Ein Polizist steht wegen eines rassistischen Angriffs vor Gericht

Die Polizei weiß von nichts

In Frankfurt am Main hat der Prozess gegen einen Polizisten begonnen. Ihm wird vorgeworfen, einen Schwarzen beleidigt und krankenhausreif geprügelt zu haben.

Der Gang in den Zeugenstand fällt Derege Wevelsiep sichtlich schwer. Mit zitternder Stimme beginnt der Frankfurter seine Aussage. Mehrmals ist er von seinen Erinnerungen so überwältigt, dass er seine Ausführungen unterbrechen muss. »Es ist inakzeptabel für mich«, sagt Wevelsiep schließlich unter Tränen, »dass ich so etwas in Deutschland wieder erleben muss«.
»So etwas« – damit meint der 43jährige Ingenieur äthiopischer Herkunft die Vorkommnisse am Abend des 17. Oktober 2012. Vor Gericht schildert Wevelsiep sie so: Er sei mit seiner Verlobten und dem gemeinsamen Sohn in der Frankfurter U-Bahn auf dem Weg nach Hause gewesen. Während einer Kontrolle habe er seine Monatskarte gezeigt. Nach 19 Uhr kann der Besitzer der Karte eine Person mitnehmen, das Kind braucht noch keinen Fahrschein, die Kontrolleure hatten also nichts zu beanstanden. Er sei alleine ausgestiegen, um noch etwas zu besorgen. Die Monatskarte habe er seiner Verlobten überlassen.

Kurze Zeit später habe er einen Anruf erhalten, sagt Wevelsiep. Seine Verlobte habe ihm mitgeteilt, sie sei erneut kontrolliert worden und ihr werde vorgeworfen, kein gültiges Ticket besessen zu haben. Bei der Ankunft in der Station habe er gesehen, wie seine Verlobte und sein ängstlich weinender Sohn von vier Kontrolleuren umringt und von einer Kontrolleurin ununterbrochen angeschrien worden seien. »Wieso schreien Sie so, sehen Sie nicht, dass das Kind weint? Haben Sie keine Kinder?«, habe er sich eingemischt. Die Kon-trolleurin habe sich unbeeindruckt gezeigt und gesagt: »Ihr seid hier nicht in Afrika.« Es sei nicht mehr das Jahr 1942, habe Wevelsiep entgegnet.
Dann kam die Polizei hinzu. Die vier Beamten erkundigten sich bei den Kontrolleuren nach den Vorkommnissen und nahmen dann die Personalien der Verlobten auf. Er habe deshalb protestiert, sagt Wevelsiep vor Gericht. Gerade als die Polizisten gehen wollten, sagte die Kontrolleurin, dass sie gegen den Mann Anzeige wegen Beleidigung erstatten wolle. Er habe sie »Nazi« genannt. Die Polizisten erkundigten sich nach Wevelsieps Personalien. Er habe seinen Personalausweis nicht dabei gehabt, dafür aber einen Führerschein und den Dienstausweis seiner Firma, erinnert sich Wevelsiep in seiner Aussage. Das habe den Beamten nicht genügt. »Wir nehmen ihn mit«, habe einer von ihnen gesagt.
Die Polizisten hätten ihn dann zum Streifenwagen geführt und durchsucht. Als ihm ein Beamter eröffnet habe, dass ihm für die Fahrt zu seiner Wohnung Handschellen angelegt würden, habe er mit den Worten protestiert: »Ich lasse mich nicht wie einen Kriminellen behandeln!« Er habe seine Adoptiveltern angerufen und um Hilfe gebeten, sagt Wevelsiep vor Gericht. Einer der Polizisten habe die Geduld verloren. »Du dummer Schwätzer«, habe er zu ihm gesagt und ihm das Mobiltelefon abgenommen. »Ich zähle jetzt bis zwei«, seien die nächsten Worte des Polizisten gewesen. »Was passiert dann?«, habe Wevelsiep gefragt. Daraufhin habe der Polizist bis zwei gezählt, um ihm im Anschluss mit der Faust ins Gesicht zu schlagen, gefolgt von weiteren Schlägen und Tritten. Die Polizisten seien dann mit ihm in die Wohnung gefahren, um seinen Ausweis zu begutachten. Seine Verlobte habe ihn schließlich benommen in seiner Wohnung gefunden, beendet Wevelsiep seine Schilderung.
Die Diagnose im Krankenhaus war eindeutig: Platzwunde, Gehirnerschütterung, Prellung des Thorax, Prellung des Knies, Prellung der Hüfte. Der wegen Körperverletzung im Amt und Beleidigung angeklagte Polizeioberkommissar Mat-thew S. weist vor Gericht allerdings alle Vorwürfe von sich. Es habe »definitiv keinen körperlichen Kontakt« mit Wevelsiep gegeben. Die Platzwunde am Auge habe sich Wevelsiep vermutlich durch sein Zappeln selbst zugefügt, so der Polizist. Für die anderen Verletzungen kann er keine Erklärung finden.
Die drei als Zeugen geladenen Kollegen des Angeklagten bestätigen die Version des Angeklagten, derzufolge es keine Gewaltanwendung gegeben habe. Doch die Aussagen sind stellenweise von erheblichen Widersprüchen gekennzeichnet. Ein Polizist etwa, dem der Angeklagte bescheinigt, geduldig und »mit Engelszungen« auf Wevelsiep eingeredet zu haben, gibt zu, dass er den 43jährigen an dem Abend anschrie. Außerdem bestätigt er, dass der Angeklagte Wevelsiep einen »dummen Schwätzer« nannte. Ein anderer Beamter bezeichnet Wevelsiep in seiner Aussage als »Minderheitsperson« und sagt: »Mit einem 08/15-Durchschnittsbürger hätten wir nicht so viel Geduld gehabt.«

Auffällig ist das Vorgehen des Verteidigers. Er will von Wevelsiep mehrfach wissen, ob er Erfahrungen mit Rassismus gemacht habe. »Die Strategie der Verteidigung ist offenbar, Derege Wevelsiep als ein Überopfer darzustellen«, sagt Siraad Wiedenroth von der »Initiative Schwarze Menschen in Deutschland« (ISD). So werde ihm gerade wegen des Eingeständnisses, in Deutschland Rassismuserfahrungen gemacht zu haben, die Fähigkeit zur angemessenen Beurteilung der fraglichen Situation abgesprochen.
Der Prozessauftakt erregte großes mediales Interesse. Bereits vor zwei Jahren, als die Frankfurter Rundschau die Geschichte öffentlich gemacht hatte, wurde der Fall bundesweit beachtet. Die ISD hatte zur kritischen Prozessbeobachtung aufgerufen. »Die Methoden des Racial Profiling sind vielfältig«, heißt es in einer Mitteilung der Organisation. Diese erhofft sich eine »lückenlose und gerechte Aufklärung dieses Falls« und eine Sensibilisierung für strukturellen Rassismus in der Polizeiarbeit. Ob das gelingt, erscheint nach dem ersten Verhandlungstag fraglich. Der Prozess wird fortgesetzt.