Kämpferinnen im Jihad. Mythos und Realität

Girls and guns

Dass in muslimischen Gesellschaften Frauen Soldatinnen werden, sorgt im Westen für Erstaunen. Dabei ist es nichts Ungewöhnliches.

Manche bezeichnen das Phänomen als »Jihad Girl Power«. Junge Frauen mit Niqab und Kalaschnikow patrouillieren in den Straßen des syrischen Raqqa, der sogenannten Hauptstadt der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS). Die Frauen-Brigaden des IS wurden arabischen Medien zufolge eingerichtet, um feindliche Kämpfer zu entdecken, die sich unter dem schwarzen Umhang für Frauen einschleichen wollen. Hauptsächlich schikanieren sie aber andere Frauen. Die Brigadistinnen der Umm-Rayan- and Umm-Hamsa-Einheiten, benannt nach den jeweiligen Führerinnen, halten Frauen an, die ohne männ­liche Begleitung unterwegs sind oder sich unzureichend bedeckt zeigen. Gesichtsschleier ist Pflicht, daran hält sich sowieso, wer überleben will. Die IS-Anhängerinnen gehen zum Beispiel gegen zu transparente Gesichtsschleier vor. Manchmal verwarnen sie nur, manchmal wird die der unislamischen Kleidung Bezichtigte ­ausgepeitscht.
Vergangene Woche packte eine ehemalige IS-Brigadistin gegenüber dem US- Fernsehsender CNN aus. Umm Hamsa, so hieß es, sei eine riesige Frau, die immer eine Kalaschnikow, eine Pistole, einen Dolch und eine Peitsche bei sich trage. Die internationalen Medien zeigten sich fasziniert von dem Phänomen. Wieso ließen sich Frauen derart einspannen, um für eine Sache einzutreten, die ihre Rechte mit Füßen tritt, fragten viele. Andere fragten, ob hier etwa eine Frauenemanzipation innerhalb des IS entstehe.
Die erste Frage lässt sich mit dem Verweis auf Frauen in konservativen Bewegungen in aller Welt beantworten. Auch in anderen islamistischen Gruppen spielen Frauen eine wichtige Rolle – und sie tun es selbstverständlich gerne, verschafft es ihnen doch im Vergleich zu ihrem sonst recht eingeschränkten Spielraum im Alltag einen deutlichen Zugewinn an Bewegungsfreiheit, Macht und Bedeutung. Wie in allen totalitären Ideologien braucht man zur Unterwerfung jedes Einzelnen unter das System auch Frauen, die Frauen instruieren. Im Islamismus ist diese Notwendigkeit besonders ausgeprägt, da Männer und Frauen möglichst voneinander fern gehalten werden sollen. Außerdem soll der gesamte Alltagsbereich, für den Frauen zuständig sind, mit Waschen, Kleidung, Kochen, Kindererziehung, dem Diktat des Islamismus unterworfen werden.

Das rigide System des IS wirkt auf Frauen aus ähnlichen Gründen wie auf Männer anziehend. Nach drei Jahren Krieg sehnen sich Männer wie Frauen in Syrien nach Sicherheit. Das vom IS besetzte Gebiet wird nicht nur weitestgehend von Bashar al-Assads Bombern in Ruhe gelassen, auch kriminelle Banden treiben nicht mehr ihr Unwesen. Die ehemalige IS-Brigadistin erzählt in dem CNN-Interview, dass sie an die Revolution gegen Assad geglaubt habe. Als aber alles nur noch Chaos gewesen sei, habe sie nach etwas Neuem gesucht, doch etwas noch Hässlicheres gefunden. Gleich zu Anfang des Interviews nennt sie ein für Männer wie Frauen bedeutendes ­Motiv: »Ich hatte eine Waffe, ich hatte Autorität.« Zudem erhalten die Brigadistinnen ein luxuriöses Einkommen von 25 000 syrischen Pfund, das sind rund 175 Euro, und somit das Doppelte des Durchschnittseinkommens in den vom Krieg verwüsteten Gebieten.
Erstaunlicher wirkt eher die Anziehungskraft des IS auf ausländische Frauen – und die soll es inzwischen in größerer Anzahl geben. Aus Aus­tralien, Malaysia, Österreich, vor allem aber aus Frankreich und Großbritannien haben sich junge Frauen nach Syrien aufgemacht, um dem Jihad zu dienen. Der IS hat im Sommer eine breit angelegte Kampagne begonnen, um Frauen in ­Europa und anderswo zu gewinnen. In sozialen Medien schreiben IS-Kämpfer Musliminnen an, konvertierte wie originäre, versprechen ihnen das Paradies und im Diesseits die Heirat.
Allerdings scheinen Frauen nicht gerade die anfälligste Gruppe für diese Propaganda zu sein. In Großbritannien sollen mehr als 400 Männer in den Jihad des IS gezogen sein, bei Frauen vermutet man gerade mal ein gutes Dutzend. Einige von ihnen bewegten sich schon zuvor in islamistischen Kreisen. Andere sind erschreckend jung, gerade 16-, 17jährige Mädchen lassen sich locken. Gezielt suchen die IS-Kämpfer nach Mädchen, die ihre muslimische Identität entdecken und damit in Familie und Gesellschaft anecken.

Mit Emanzipation hat das wenig zu tun. Im Gegenteil: Die Frauenbrigade fällt hinter islamische Beispiele der Gleichstellung von Frauen im Kampf zurück. Das Erstaunen des westlichen Beobachters ist, wie oft, auf die Übertragung von Vorurteilen des eigenen sexistischen Weltbildes zurückzuführen. Der Fehlschluss lautet, wo Frauen im Haus bleiben sollen, dem Mann nachgeordnet, hält man sie zugleich für weich und schwach. Und in gleicher Weise wird unterstellt, dass mit der Erhebung von Frauen in Polizei- und Soldatenfunktionen die vollständige Gleichberechtigung nicht mehr weit sein könne.
Diese Fehlinterpretation ist zumindest ein Grund, aus dem muslimische Kämpferinnen stets eine besondere Faszination auf westliche Beobachter ausüben, seien es Muhammad al-Gaddafis weibliche Bodyguards, die erste Kampfpilotin der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die jüngst gegen den IS flog, oder die Kämpferinnen der kurdischen YPG, die von Medien bis zur radikalen Linken in Europa gleichermaßen gehypt werden. Das alles scheinen Zeichen, dass der Islam doch gar nicht so patriarchal ist wie angenommen. Und das wäre doch schön.
Nur hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Frauen an der Waffe widersprechen keineswegs radikal islamischer Doktrin. Islamisten beziehen sich schließlich positiv auf die Zeit des Propheten und damals gab es kämpfende Frauen. Die islamische Geschichte kennt mehrere Heldinnen, die Mohammed in Schlachten begleitet haben sollen. Eine Umm Ammara soll ihn mit Schwert und Schild vor den Angriffen der Mekkaner gerettet haben. Khawla al-Azwar soll gegen die Byzantiner gekämpft haben. Beide werden gerne dargestellt, in Filmen und auf Briefmarken.
Deshalb sind Soldatinnen kein Tabubruch in einer Welt, die sonst Frauen vor allem im Haus, als Mutter und Ehefrau, sehen möchte. In den VAE, wo man zwar nicht so rigoros wie in Saudi-Arabien, aber immer noch streng auf die Einhaltung der Sharia achtet, wurde bereits Anfang der neunziger Jahre eine Militärakademie für Frauen eingerichtet. Auch in Oman sind Frauen in der königlichen Armee. Die ersten Absolventinnen der Sultan-Qaboos-Militärakademie nahmen 2011 ihren Dienst auf. In Kuwait diskutiert man seit ­einem Jahr, ob Frauen Kampfpilotinnen werden dürfen. Dort gibt es seit 1999 Polizistinnen.

Im deutlich weniger religiösen Algerien gibt es nicht nur schon seit langem Frauen in der Armee, jüngst wurden auch drei Frauen zu Generalinnen ernannt. Zum Vergleich: In Deutschland gab es nur eine Generalin, die aber inzwischen den Dienst quittiert hat. Selbst in der Geschichte des israelischen Militärs, in dem Frauen bekanntlich eine bedeutende Rolle spielen, stiegen nur zwei Frauen in diesen Rang auf, und erst 2001 trat die erste israelische Kampfpilotin ihren Dienst an. Man kann also das Erstaunen über musli­mische Kämpferinnen und Kampfpilotinnen durchaus verstehen, doch sagt es eben nichts über die allgemeine Diskriminierung von Frauen aus, über sogenannte Ehrenmorde und Zwangsheiraten. In den VAE mag es Heldinnen geben, aber 80 Prozent der erwerbsfähigen Frauen sind Hausfrauen.
Die IS-Brigadistinnen sind weniger gleichberechtigt als Soldatinnen in anderen Armeen der islamischen Welt. Anders als die Gefährtinnen des Propheten dürfen sie nicht in den Kampf ziehen, sondern nur Blockwartin spielen. Sie müssen unverheiratet sein und zwischen 18 und 25 Jahre alt.
Die Faszination, die Kämpferinnen bei westlich geprägten Menschen auslösen, hat neben der Vernebelung der realen Verhältnisse noch eine negative Folge: Frauen mit Waffen lassen sich gezielt als Propagandabild eingesetzen. Das nutzte Libyens Diktator Gaddafi genauso wie heute die kurdische PYD. Auch der syrische Diktator Assad inszenierte mit großem Tamtam eine Frauenbrigade, die »Löwinnen der nationalen Verteidigung«. Obwohl Assads Soldatinnen in voller Montur auftreten dürfen, ist ihre Rolle ähnlich begrenzt wie die der IS-Brigadistinnen. Sie werden vor allem an Checkpoints eingesetzt. Dort greifen sie sich Frauen mit Schleier heraus und bezichtigen sie des Islamismus.