach der Geburt nicht von der Austragenden berührt werden darf, verringert werden soll.
Dabei schwingt eine besondere Vorstellung von Schwangerschaft und Reproduktion mit, die den Uterus als soziales Verhältnis ausblendet. Als sei es gleich, in welcher Gebärmutter die befruchtete Eizelle zum Wunschkind heranwächst. Solange Ei- und Samenzelle die eigenen sind, ist es eben auch das biologisch eigene Kind. Und das scheint besonders wichtig. Auch hieran wird eine Vorstellung von Authentizität deutlich, die in Embryo und Fötus einen vorgesellschaftlichen, irgendwie natürlichen Zustand hineinprojiziert und die sich auf das scheinbar unschuldige Wesen überträgt, das man dann in plüschige Sachen mit niedlichen Entenbaby-Stickereien wickelt, um es nur lang genug von der feindseligen Gesellschaft zu schützen. Aktivitäten, durch die sich die prekären Lebensverhältnisse von Leihmüttern aus wirtschaftlich schwachen Ländern verbessern würden, kommen nicht nur den Auftraggebern, die sich meist schnell wieder in das Privatleben zurückziehen, selten in den Sinn. Leihmütter werden meist nicht als schützenswerte Wesen angesehen.

Dabei ist es schwer, politische Forderungen im Zusammenhang mit der Leihmutterschaft zu stellen, ohne die Vorstellung von der abhängigen, passiven Frau zu reproduzieren. Im Fall von Leihmutterschaft geschieht dies nicht nur ebenso leicht wie in der Diskussion um Sexarbeit, sondern sogar in doppelter Hinsicht: die Frau, die ­ihren Körper verkaufen muss, und die Frau, die durch den gesellschaftlichen Druck eine Familie zu gründen, gar nicht anders könne, als eine Leihmutter in Anspruch zu nehmen. Aber: Es macht – und auch hierin ähneln sich die Debatten über Sexarbeit und Leihmutterschaft – einen Unterschied, auf welche Weise Lohnarbeit stattfindet. Bestimmte Arbeitsbedingungen müssen daher – da die einzelnen Subjekte in einer kapitalistischen Gesellschaft dazu nicht in der Lage sind – politisch geregelt werden, auch wenn es sich hierbei lediglich um eine gewerkschaftliche und somit keine revolutionäre Forderung handelt. Dabei muss im Fall von Leihmutterschaft stärker kontrolliert werden, unter welchen Bedingungen Frauen leben müssen, während sie ein Kind austragen, und welche Klauseln in den Leihmutterschaftsverträgen enthalten sind. Dazu gehört auch der Umgang mit dem Kind, das, wie im Fall Gammy, eben nicht standardisiert hergestellt werden kann wie andere Produkte, worin sich der größte Unterschied zur Dienstleistung Sex zeigt. Verkauft wird mit der Leihmutterschaft eben nicht nur eine Handlung, sondern ein Mensch. Was passiert mit diesen Wunschkindern, wenn sie nicht den Vorstellungen der künftigen Eltern entsprechen? Pränatale Zwangsuntersuchungen und Zwangsabbrüche sind in manchen Ländern bereits jetzt gängige Praxis.
Ganz und gar unmöglich scheint es letztlich auch, Leihmutterschaft einen irgendwie emanzipativen Anspruch zuzusprechen. Im Outsourcen des Gebärens – ob auf eine natürliche oder auch künstliche Gebärmutter, wie es die Feministin Shulamith Firestone in den sechziger Jahren als Voraussetzung für die weibliche Emanzipation forderte – treffen lediglich zwei kritikwürdige Aspekte aufeinander: die Glorifizierung von Natürlichkeit und ein technischer Machbarkeitswahn.