Angriffe auf Sorben in Sachsen

Sorge um Sorben

In Sachsen greifen Neonazis seit einiger Zeit gezielt Jugendliche an, die der sorbischen Minderheit angehören.

»Auf dem Weg zum Auto grölten sie Parolen gegen Sorben, wie zum Beispiel ›Sorbenschweine‹ oder ›Scheißsorben‹. Sie kamen auch zu unserem Auto, schlugen gegen die Scheibe und rissen an der Tür. Sie hatten Masken ins Gesicht gezogen, damit sie nicht zu erkennen waren. Im letzten Augenblick gelang es uns zu fliehen«, schildert ein Jugendlicher den Angriff in der Zeitung Serbske Nowiny. »Die Angreifer nennen sich ›Jungsturm‹, beschimpfen uns und sagen, dass hier Deutsch gesprochen wird.« Überfälle solcher Art häufen sich in den letzten Monaten. Gezielt suchen sich junge Neonazis kulturelle Veranstaltungen der sorbischen Minderheit für ihre Attacken aus. »Die stehen nachts vor dem Eingang und greifen einzelne Jugendliche an, beispielsweise, wenn sie zum Auto gehen«, beschreibt ein junger Sorbe die Taktik der Rechtsextremen. Bisweilen würden sie sogar Spitzel auf die Partys schicken, die die späteren Opfer ausspähen sollen.

Die Neonazis kommen in Gruppen von 15 bis 20 Personen, zum Teil vermummt. Vor einem Monat schüchterte eine Gruppe schwarz gekleideter Männer sorbische Discobesucher in Schönau bei Görlitz ein. Im September tauchten die Neonazis bei einem Open Air in Ostro (Landkreis Bautzen) auf und bedrängten einzelne Teilnehmer. Zu ähnlichen Vorfällen kam es zuvor auf einem Sommerfest in Ralbitz sowie auf einer Veranstaltung in Cunnewitz. »Dass sorbisch sprechende junge Leute gezielt ausgesucht werden, um sie zu provozieren, zu beschimpfen und in Schlägereien zu verwickeln«, empört den Vorsitzenden der Domowina, des Bundes der Lausitzer Sorben, Dawid Statnik. Solch aggressive Anfeindungen habe es in dem Landstrich östlich von Bautzen noch nie gegeben.
Seit dem Frühjahr häufen sich Angriffe in der Oberlausitz. Systematisch werden in der Region die sorbischen Namen auf den zweisprachigen Ortsschildern unkenntlich gemacht. Am Eingangschild von Großröhrsdorf (Landkreis Bautzen) fand die Polizei das Wort »Juden«, zwei Davidsterne und ein Hakenkreuz. Im Siedlungsgebiet der katholischen Sorben komme es darüber hinaus »schon seit geraumer Zeit zur Schändung von Kruzifixen«, beklagt Statnik. Beleidigungen als »Sorbenpack« beziehungsweise »Sorbenschweine« nehmen zu. Insgesamt habe die Entwicklung der vergangenen Monate eine Dimension an­genommen, »die erschreckend ist und Angst macht«. Auch die sächsische Polizei geht von einer zusammenhängenden Serie von Übergriffen aus. Das für den Rechtsextremismus zuständige Operative Abwehrzentrum (OAZ) übernahm die Ermittlungen. Der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz, der das OAZ leitet, spricht von »gezielten Angriffen auf sorbische Jugendliche und damit auf die sorbische Bevölkerung« und kündigt eine höhere Präsenz in den betroffenen ostsächsischen Regionen an.

Für den Bund Lausitzer Sorben ist die Anfeindung als slawische Minderheit nicht neu. Schon Theodor Fontane prägte in seinem fünfbändigen Werk »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« das Bild der ungebildeten und kulturell zurückgebliebenen Slawen in Deutschland (Jungle World 31/2013). Nach der Reichsgründung erreichte die Unterdrückung der sorbischen Sprache einen Höhepunkt. Auf Grund des gespannten deutsch-russischen Verhältnisses jener Zeit wurde die Existenz einer slawischen nationalen Minderheit als ernsthafte Bedrohung für das Land angesehen. Die Nationalsozialisten versuchten zunächst, die Sorben in die neuen Strukturen einzugliedern. So sollte die Domowina in den »Bund Deutscher Osten« integriert werden. 1937 wurde die sorbische Sprache in der Öffentlichkeit verboten, die ersten Dörfer mit wendischen Namen umbenannt und sorbische Lehrer zwangsum­gesiedelt.
In seinem Werk »LTI« beschreibt der jüdische Chronist Victor Klemperer die Haltung vieler Sorben zu dieser Zeit. »Wenn es ihr frommer Katho­lizismus allein nicht tat, so immunisierte sie bestimmt ihr Wendentum: Diese Menschen hingen an ihrer slawischen Sprache, deren sie der Nazismus im Kult und Religionsunterricht berauben wollte, sie fühlten sich den slawischen Völkern verwandt und durch die germanische Selbstvergottung der Nazis gekränkt.« Klemperer selbst tauchte auf seiner Flucht einige Zeit bei der Familie Scholz aus Pěskecy (heute Piskowitz) in der Nähe von Kamenz unter.
Das Verhältnis der rechtsextremen NPD zu den Sorben ist zwiespältig. Ronny Zasowk, stellvertretender Bundesparteivorsitzender und Cottbuser Stadtverordneter, erklärte 2007 in einer Stellungnahme die Sorben und Wenden zu Deutschen: »Selbst die ›bösen Menschen‹, welche von 1933 bis 1945 unser Land regierten, betrachteten die Wenden und Sorben als deutschen Volksstamm.« Die südbrandenburgische NPD plante zur gleichen Zeit, eine Initiative gegen neue Tagebaue in der Niederlausitz propagandistisch für sich zu nutzen. Insgesamt ist die Sympathie für die Sorben aber eher gering, vor allem im Bundesland Sachsen. 2012 empörte sich der NPD-Funktionär und Historiker Olaf Rose über den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislav Tillich (CDU), weil dieser als »Sorbe, der sich gern als Sachse ausgibt«, daher käme.

Im vergangenen Landtagswahlkampf buhlte die sächsische NPD – entgegen ihrer völkischen Ideologie – um Stimmen bei den Sorben. Die Partei verbreitete in den sorbischen Gebieten ein zweisprachiges Plakat mit der Aufschrift: »Domiznu škitać – Heimat schützen!«. Dies sei Ausdruck dafür, dass die Partei sich »für den Schutz unserer sächsischen Heimat mitsamt der autochthonen regionalen Kulturen und Traditionen« einsetze. Dazu gehöre in Sachsen »selbstverständlich auch die sorbische Kultur mit ihren Bräuchen und Traditionen«.
Für Flüchtlinge gilt dieser Schutz freilich nicht. Während es um Schneeberg etwas ruhiger geworden ist, demonstrierten in mehreren sächsischen Städten und Gemeinden Tausende gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge, in den vergangenen Wochen in Chemnitz, Dresden, Zwickau, Görlitz und Bautzen. Organisiert werden diese Proteste zumeist von lokalen NPD-Funktionären und Neonazis. Dabei beherbergt zum Beispiel der Landkreis Bautzen derzeit nur knapp 1 000 Personen, weitere 200 sollen in diesem Jahr hinzukommen. Weil die bestehenden Unterkünfte vollständig belegt sind, plant der Kreis in Neukirch, Malschwitz-Niedergurig und Ottendorf-Okrilla neue Quartiere zu eröffnen. Ursprünglich wollten die Behörden ein Wohncontainerdorf einrichten, das Vorhaben scheiterte aber unter anderem an den Protesten der Anwohner. Nun soll ein ehemaliges Parkhotel genutzt werden. Bereits zum 1. Dezember sollen bis zu 50 Asylbewerber in Großröhrsdorf in einer Turnhalle unter­gebracht werden. Als Betreiber ist die Firma European Homecare im Gespräch.
Das Erfolgskonzept »Anwohnerproteste« würde die sächsische NPD gern vor jeder Flüchtlings­unterkunft zur Anwendung bringen. Allein, weil dies die eigene Organisation nicht hergibt, dürfte das Vorhaben nicht gelingen. Einzelne regionale Schwerpunkt zu setzen hingegen schon. Pünktlich zum ersten Advent sollen in Schneeberg wieder Fackel­umzüge stattfinden.