Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte in Berlin

Zu Gast bei Berlinern

In mehreren Berliner Stadtteilen protestieren sogenannte Anwohnerinitiativen gegen Flüchtlingsunterkünfte. Neonazis spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Durchschnittlich melden sich jeden Tag 250 neue Flüchtlinge in der zentralen Berliner Anlaufstelle für Asylbewerber an. Das Land Berlin betreibt derzeit 48 Unterkünfte, sechs davon sind Erstaufnahmeheime. Als überfüllt gelten alle. Als vorläufigen Notbehelf baute der Bezirk Mitte in der vergangenen Woche zwei Traglufthallen am Poststadion um. Hier können kurzfristig insgesamt 250 bis 300 Menschen untergebracht werden.

Zusätzlich zu der heillosen Überforderung wird die Suche nach geeigneten Möglichkeiten der Unterbringung durch sogenannte Anwohnerproteste erschwert. Der Sozialsenator Mario Czaja (CDU) möchte deshalb die vermeintlichen Vorbehalte in der Bevölkerung durch einen »Beirat für Zusammenhalt« abbauen. Das parteiübergreifende Gremium soll dazu beitragen, nicht nur die Stimmung zu verbessern, sondern auch die »berechtigten Interessen« der Anwohner zu vertreten.
Der Berliner Landespolitik wirft Timo Reinfrank von der Amadeu-Antonio-Stiftung dagegen vor, grob fahrlässig zu handeln, wenn sie Flüchtlinge in einem Kiez unterbringe, in dem es einen großen Anteil an NPD-Wählern gebe. Dennoch werden gerade Containerdörfer am Rand der Stadt errichtet. Bekanntermaßen betätigen sich dort, in der Peripherie, Berliner Neonazis mit Vorliebe.
Vor allem in den Stadtteilen Buch, Marzahn und Köpenick bildeten sich sehr schnell »Bürgerbewegungen« und »Bürgerinitiativen« in den ­sozialen Netzwerken, die sich gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in ihrer Nachbarschaft aussprechen. Außer zur Vernetzung nutzen diese Anwohner die Internet-Portale vor allem zur gegenseitigen Bestätigung von altbekannten Vorurteilen. Weiteres erfolgt dann auf der Straße. Während in Buch und Köpenick die Teilnehmerzahl der Demonstrationen bei einigen Hundert stagniert, steigerte sich im November die Zahl der Montagsdemonstranten in Marzahn von anfangs knapp 300 auf weit über 1 000.
Antifaschisten gelang es nur gelegentlich, die Aufzüge entscheidend zu stören. Erst Ende November verhinderte die Ankündigung einer antirassistischen Demonstration einen geplanten dritten Aufmarsch gegen das Flüchtlingsheim im Allende-Viertel in Köpenick. Die Mitglieder der Initiative »Buch lebenswert« mussten zur selben Zeit feststellen, dass ihrer Anmeldung einer Montagsdemonstration jemand zuvorgekommen war. Auf der Plattform »Kein Asylanten-Containerdorf in Buch« beklagen sie, dass die »deutsche Linke« eine Demonstration in Buch angemeldet habe, »um somit unsere Demostrecke zu blockieren«. Deshalb erwägen die Dorfschützer, ihre Umzüge auf Donnerstag zu verlegen. Die Montagsdemonstrationen in Marzahn werden in der Zwischenzeit als Ausweichmöglichkeit beworben.

Den Kern der sich bürgerlich gebenden Initiativen stellen zumeist altgediente NPD- oder Kameradschaftskader aus dem jeweiligen Bezirk. »Dieser Protest ist von Neonazikadern organisiert und gesteuert. Bekannte Neonazis betreiben die entsprechenden Facebook-Kanäle, sie melden die Demonstrationen an und halten dort Redebeiträge«, sagt die Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Clara Herrmann.
Hinter der »Bürgerbewegung Marzahn« stehen den Recherchen lokaler Antifaschisten zufolge der stellvertretende Vorsitzende des Berliner Landesverbands der Partei »Die Rechte«, Patrick Krüger, und René Uttke, der nach Angaben der Taz als »politischer Mentor des NPD-Landesvorsitzenden Sebastian Schmidtke« gilt. In Köpenick meldete zwar eine Frau, die bisher nicht als rechtsextrem aufgefallen war, die Protestdemonstration an. Als Redner trat aber neben dem Landesvorsitzenden der NPD, Sebastian Schmidtke, auch der Europaabgeordnete der Partei, Udo Voigt, auf. Das Transparent »Wache auf. Handeln statt Klagen« war in Köpenick, wie bei fast jeder Demonstration gegen Flüchtlinge in Berlin oder Brandenburg in jüngster Zeit, ebenfalls zu sehen.
Im Pankower Stadtteil Buch fungiert Christian Schmidt als Anmelder, Redner und Organisator in einer Person. Das ehemalige Mitglied der Freien Nationalisten Berlin-Mitte wurde erst in diesem Jahr zum Kreisvorsitzenden der NPD Pankow gewählt. Zuvor agierte Schmidt als Bindeglied zwischen jungen, aktionistischen Nazis und der Partei, so baute er eine Gruppe der Jungen Nationaldemokraten in Pankow auf. »Der Gedanke des Nationalsozialismus ist noch lange nicht tot. Er lebt in uns weiter«, bekundete Schmidt auf einer NPD-Kundgebung gegen ein Flüchtlingsheim in Weißensee. Angesichts solcher Äußerungen wird deutlich, dass sich Nazis gelegentlich nicht einmal mehr die Mühe machen, die bürgerliche Fassade aufrechtzuerhalten. Die Geduld des braunen Fußvolkes wurde ohnehin arg auf die Probe gestellt. Im großen Mob friedlich gegen Flücht­linge zu demonstrieren, dürfte als Ventil nur kurzfristig geeignet sein. So berichten Köpenicker Antifaschisten, dass sich in jüngster Zeit die Übergriffe gehäuft hätten. Mehrmals sei es »zum Wurf von Gegenständen und Böllern« gegen Flüchtlingsunterkünfte gekommen.
Bereits vor einem halben Jahr verübten zwei Männer einen Brandanschlag auf die Unterkunft in der Salvador-Allende-Straße. Sie besprühten die Tür eines Notausgangs mit einer brennbaren Flüssigkeit und entzündeten diese. Einer der beiden zeigte dabei den Hitlergruß. Fünf Monate später kam am Rande des Prozess gegen die Angreifer heraus, dass die Flammen nicht von selbst erloschen, wie die Polizei ursprünglich bekanntgegeben hatte, sondern von Bewohnern der Unterkunft gelöscht wurden. Das dilettantische Vorgehen der Angeklagten, so sagte ein Gerichtssprecher dem RBB, sei der Grund dafür gewesen, dass die Anklage nicht auf Brandstiftung oder versuchten Mord gelautet hatte. Es habe keine Anhaltspunkte für einen Tötungsvorsatz gegeben, weil die brennende Tür aus Metall war.
Dass der Protest gegen Flüchtlingsheime und ihre Bewohner in Berlin noch häufiger gewaltsame Formen annehmen könnte, zeigt sich auch in Buch. Dort eskaliert regelmäßig die Situation am Bauzaun des zu errichtenden Containerdorfs. Die Gegner der Unterkunft fühlen sich vom Sicherheitsdienst in der Ausübung ihres rassistischen Furors eingeschränkt. »Der Sicherheitsdienst hat übrigens auch heute wieder Fotos der Teilnehmer gemacht und Leute angepöbelt … wir sind gespannt, wie lange sich die Bucher Bürger das noch bieten lassen«, schreibt die sogenannte Bürgerinitiative vielsagend.
Dem Verfassungsschutz zufolge berichtete zudem vor knapp drei Wochen ein V-Mann, dass sich der Neonazi Marc M. aus Buch für eine deutliche Radikalisierung ausgesprochen habe. Bei einem Treffen mit Gleichgesinnten habe M. betont, dass der Kampf mit Worten gescheitert sei und nun Taten folgen müssten. Als Sportschütze verfüge M. über mindestens drei Waffen.