Saeed Ghaseminejad im Gespräch über das Atomprogramm und die Iran-Politik der US-Regierung

»Die US-Regierung hat versagt«

Saeed Ghaseminejad ist Publizist, politischer Analyst und unter anderem Fellow der Foundation for Defense of Democracies. Während seines Studiums in Teheran war er Mitgründer der studentischen Vereinigung »Iranian liberal students and graduates«. Er lebt heute in New York. Mit der Jungle World sprach er über das iranische Atomprogramm und die Iran-Politik der US-Regierung.

Wie waren die Reaktionen in den USA auf die erneute Verlängerung der Atomverhandlungen mit dem Iran?
Die Atomverhandlungen mit dem Iran waren nicht im Fokus der Mainstream-Medien, da sie nicht als dringliche Angelegenheit angesehen wurden. Die Atomverhandlungen betreffen derzeit nicht das tägliche Leben gewöhnlicher US-Bürger, es ist also normal, dass sie nicht viel Aufmerksamkeit erhielten, aber die amerikanische Öffentlichkeit sieht das islamische Regime im Iran durchweg als eine negative Kraft in der Region und der Welt.
Wie hat sich das Verhältnis der Verhandlungsparteien im Laufe der Jahre entwickelt?
Vor etwa einem Jahr, als der Gemeinsame Handlungsplan (Joint Plan of Action, Anm. d. Red.) unterzeichnet wurde, hatten die USA die Oberhand, da die iranische Ökonomie am Rande des Zusammenbruchs stand. Die USA konnten damals den größten Druck auf den Iran ausüben, doch haben sie dieses Potential zunehmend verloren, da durch den Gemeinsamen Handlungsplan die Sanktionen gegen das iranische Regime ihre Wirkung verloren haben. Das Atomprogramm mit dem Ziel, eine Atombombe zu bauen oder bauen zu können, wird von Irans religiösem Führer Ali Khamenei vorangetrieben, um damit eine Sicherheitsgarantie zu erlangen. Das Atomprogramm soll außerdem als Druckmittel gegen Rivalen dienen, um den Einfluss in der Region stärker ausbauen zu können. Deshalb wird Khamenei nur dann bedeutende Konzessionen machen, wenn er das Gefühl bekommt, die Existenz des Regimes könnte durch das Atomprogramm bedroht sein. Die Bedrohung könnte ein Militärschlag oder internationaler ökonomischer Druck sein, der eine Revolte im Iran nach sich ziehen könnte. Jeder weiß, dass keine militärische Option auf dem Tisch liegt, also war das Sanktions­regime das einzige Druckmittel der USA gegen den Iran. Das Sanktionsregime ist bedeutend geschwächt und der Erosionsprozess beschleunigt sich. Das iranische militärische Atomprogramm besteht aus drei Teilen: Anreicherung von nuklearem Sprengstoff, Bombenbau und Entwicklung von Trägersystemen. Der Iran hat einige Konzessionen im Bereich der Anreicherung gemacht, die reversibel sind, da die entsprechende Infrastruktur erhalten wurde und weiter geforscht und entwickelt wird. Im gemeinsamen Handlungsabkommen ging es weder um den Bombenbau noch um die Trägersysteme. Soweit wir wissen, verbessert der Iran schnell seine Trägersysteme. Über den Bombenbau haben wir keine Informationen, aber Iran hat sich laut Internationaler Atombehörde nicht an die Versprechen gehalten, seine Aktivitäten in diesem Bereich zu erklären. Im vergangenen Jahr hat die iranische Ökonomie die Rezession überwunden und steht nicht länger am Rande des Zusammenbruchs. Der Iran hat seinen Einfluss in der Region bedeutend ausgeweitet und die USA haben ihm freie Hand gelassen, weil sie den Iran am Verhandlungstisch halten wollen. In den nächsten sieben Monaten wird das Druckpotential der USA noch weiter abnehmen. Die einzig gute Nachricht ist der Rückgang des Ölpreises, der hauptsächlich Saudi-Arabien zu verdanken ist. Das Hauptproblem ist, dass die gegenwärtige US-Regierung den Iran nicht als Bedrohung sieht. Die US-Regierung hat im Bereich Außenpolitik versagt, und sie sieht ein Abkommen mit dem Iran als ihr außenpolitisches Erbe an. Deshalb wird sie alles tun, um ein Abkommen zu unterzeichnen. Das ist eine sehr gefährliche Vorgehensweise. Auf der anderen Seite ist meines Erachtens der religiöse Führer im Iran sehr glücklich mit der gegenwärtigen Situation. Er wird ein Abkommen nur dann unterzeichen, wenn dieses miserabel für die USA und ihre Verbündeten ausfällt, also wenn es dem Iran inoffi­ziell die Möglichkeit gibt, die nukleare Bewaffnung zu erreichen.
In den USA werden die Republikaner bald die Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat haben. Bei den Kongresswahlen haben sich viele Demokraten von Präsident Obama distanziert. Wie wird das die Iran-Politik der USA beeinflussen?
Nicht nur Republikaner, auch viele Demokraten sind besorgt darüber, wie die Regierung die Atomverhandlungen handhabt. In einem offenen Brief haben 43 republikanische Senatoren Präsident Obama vor einem schlechten Verhandlungsabschluss gewarnt, und in einer anderen Stellungnahme haben der republikanische Se­nator Mark Kirk (Illinois) und der demokratische Senator Robert Menendez (New Jersey) dargelegt, wie ein gutes Abkommen aussehen könnte. Wir können erwarten, dass der neue Kongress weitere Sanktionen gegen die Islamische Republik Iran beschließen wird, gegen die der Präsident dann voraussichtlich sein Veto einlegen wird. Ob genug demokratische Senatoren für die Sank­tionen stimmen oder ob sie Präsident Obama folgen werden, ist noch nicht klar. Das hängt von der Machtdynamik innerhalb der Demokratischen Partei ab. Barack Obama wird es mit einer re­publikanischen Mehrheit im Kongress schwerer haben, ein schlechtes Abkommen mit dem Iran zu schließen, aber er könnte ähnlich wie bei der Präsidialverordnung zum Thema Immigration einen Weg finden.
Im Jahr 2010 haben Sie einen offenen Brief unterzeichnet, der die antiisraelische Haltung vieler iranischer Oppositioneller kritisierte (Jungle World 27/2010). Wie sehen iranische Oppositionelle den Konflikt um das Atomprogramm?
Seit dem Amtsantritt von Präsident Hassan Rohani haben die antiisraelischen und antisemitischen Haltungen in der Opposition bedeutend zugenommen. Der Grund ist die generell unter Iranern vorherrschende Meinung, dass die US-Regierung ein Abkommen mit dem Iran unterzeichnen und die Sanktionen aufheben will, dies aber wegen des Drucks aus Israel und Saudi-Arabien nicht kann. Ob das stimmt oder nicht, ist eine andere Frage, aber die Feindseligkeit ­gegenüber Israel und den Sunniten hat sich verschärft.
Könnte man sagen, dass eine Mehrheit der Iraner, die Exilopposition eingeschlossen, die Politik des Regimes unterstützt, wenn es um das Atomprogramm oder die sunnitisch-schiitischen Konflikte in der Region geht?
Es ist schwer zu sagen, ob eine Mehrheit die Politik der Islamischen Republik unterstützt oder nicht, da es weder glaubwürdigen Umfragen noch Redefreiheit oder freie Wahlen gibt. Letzteres legt nahe, dass die Mehrheit der Iraner das Regime nicht unterstützt, denn warum sollte dieses sonst Angst vor freien und fairen Wahlen haben? Fest steht, dass die Mehrheit der einfachen Iraner eine Aufhebung der Sanktionen will, deshalb wurde Rohani zum Präsidenten gewählt. Ihnen ist das Atomprogramm egal und sie wären froh, wenn das Regime das Atomprogramm beendet, so dass die Sanktionen aufgehoben werden können. Aber wenn Obama dem Regime Erleichterungen bei den Sanktionen gewährt und den Weg zur Atombombe freigibt, hätten sie wahrscheinlich nichts dagegen. Der konfesionalisierte Krieg im Nahen Osten ist eine viel kompliziertere Angelegenheit. Es geht dabei nicht nur um Religion, es gibt auch viele andere Aspekte, die tief in der Geschichte der Region verwurzelt sind und die sogar bis in die Zeit vor dem Islam zurückreichen. Aber ich glaube, dass in einer freien und fairen Wahl die Mehrheit der Iraner nicht zustimmen würde, dass die Ressourcen des Landes dafür verwendet werden, einen konfesionalisierte Krieg in der Region zu führen.