Scott Walker hat ein Album mit der Drone-Metal-Band Sunn O))) aufgenommen

Brummen aus der Unterwelt

Die Drone-Metal-Band Sunn O))) ist mit dem ehemaligen Teeniestar Scott Walker ins Studio gegangen. »Soused« ist das Ergebnis einer vordergründig absurd anmutenden Zusammenarbeit.

Als im vergangenen Juli bekannt wurde, dass der Sänger und Komponist Scott Walker sein jüngstes Album in Zusammenarbeit mit der Drone-Metal-Band Sunn O))) aufgenommen hatte, erschien diese Nachricht so naheliegend wie sensationell. Nun ist »Soused« erschienen und bestätigt, dass für diese Musiksaison kein monströseres Album zu erwarten ist.
Für den späten Scott Walker ist dieses Ergebnis nicht verwunderlich. Walker, heute 71 Jahre alt, stand Mitte der sechziger Jahre mit orchestrierten Pop-Balladen als einer der Walker Brothers auf Platz eins der britischen Singlecharts (am bekanntesten vielleicht »The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore«, 1966) und wurde dort als die amerikanische Antwort auf The Beatles zum Star. Nach der Auflösung des Trios legte er eine Reihe ambitionierter und selbstbetitelter Solo-Alben vor, gefolgt von einem künstlerischen Tief, aus dem er erst in den achtziger Jahren wieder herausfand. Seit 1984 sind gerade einmal vier Alben von ihm erschienen. Seine Musik wurde immer düsterer und idiosynkratischer, bis nur noch fragmentarische Puzzles ohne Melodie und Katharsis übrig blieben, oft mit Orchesterblöcken versehen und durchzogen von irritierenden Soundeffekten. Diese musikalische Ästhetik fand 2012 mit dem Album »Bish Bosch« ihren Höhepunkt.
»Orpheus« lautete der Titel eines Songs der Walker Brothers – und zu Orpheus sollte Walker sich entwickeln: Einst blonder, romantischer Held vor allem weiblicher Fans, verschwand er schließlich mit ausdruckslosem Gesicht und hinter seiner existentialistischen Uniform – einer absurd tief ins Gesicht gezogenen Baseballkappe – im Kloster, um gregorianische Chormusik zu studieren. In der Öffentlichkeit wurde er beinahe unsichtbar: Seit 1978 hat er kein Konzert mehr gegeben, zum letzten Mal trat er 1995 im Fernsehen auf, und als 2008 in London »Drifting and Tilting: The Songs of Scott Walker« als Musiktheater aufgeführt wurde, ließ er den Gesangspart von Gastsängern übernehmen. Der einzige Mensch, der ihn in den vergangenen 20 Jahren singen gesehen haben dürfte, wird sein jahrzehntelanger Co-Produzent Peter Walsh gewesen sein.
Auch wenn Walker sich weiterhin als Songwriter bezeichnet, gleicht er mittlerweile eher einem Komponisten oder Produzenten, der seine Baritonstimme als exaltiertes Instrument einem disparaten Klangteppich entgegensetzt, um die dunklen Bilder seiner elliptischen Texte als wirkungsmächtige Dramen vor dem Hintergrund seiner obskuren Avantgardemusik vorzutragen. Wer eine Chance haben will, Walker zu verstehen, der muss ihm in die Unterwelt folgen.
Darin trifft er sich mit Sunn O))) (gesprochen übrigens »sun«, wie die Sonne oder die gleichnamigen Gitarrenverstärker), einer Band, deren Mitglieder sich bei ihren Auftritten dank ihrer ans Mittelalter erinnernden Roben als Silhouetten im Bühnennebel verlieren. Sunn O))) wurden 1998 von Stephen O’Malley und Greg Anderson in Los Angeles gegründet und deuten seither wie keine andere Band das Genre des Drone-Metal aus. Die Musik basiert auf dem Prinzip der Wiederholung und ist charakterisiert durch extrem tiefe, bis zum Stillstand entschleunigte, machtvoll verzerrte Gitarren, die sich jedem Rhythmus und jeder Melodie verweigern. Auf ihren »Grimmrobe Demos« (1999) erfolgt der erste Akkordwechsel nach programmatischen vier Minuten und vier Sekunden.
Live fügen O’Malley und Anderson ihrer Musik durch die schiere Gewalt der Lautstärke eine physisch spürbare Komponente hinzu, mit der sie das Publikum gleichzeitig auf Distanz halten und es in ihren Bann ziehen – »Maximum Volume Yields Maximum Results«, so das auf den Alben abgedruckte Motto. Oder anders gesagt: Bei Konzerten fühlt man sich als Hörer, als würde die Band die DNA des eigenen Körpers verändern.
Das rituell anmutende Spiel mit Kutten, Nebel und Konzerten in Kirchen ist nur teilweise dem Metal-Kontext der Band geschuldet, in dem das Spiel mit Zeichen in einer für Uneingeweihte nicht immer nachvollziehbaren selbstironischen Ernsthaftigkeit verläuft. Es ist das künstlerische Prinzip von Sunn O))), durch Reduktion von Sound auf dessen basales Element, ein archaisch wirkendes Dröhnen, eine Öffnung zu erreichen: Die Drones brechen mit Form und Struktur und fordern den Hörer heraus, sich auf eine andere Musik einzulassen. Nachdem die Band dieses ästhetische Verfahren in ihren ersten Veröffentlichungen definiert hatte, begann sie ab der Jahrtausendwende mit unterschiedlichen Sounds und Stilen zu experimentieren, um das Prinzip zu erweitern, und suchte dafür die Kollaboration mit anderen Musikern und Bands. Von dort aus war es nur noch ein kleiner Schritt, um sich auch anderen Zusammenhängen zu öffnen: 2006 spielten Sunn O))) in einer Londoner Kunstgalerie einen Auftritt ohne Publikum, den der Bildhauer Banks Violette aus gegossenem Harz und Salz nachbaute. Ziel dieser Performance, die als EP veröffentlicht wurde, war es, »ein Gefühl der Abwesenheit, des Verlusts und ein Wahngebilde der Vergangenheit zu beschwören«.
Die Ähnlichkeiten zwischen den nur auf den ersten Blick grundverschiedenen Musikern gehen bis hinein ins Absurde: Walker ließ einen Percussionisten im Studio auf Schweinefleisch einschlagen und Sunn O))) nahmen Gesang in einem geschlossenen Sarg auf. Neben Theatralik, Absenz und dem Sakralen teilen beide auch einen philosophischen Anspruch: Als radikale Soundforscher und -architekten suchen sie an ihrem jeweiligen Ende des musikalischen Spektrums nach einer Archaik im Klang und verleihen ihrer Musik dadurch eine Wucht, die wie ein Echo aus frühzivilisatorischen Zeiten scheint – oder wie aus der von Orpheus bereisten Unterwelt klingt. Ihre Obskurität erfüllt die popkulturelle Sehnsucht nach einer hippen Bohème, weswegen beide mittlerweile eine breite und treue Hörerschaft weit über ihr Genre hinaus anziehen. So versetzte die Aussicht auf eine Zusammenarbeit der Musiker auch bürgerliche Medien in nervöse Vorfreude.
Rückblickend erscheint es folgerichtig, dass die Wege von Walker und Sunn O))) sich früher oder später treffen mussten. Bereits 2009 gab es eine Anfrage von O’Malley und Anderson, beide bekennende Fans von Walker, ob dieser sich vorstellen könne, einen Text und eine Gesangspur zu ihrem Album »Monoliths & Dimensions« beizutragen. Damals scheiterte eine Zusammenarbeit mutmaßlich auch, weil Walker Sunn O))) noch gar nicht kannte. Aber die Band hatte der Anfrage ihre Alben beigelegt und nach »Bish Bosch« kam er, mittlerweile mit der Musik vertraut, auf die Idee zurück und fragte seinerseits Sunn O))), ob sie mit ihm an seinen neuen Songs arbeiten wollten. Er ließ ihnen Demos ohne Text zukommen, und ohne sich jemals getroffen oder abgesprochen zu haben, schaffte die Band ihre Verstärkertürme für die gemeinsame einwöchige Studiozeit nach London – die Backline passte nur zu einem Teil ins Studio.
Der Einstieg von »Soused« führt in die Irre: »Brando« beginnt mit einem opernhaften Intro, das durch eine einzelne, verzerrte Gitarre gestört wird, nicht unähnlich dem ersten Stück auf »Bish Bosch«, und wenn dann nach 35 Sekunden die mächtigen Drones einsetzen, wirkt das beinahe beruhigend. Im Unterschied zu bisherigen Sunn O)))-Veröffentlichungen stehen die Drones aber weniger dominant im Raum. In »Brando« sind sie durchgängig unterlegt mit einem pulsierenden Synthesizer-Sound, der das beruhigende Gefühl bald zur Spannung werden lässt, während Peitschenhiebe so etwas wie einen Rhythmus vorgeben. Spätestens beim nächsten Einsatz von Walkers Stimme wird klar, welcher Idee das Dröhnen folgt: Es ist nicht seine Aufgabe, den Raum zu öffnen, die Drones sind der Hintergrund für das Drama von Walkers Stimme, das Äquivalent zu dem, was auf seinen vorangegangenen Veröffentlichungen der wirre Klangteppich und manchmal das große Orchester war. Tatsächlich ging es Walker bei der Zusammenarbeit vor allem um Reduktion und die Möglichkeiten, die Drones ihm für die Wirkung seiner Texte bieten. Greg Anderson hat bestätigt, dass Sunn O))) bei ihrer Reise nach London davon ausgegangen seien, so etwas wie Walkers Studioband zu sein.
Diese Dramaturgie zieht sich durch das Album, nur das mittlere Stück fällt ein wenig aus der Reihe: »Bull« beginnt mit einem industriell-stampfenden Rhythmus, der den Hörer mitwippen lässt und zu dem der Track später noch zweimal zurückkehrt. Gleichzeitig ist es das einzige Stück, dass den Drones eine komplette Songhälfte überlässt, die diese aber weniger dicht, weniger gewaltig ausfüllen, als andere Stellen des Albums. All das ist ungewohnt für diejenigen Hörer, die sich dem Album von Seiten der Band nähern – »Soused«, auf dem Sunn O))) in Person von Tos Nieuwenhuizen auch die Leadgitarren übernommen haben, muss vor allem als Album Scott Walkers verstanden werden.
In »Herod 2014«, dem zentralen Stück des Albums, greift Walker auf die biblische Vergangenheit zurück, um den Horror der Gegenwart zu spiegeln. Das für seine Verhältnisse erstaunlich narrative Stück, in dem eine Mutter ihre Kinder vor einer Welt voll dunkler, gewalttätiger Kräfte zu bewahren versucht, demonstriert, wie symbolisch sein manchmal naives Musiktheater funktioniert: Eine leise Glocke zieht sich durch das ganze Stück und repräsentiert für Walker erklärtermaßen das Weibliche; für das Kind steht ein Geräusch, das ungeborenen Kindern im Mutterleib vorgespielt wird; ein durchdringendes Saxophon quietscht, um das Grauen auszudrücken. Die anderen Songs des Albums, deren Klangwelten sich auf ähnliche Weise dechiffrieren lassen, kreisen um unerfüllten Masochismus und sexuelles Verlangen (»Brando«), Sadismus und Selbstverstümmelung (»Fetish«) und schließlich Sterbehilfe und Selbstmord (»Lullaby«) – ein Lied, das Walker 1999 für Ute Lemper geschrieben hatte und dessen Aktualität und zeitlose Brutalität es ihn noch einmal hat aufgreifen und neu interpretieren lassen.
Die fünf Songs mit einer Spielzeit von knapp 50 Minuten sind erstaunlich eingängig, beinahe schon melodisch. Man könnte sagen, das Album sei das zugänglichste Material, das Sunn O))) jemals produziert haben, tatsächlich aber hat die Band sich und ihre Ästhetik einem anderen Künstler zur Verfügung gestellt und sich bereitwillig in dessen Kosmos eingefunden. »Soused« (übersetzt »übergossen« oder »eingetaucht«) hat etwas angenehm Sakrales und ist bei allem Wahnsinn – und das ist die eigentliche Pointe – das erste Scott-Walker-Album seit langer Zeit, das sich halbwegs konventionell hören lässt und einen bei aller Abstraktheit berührt.
Scott Walker hat nicht ausgeschlossen, dass es zu einer Aufführung zusammen mit Sunn O))) kommen könnte. Vielleicht ist Orpheus zurück aus der Unterwelt und bereit, von seinen Abenteuern zu erzählen.

Scott Walker + Sunn O))): Soused (4AD/Indigo)