Die Krise bei Karstadt

Da war doch einer bei Karstadt

In Essen nähert sich der Prozess wegen Untreue gegen den früheren Manager von Karstadt, Thomas Middelhoff, dem Ende. Fest steht allerdings bereits, dass sechs Kar­stadt-Filialen geschlossen werden. Weitere Schließungen könnten folgen.

Während der Prozess gegen den früheren Kar­stadt-Manager Thomas Middelhoff in der ersten Instanz zu Ende geht, ist ein anderes Verfahren endgültig zu den Akten gelegt worden. Eine Verkäuferin in der Feinkostabteilung des Hamburger Karstadt-Hauses an der Mönckebergstraße hatte sich schätzungsweise 50 Gramm Krabbensalat aus der Frischtheke genommen und auf die selbst gekaufte Brötchenhälfte getan. Weil sie den Salat nicht bezahlt hatte, wurde ihr von Kar­stadt gekündigt. Diverse Arbeitsgerichte hatten die Kündigung kassiert, weil die Sanktion für die langjährige Mitarbeiterin zu hart sei. Doch das wollten die Chefs des Warenhauses partout nicht akzeptieren. Zuletzt hatten sie beim Bundesarbeitsgericht Beschwerde eingelegt, weil das Hamburger Landesarbeitsgericht keine Revision zugelassen hatte. Diese Beschwerde haben die höchsten Arbeitsrichter zurückgewiesen.
So sind die Verhältnisse bei Karstadt. Aus der Konzernführung hatte niemand etwas dagegen, dass der damalige Vorstandsvorsitzende Middelhoff in großem Stil das Geld verprasste, das den Mitarbeitern des von ihm in »Arcandor« umbenannten Konzerns für die Sanierung abverlangt wurde. Als er ging, bekam er eine dicke Abfindung. Der Feinkostverkäuferin gönnt man nicht einmal den Brötchenbelag. Immerhin: Seit Mai muss Middelhoff an zwei bis drei Tagen pro Woche vor dem Landgericht Essen erscheinen – eine Folge der Insolvenz von Arcandor. Middelhoff ist wegen schwerer Untreue angeklagt. Er soll in Dutzenden Fällen private oder Charterflüge auf Kosten seines ehemaligen Arbeitgebers abgerechnet haben. Dabei geht es um rund 945 000 Euro, für weitere 180 000 Euro soll Middelhoff zu seinem Privatvergnügen eine Festschrift für seinen Förderer, den früheren Bertelsmann-Manager Mark Wössner, in Auftrag gegeben haben.

Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Plädoyer Ende Oktober drei Jahre und drei Monate Haft für Middelhoff gefordert. Sie sieht den Vorwurf der schweren Untreue durch das Verfahren bestätigt. Arcandor habe Flüge bezahlt, die einen privaten Hintergrund hatten, ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Zum Beispiel nach New York, wo Middelhoff ein Aufsichtsratsmandat bei der New York Times wahrgenommen hat. Ein einziger Flug im November 2008 über den Atlantik habe Arcandor 95 000 Euro gekostet, sagte Staatsanwältin Daniela Friese. Damals hatte Karstadt wegen der schwierigen Geschäftslage gegenüber der Gewerkschaft Verdi einen Sanierungstarifvertrag mit einem Lohnverzicht der Beschäftigten von 15 Prozent durchgesetzt. Middelhoff habe mit einem einzigen Flug »verpulvert, was 25 Verkäuferinnen eingespart haben«, stellte Friese fest. Die Verteidigung von Middelhoff will den Freispruch ihres Mandanten. Das Urteil wird für Mitte November erwartet. Der ehemalige Lieblingsmanager der Wirtschaftsfeuilletons, der inzwischen seinen Wohnsitz ins feudale Saint-Tropez verlegt hat, erschien stets teuer gekleidet und braun gebrannt in Essen.
Der Prozess hat auch für viel Aufsehen gesorgt, weil Middelhoff Probleme mit seinen persönlichen Gläubigern hat. Das Bankhaus Sal. Oppenheim zum Beispiel verlangt einen zweistelligen Millionenbetrag von ihm, auch seine ehemaligen Geschäftspartner, der Projektentwickler Josef Esch und der Unternehmensberater Roland Berger, haben noch hohe Rechnungen mit ihm offen. Einige nutzten seine Gerichtstermine, um ihr Geld einzutreiben. Einmal nahm ein Taschenpfänder auf Antrag eines Fonds des Berliner Wohnungsbauunternehmens Gewobag Middelhoff seine wertvolle Armbanduhr, ein anderes Mal flüchtete der 61jährige aus dem rückwärtigen Gerichtsfenster. Fotografen sollten ihn nicht ablichten, nachdem er einen Offenbarungseid abgegeben hatte, zu dem Berger ihn wegen ausstehender 7,5 Millionen Euro gezwungen hatte.

Für sein katastrophales Treiben als Karstadt-Manager muss sich Middelhoff in Essen nicht verantworten. Zu Ruhm und Ehren war der Meister der Selbstinszenierung durch seinen rasanten Aufstieg bei Bertelsmann gekommen. Nach dem Betriebswirtschaftsstudium in Münster legte der gebürtige Düsseldorfer eine steile Karriere hin. 1986 begann er beim Bertelsmann-Konzern. Seine hervorragende Selbstvermarktung brachte ihn in nur acht Jahren in den Vorstand, dessen Vorsitzender er 1998 wurde. Den Konzern musste er 2002 allerdings verlassen, weil er gegen den Willen der Eigentümerfamilie Mohn das Unternehmen an die Börse bringen wollte. Projekte wie das Engagement bei der Musiktauschbörse Napster kosteten den Konzern viel Geld, trotzdem erhielt er eine Abfindung in zweistelliger Millionenhöhe.
Wenig später bekam Middelhoff den nächsten Top-Posten: 2004 wurde er zunächst Vorsitzender des Aufsichtsrats, dann Vorstandsvorsitzender bei Karstadt – dank des Vertrauens der Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz. Er verordnete Kar­stadt einen harten Sanierungskurs, der die Warenhauskette noch mehr in die Sackgasse führte. Mit Vehemenz trieb er die Zerlegung des Konzerns voran und verscherbelte viele der ausgesprochen attraktiven Immobilien. Nun ächzen sogar Warenhäuser in Toplagen mit guten Umsätzen unter den hohen Mieten, die sie in die roten Zahlen treiben. Ende Februar 2009 verließ Middelhoff den Konzern, der wenig später in die Insolvenz ging. Wieder kassierte er viele Millionen Euro als Abfindung. Gegen ihn laufen mittlerweile mehrere Verfahren wegen seiner damaligen zwielichtigen Aktivitäten. Bis heute ist unklar, wer in welcher Höhe an der von ihm vorgenommenen Zerschlagung profitiert hat – und was er selbst davon hatte. Weder Middelhoff, noch seine Vorgänger oder Nachfolger haben eine Lösung für die Probleme des Konzerns gefunden – außer die Mitarbeiter zu schröpfen. Seit zehn Jahren haben die Beschäftigten immer wieder verzichtet, nach Angaben der Gewerkschaft Verdi insgesamt auf rund 700 Millionen Euro.

Die Warenhauskette ist schon lange in der Krise. Sie leidet unter den Strukturveränderungen im Einzelhandel; zunehmender Online-Handel und die modernen Verkaufskonzepte etwa des Konkurrenten Kaufhof machen Karstadt zu schaffen. Aber der Konzern hat auch hausgemachte Probleme, die er lösen könnte. Für alle Häuser in der ganzen Bundesrepublik gibt es immer noch einen zentralen Einkauf, die einzelnen Standorte können nicht flexibel auf regionale Besonderheiten reagieren. Das Problem soll erst jetzt angegangen werden. Höhere Preise als bei der Konkurrenz oder im Internet sowie ein allzu überschaubares Warenangebot locken immer weniger Shopping-Fans an.
Die Ikea-Managerin Eva-Lotta Sjöstedt sollte neue Konzepte entwickeln, mit denen neue Zielgruppen erreicht werden können. Aber bevor sie ihre Ideen vorstellen konnte, warf sie das Handtuch – nachdem ihr klar wurde, dass der einst als Retter gefeierte Eigner Nicolas Berggruen kein Geld in die marode Kette stecken würde. Als der deutsch-amerikanische Milliardär Karstadt 2010 nach der Insolvenz für den symbolischen Preis von einem Euro übernahm, erwarteten Beschäftigte und Öffentlichkeit, dass er in großem Stil investieren würde. Berggruen tat das Gegenteil. Er sicherte sich die Markenrechte und presste damit einige Millionen aus dem Konzern.
Bei den 17 000 Beschäftigten ist die Stimmung mies. Mit Sorge verfolgten sie, dass Berggruen Mitte August die Kette an den umstrittenen österreichischen Investor René Benko abgegeben hat. Benko gehörte bereits ein Teil der ehemaligen Karstadt-Häuser, etwa die Sportgeschäfte und das KaDeWe in Berlin. Die Signale aus der Unternehmenszentrale klingen nicht gut. »Wir beobachten, dass die Karstadt-Führung scheibchenweise schlechte Nachrichten verkündet«, sagt Stefanie Nutzenberger, Mitglied des Bundesvorstands von Verdi.
Im Oktober wurde der bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Stephan Fanderl zum neuen Vorstandsvorsitzenden berufen. »Ohne zum Teil sehr schmerzliche Entscheidungen, wie auch Filialschließungen, wird es nicht gehen, um das Überleben des Gesamtunternehmens zu sichern«, sagte der 51jährige nach seiner Ernennung. Die Beschäftigten sollen weitere Einschnitte beim Weihnachts- und Urlaubsgeld hinnehmen. Die Vereinbarung mit der Gewerkschaft Verdi, die für die Einzelhandelsbranche ausgehandelten Gehaltserhöhungen auszusetzen, soll verlängert werden. Die Beschäftigten sollen flexiblere Arbeitszeiten hinnehmen, außerdem soll ihre Bezahlung stärker »nach Leistung« erfolgen.
2 000 Arbeitsplätze stehen zur Disposition. Seit 2010 hat Karstadt 500 Millionen Euro an Umsatz und sieben Millionen Kunden verloren, schreibt Fanderl in einem Brief an die Belegschaft. Neue Ideen, wie Karstadt Kunden zurückgewinnen könnte, hat das Management offenbar nicht. Was die hoch bezahlten Entscheider präsentieren, ist dünn. Künftig soll es zwei verschiedene Kaufhaustypen geben, einen für die Bedarfsdeckung und einen für den »Erlebniseinkauf«. Nach echter Innovation – etwa einer cleveren Verbindung von Einkauf im Internet und Beratung in der Filiale vor Ort – klingt das nicht.

Sechs der noch 83 Häuser sollen geschlossen werden, unter anderem in Paderborn, Hamburg-Billerstedt und Stuttgart. Doch gerade Stuttgart gehört eigentlich zu den guten Standorten. Gewerkschaftsangaben zufolge muss Karstadt an den Besitzer der Immobilie 15 Prozent des Umsatzes zahlen – und zwar an Benkos Immobilienfirma Signa, der das Gebäude schon länger gehört. »Wahrscheinlich wäre das Haus längst in schwarzen Zahlen, wenn der Ertrag nicht durch übermäßig hohe Mieten abgesägt würde«, empört sich der baden-württembergische Landesfach­bereichsleiter von Verdi, Bernhard Franke.
In Nürnberg soll das Karstadtgebäude künftig auch von anderen Einzelhändlern genutzt werden. »Die Entscheidung, in Stuttgart ein Karstadt-Haus in bester Lage zu schließen, und die offensichtlichen Pläne, in Nürnberg Flächen aus dem Warenhaus an andere Anbieter abzugeben, sprechen nicht dafür, dass es darum geht, ein Warenhauskonzept zu verwirklichen«, sagt Nutzenberger. »Vielmehr entsteht der Eindruck, dass das Interesse an den Immobilien und eine rücksichts­lose Sanierung auf dem Rücken der Beschäftigten im Vordergrund stehen.« Nur einen Tag nachdem der Aufsichtsrat die Schließung der sechs Häuser beschlossen hatte, erklärte Fanderl, dass weitere acht bis zehn Filialen zur Disposition stehen. Ende Oktober verkündete er, dass alle Kar­stadt-Filialen bis Mitte 2015 Zeit haben sollen, wieder schwarze Zahlen zu schreiben.
»Das erweckt bei den Beschäftigten den Eindruck, man wolle sie bewusst mürbe machen«, sagte Nutzenberger. »Das ist nicht nur gegenüber den verdienten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von Karstadt zutiefst unfair, sondern vor dem wichtigen Weihnachtsgeschäft auch absolut kontraproduktiv.« Denn wer davon ausgeht, dass ein Warenhaus schließt, wird dort zum Beispiel eher keine Artikel mit Garantie kaufen. Dem ehemaligen Top-Manager Middelhoff dürfte das egal sein. Seine bei der Taschenpfändung einkassierte Uhr der Nobelmarke Piaget hat bei der Versteigerung durch die nordrhein-westfä­lische Justiz eine Einnahme von 10 350,99 Euro erzielt. Eine neue wird Middelhoff sicher nicht bei Karstadt kaufen. Das Angebot dürfte ihm zu billig sein.