Die Fehler der deutschen Atompolitik

Ein AKW ist keine Imbissbude

Doppelt so viel Atommüll wie bisher angenommen, zahlungsunwillige Konzerne und überall verrostete Fässer – die Endlagersuche offenbart die Verfehlungen der bisherigen Atompolitik.

»Willst du wirklich mit mir Schluss machen?« – »Wäre doch schön, wenn wir zusammenblieben …« Mit diesen und ähnlichen Sprüchen versuchte das Deutsche Atomforum, vor der Bundestagswahl 2009 auf Postkarten noch ein letztes Mal Stimmung gegen den Atomausstieg zu machen. Ohne Erfolg: Bis zum Jahr 2022 sollen die verbleibenden neun Atommeiler in der Bundesrepublik abgeschaltet werden.
Anscheinend haben die Betreiber der Anlagen diese Abfuhr noch immer nicht verkraftet. Medienberichten zufolge bereitet das Energieunternehmen Eon derzeit eine Klage gegen das Standortauswahlgesetz vor, mit dem die Endlagerung des Atommülls geregelt wird. In dem Gesetz ist festgelegt, dass die »Abfallverursacher« die Kosten für die Suche nach geeigneten Endlagern tragen müssen. Auch andere AKW-Betreiber haben Widersprüche gegen Kostenbescheide eingereicht.

Eon ist jedoch der erste Konzern, der vor Gericht ziehen will, er soll sogar den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit erheben. Schließlich sei mit Gorleben bereits ein geeigneter Standort vorhanden, die weitere Suche nach anderen Standorten, die an die zwei Milliarden Euro kostet, daher unnötig, so die Argumentation des Unternehmens. Dabei gibt es schon lange sowohl technische als auch ökologische Zweifel an der Eignung des Standorts Gorleben. Hinzu kommt der große Widerstand der Bevölkerung gegen das Endlager im Wendland.
Die Weigerungshaltung der Energiefirmen könnte nicht nur die Bundesregierung in finanzielle Bedrängnis bringen, sondern auch die Arbeit der Kommission »Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe« stark behindern, die mit der Suche nach anderen Endlagern beauftragt ist. Denn zu ihr gehört auch Ralf Güldner, Mitglied der Geschäftsführung von Eon und Präsident des Deutschen Atomforums. Michael Müller (SPD), einer von zwei Vorsitzenden der Kommission, legte dem Vertreter von Eon bereits den Rückzug aus der Kommission nahe. Das Kommissionsmitglied Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) reagierte ebenfalls empört. »Eon hat offenbar bis heute noch nicht begriffen, dass die Auswahl eines Atommüllendlagers etwas anderes ist als die Genehmigung einer Imbissbude«, sagte die atompolitische Sprecherin der Grünen.
Bereits im Mai hatten die Energiekonzerne mit einem Vorschlag für Unmut gesorgt, mit dem sie sich selbst aus der Verantwortung entlassen wollten. Die Idee war, den Betrieb der Atomkraftwerke bis zu ihrer Abschaltung sowie insbesondere den Rückbau der Anlagen und ihre Entsorgung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung zu übergeben. Schon damals hatten die Konzerne durchblicken lassen, dass sie bei Ablehnung ihres sonderlich anmutenden Vorhabens möglicherweise Schadenersatzforderungen wegen des Atomausstiegs an den Bund stellen wollten. Politiker bezeichneten dies als Erpressung.

Zu der Kostenfrage kommt nun noch ein weiteres Problem. Aus einem Entwurf des »Nationalen Entsorgungsprogramms«, das das Bundesumweltministerium derzeit auf Verlangen der EU-Kommission vorbereitet, geht hervor, dass weitaus mehr radioaktive Abfälle anfallen werden als bislang öffentlich bekannt. Statt der bisher offiziellen Zahl von 300 000 Kubikmetern Atommüll ist dort nun von 600 000 Kubikmetern die Rede, also der doppelten Menge. Dieser enorme Unterschied liegt zum einen daran, dass die über 100 000 Fässer, die aus dem maroden Endlager Asse II bei Wolfenbüttel entnommen werden müssen, erstmals hinzugezählt wurden. Zum anderen wurden auch 100 000 Kubikmeter Atommüll aus der Urananreicherungsanlage Gronau ein­gerechnet. Dieser Abfall wurde bisher als »Wertstoff« zur Wiederaufarbeitung deklariert und tauchte daher nicht in den Listen auf. Der Schacht Konrad bei Salzgitter, der bisher als Favorit für die Endlagerung gilt, ist aber nur für die ursprünglich geschätzten 300 000 Kubikmeter ausgelegt. Nun gibt es Überlegungen, den Schacht zu erweitern. Umweltinitiativen äußerten sich skeptisch darüber, ob dies ohne weitere Gefahren möglich ist.
Am Problem des Atommülls zeigt sich exemplarisch, dass die Zukunft für das Atomgeschäft nie eine große Rolle gespielt hat. Die Verantwortlichen haben sich wenige bis keine Gedanken über Langzeitfolgen und die Endlagerung gemacht, obwohl von Beginn an bekannt war, dass jeder einzelne Brennstab Tausende Generationen von Atomkraftwerksbetreibern und Politikern überdauern wird. Müller beklagte im Deutschlandfunk diese Haltung. »Das ist, als ob man Tausende von Jumbo-Jets in die Luft jagt, ohne irgendwo eine Landebahn zu haben«, sagte er. Nun soll die Endlagerkommission es richten. Ihre Aufgabe ist es, bis Ende 2015 einen Kriterienkatalog zu erstellen, auf dessen Grundlage dann die eigentliche Suche beginnen soll. 2023 soll der Bundestag – so sieht es zumindest der Zeitplan vor – die besten Standorte zur abschließenden Erforschung bestimmen, 2031 soll dann die Entscheidung über die finale Lagerung des Atommülls fallen. Es ist kaum davon auszugehen, dass dieser Zeitplan eingehalten wird angesichts der Schwierigkeiten, mit denen sich die Kommission nur ein halbes Jahr nach Aufnahme ihrer Arbeit konfrontiert sieht.
Die Probleme, die nach nur einem halben Jahrhundert seit Inbetriebnahme des ersten Atomkraftwerkes auftreten, geben bereits einen kleinen Ausblick darauf, was da noch kommen wird. Das stillgelegte Salzbergwerk Asse, an dem exemplarisch die Lagerung von Atommüll erforscht werden sollte, hat sich mittlerweile zum »Gau der Endlagersuche« entwickelt, wie es Sigmar Gabriel (SPD) noch als Umweltminister formulierte. Der Salzstock wird langsam überschwemmt, zudem wurden dort Fässer mit nur kurzer Haltbarkeit verwendet. Nun müssen die 126 000 Fässer wieder geborgen werden, vier bis sechs Milliarden Euro wird dies kosten.
In den Kellern des AKW Brunsbüttel werden immer wieder stark beschädigte Fässer entdeckt. Mittlerweile ist bekannt, dass mindestens 136 der über 600 Fässer verrostet sind und radioaktives Material austritt. Recherchen des NDR ergaben, dass an 17 Standorten ungefähr 2 000 beschädigte Fässer zwischengelagert sind. Offizielle Zahlen sind nicht vorhanden, derzeit lässt die Atomaufsicht vielerorts die Keller öffnen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Michael Sailer, Atomexperte des Öko-Instituts und ebenfalls Mitglied der Endlagerkommission, geht davon aus, dass dies nur »die Spitze des Eisberges« ist.

Wie schnell aus diesem Müll eine Gefahr werden kann, zeigte ein Vorfall in den USA. Im Waste Isolation Pilot Plant, einem stillgelegten Salzstock im Bundesstaat New Mexico, wurden im Februar bei einem radioaktiven Unfall 20 Arbeiter gefährlichen Mengen an Strahlung ausgesetzt. Ein Fass mit radioaktivem Abfall aus einer militärischen Testanlage war leck geschlagen, dabei war es zu extremer Hitzeentwicklung gekommen. In der Folge wurde auch in der oberirdischen Umgebung erhöhte Strahlung festgestellt, anscheinend war sie durch das Belüftungssystem nach draußen gelangt. Die lokale Tageszeitung The Santa Fe New Mexican hat nach langwieriger Recherche nun herausgefunden, wie es zu dem besorgniserregenden Vorfall kommen konnte: Der radioaktive Müll war zur Trocknung fälschlicherweise mit organischem Katzenstreu versetzt worden, das mit den Abfällen chemisch reagierte. Die Ursache hierfür war offenbar ein simpler Schreibfehler. Die Arbeiter wurden aus Versehen angewiesen, organisches statt unorganisches Trockenmittel einzusetzen. Auf diese Weise hatten sie unwissentlich eine kleine radioaktive Bombe hergestellt.