Berlin Beatet Bestes. Folge 265.

Fuck off, patriarchy!

Berlin Beatet Bestes. Folge 265. Anarchophobia: Dolly Strikes Back (1997).

Als ich im Oktober 1997 meine Freundin kennenlernte und sie zum ersten Mal zu Hause besuchte, sah ich mir erstmal ihre Plattensammlung an. Gewohnheitsmäßig. Damals hatte noch jeder eine Plattensammlung, außer ein paar völligen Langweilern. David Bowie, Depeche Mode, Patti Smith, und dann kamen auch schon die Kinderplatten. Die Sammlung endete in den Achtzigern. Sie liebte offensichtlich Bücher, davon hatte sie ziemlich viele. In dem Moment gab ich die Vorstellung auf, dass mich ein gemeinsamer Musikgeschmack mit einer Person verbinden könnte. Ich fand diese Frau toll, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Welche Musik sie hörte, war völlig egal.
Seitdem ist mein Musikgeschmack nur noch seltsamer und eigenwilliger geworden, und ich versuche niemanden mehr zu finden, dessen Vorlieben mit meinen identisch wären. Meine Plattensammlung findet sich zwar immer noch nicht auf Youtube, iTunes, Amazon oder Spotify, aber heute muss auch niemand mehr cooles Zeug umständlich in irgendwelchen Plattenläden zusammentragen. Leute verbinden sich über Musik, indem sie sich Links auf Facebook schicken, oder über Spotify-Playlisten. Ich bin froh, dass Musik nicht mehr darüber bestimmt, ob ich jemanden cool finde. Wer will schon als ewiger Hipster enden, der sein Gegenüber noch als Greis zuerst nach der aktuellen Lieblingsplatte fragt. Ich wette, Malcolm McLaren macht sowas.
Manchmal treffe ich dennoch auf Leute, mit denen mich eine bestimmte Platte verbindet. In Wien traf ich Alfred und seine Freundin Ana Threat. Alfred hat den Schnitzelbeat-Sampler zusammengestellt und betreibt das Label Trash Rock Archives. Ana ist Musikerin, beide sammeln Platten. Gemeinsam verbrachten wir einen herrlichen Vormittag auf dem Flohmarkt am Naschmarkt. Anschließend saßen wir noch zusammen in einem Café, tranken Melange, plauderten und präsentierten unsere Fundstücke. Anas jüngst erschienene 10” hatte ich mir zwei Tage vorher im Plattenladen gekauft. Mir gefiel sofort ihr progressiver Ansatz, als One-Woman-Band traditionelle Rock’ n’ Roll-Elemente mit Elektronik zu verbinden. Irgendwann erwähnte sie, dass sie aus der DIY-Hardcore Szene komme. Sie habe schon in den neunziger Jahren in einer unbedeutenden Jugendzentrumsband gespielt: Anarchophobia. Sie hätten auch nur eine EP und später eine LP gemacht. Die kenne ich aber bestimmt nicht. Ich sagte: »Die EP hab ich!« Vor allem Anas Gesang hatte mich damals begeistert. Der war piepsig, aber unheimlich pissed-off:

I wanna fight because … /what I look like is more important than what I do/and when I get raped it’s my own fault/and when I get bashed I must have provoked it/and when I raise my voice I’m a naggin’ bitch and when not I’m frigid/and when I love women it’s because I can’t get a real man/and when I’m depressed I’m on my period/and when I’m aggressive it´s because of my hormons/and when I’m doing political work it´s because I’m sexually frustrated./I wanna develop and not be conditioned./Fuck off patriarchy.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.