Berlin Beatet Bestes. Folge 261.

Striptease auf Vinyl

Berlin Beatet Bestes. Folge 261. Coco Schumann: Coco On Vinyl – 90 Years In Jazz (2014).

Na, endlich: Coco auf Vinyl! Als ich die Platte in der News-Kiste meines Indie-Plattenladens entdeckte, wusste ich sofort, dass ich sie kaufen würde. Ohne sie vorher angehört zu haben, ging ich mit ihr nach Hause. So weit, so gut – an der Musik ist nichts auszusetzen. Es sind tolle Songs auf dieser LP zu hören, aus verschiedenen Schaffensperioden des jüdischen Berliner Jazz-Gitarristen Coco Schumann, der in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden ist. Bereits 1997 erschien seine Autobiographie »Der Ghetto-Swinger. Eine Jazzlegende erzählt« und in diesem Jahr die Graphic Novel »I got rhythm. Das Leben der Jazzlegende Coco Schumann«. Erzählt wird vom jungen aufstrebenden Jazz-Musiker, der 1943 verhaftet und ins Ghetto Theresienstadt deportiert wird und später die Konzen­trations­lager Auschwitz und Dachau überlebt. In der Nachkriegszeit konnte sich Schumann als Recording Artist etablieren. Wer sich mit seinem Werk vertraut machen möchte, kann dies mit drei bisher bei Trikont erschienenen CDs tun.
Mit dieser LP will Trikont Coco Schumann zum 90. Geburtstag gratulieren. So sehr ich die Stücke mag, so wenig komme ich umhin, an der Platte herumzumäkeln. Zunächst der Titel: »90 Years in Jazz«. Die Songs sind ohne Frage allererste Klasse, jeder einzelne hat es verdient, von so vielen Leuten wie möglich gehört zu werden, aber mit Jazz haben sie zum Glück nur am Rande zu tun. Auch wenn Schumann selbst sicher nichts mit diesen Begriffen am Hut hatte, seine Songs sind bester Trash Rock, Exotica und Striptease-Music. Die Platte als Jazzplatte zu vermarkten, ist einfach nur abschreckend und ­irreführend. Wer geht schon in Plattenläden? Pop- und Rockfans! Jazz-Fans sicher nicht, die habe ich dort noch nie getroffen. Jazz-Fans kaufen CDs bei Amazon. Deshalb haben die Macher auch vorsorglich – für die ganz Doofen – den Untertitel »Coco On Vinyl« gewählt. Auf eine Vinyl-Platte zu schreiben, dass es sich um eine Vinyl-Platte handelt, ist peinlich. Der 90jährige Schumann hört mit Sicherheit zu Hause Schallplatten (und keine CDs); ich vermute allerdings, dass die Produzenten dieser Scheibe schon seit vielen Jahren keine Schallplatte mehr in der Hand gehabt haben. Sonst hätten sie ihre angebliche Jazz-Platte nicht ohne Linernotes veröffentlicht! Seit 70 Jahren – solange gibt es bereits Jazz-Reissues – gehören detaillierte Linernotes zum guten Ton in der Schallplattenwelt. Wann, wo und mit wem die Aufnahmen entstanden sind, ist für Fans nun mal interessant.
Genug gemosert, hier meine kostenlose Lobhudelei: Lasst euch nicht abschrecken, diese Scheibe rockt! Mit »Sur le Pont«, »Mean to Me« und »Summertime« sind ein paar ordentlich swingende Jazznummern zu hören, »Exotique 1963« und »Westwind« hingegen sind 1A-Instro-Knaller, auf denen Coco als Gitarrenvirtuose brilliert, »Ausgerechnet heute Abend« ist herr­licher Lo-Fi-Trash-Rock und »Stripper Blues #1« ist... nun, ja, was wohl?
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.