Pragmatischer Antiziganismus

Die Vorwürfe der Apartheid hält Bürgermeister Claudio Gambino für übertrieben. Mit seinem Vorschlag, eine eigene Buslinie für Roma in der kleinen norditalienischen Stadt Borgaro Torinese einzuführen, sorgte er für Aufsehen. Es geht um die Linie 69, die an einer Roma-Siedlung am Rande der Stadt vorbeifährt. Zu viele Diebstähle und Angriffe, insbesondere gegen Schülerinnen und Schüler, habe es in den vergangenen Jahren gegeben, sagte Gambino. Die Bürgerinnen und Bürger seien verunsichert und wütend, denn die Roma »haben uns seit mehr als 20 Jahren geplagt«. »Wir brauchen zwei Busse«, lautete sein Vorschlag, den er »Verdoppelung der Linie« nannte. Ein Bus, der für die Italiener, soll demnach am Roma-Camp vorbeifahren, ohne dort Halt zu machen; der andere, der für die Roma, soll hingegen nur von der Siedlung bis zur Endstation fahren. Segregation? Rassismus? Nein, eher Pragmatismus, so etwas wie ein Shuttle-Service für die Roma in die Stadt und zurück, rechtfertigte sich Gambino. »Als Bürgermeister muss ich dafür sorgen, dass die Stimmung nicht umkippt.« Das klingt fast so, als hätte er mehr Angst, dass aus den geplagten Bürgerinnen und Bürgern ein wütender Mob mit pogromartigen Absichten wird, als vor den Roma selbst. Eine vermutlich begründete Angst.
Was sich wie die nicht besonders originelle Idee eines Rechtspopulisten der Lega Nord anhört, kommt von einem linken Bürgermeister der Demokratischen Partei (PD), dessen Verkehrsbeauftragter, Luigi Spinelli, sogar der links vom PD stehenden Partei Linke, Ökologie und Freiheit (SEL) angehört. Genauer gesagt: angehörte. Denn seine Unterstützung für den Vorschlag des Bürgermeisters kostete ihm die Parteimitgliedschaft, nachdem der Vorsitzende des SEL sich zum Vorfall geäußert hatte: »In unserer Partei gibt es keinen Platz für Ambivalenzen in Bezug auf dieses Thema. Wenn die Stadtverwaltung den Vorschlag nicht zurücknimmt, wird SEL ihr die Unterstützung entziehen.« Der Bürgermeister ruderte vor einigen Tagen zurück: Er habe nur eine Debatte über ein reales Problem anstoßen wollen. Aber ein Rassist sei er auf keinen Fall. Auf der Linie 69 werde es vorerst nur ständige Kontrolleure geben, die Menschen ohne Fahrkarte den Zutritt zum Bus verweigern.