Der Streit über Freihandelsabkommen in der SPD

Die Genossen sehen rot

Innerhalb der SPD gibt es Streit über die geplanten Freihandelsabkommen CETA und TTIP.

Die SPD-Linken sind empört. Zum wiederholten Male hat ihnen ihr Parteivorsitzender Sigmar Gabriel ihre Macht- und Einflusslosigkeit in der Großen Koalition vor Augen geführt. Vor zwei Wochen machte er in einer Rede vor dem Bundestag deutlich, dass er CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) – ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, das als wichtige Weichenstellung für das weitaus umfangreichere Abkommen TTIP mit den USA gilt – auf jeden Fall zustimmen will. Damit setzte er sich klar über den Beschluss eines Parteikonvents vom September hinweg, in dem es hieß, man werde dem Vertrag nur zustimmen, wenn gewisse »rote Linien« nicht überschritten werden. Damit waren vor allem die im Rahmen des Vertragswerks vorgesehenen Schiedsverfahren zum Investorenschutz gemeint. Gabriel hatte den Eindruck vermittelt, dass er in Nachverhandlungen eine Streichung dieser Klauseln durchsetzen könnte.
Diese sogenannten Investor-Staat-Schiedsverfahren geben internationalen Unternehmen die Möglichkeit, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie ihre Geschäftsbedingungen gefährdet sehen, zum Beispiel durch nationale Umwelt- oder Verbraucherschutzgesetze. Aufgrund ähnlicher Abkommen sieht sich beispielsweise Deutschland wegen des Atomausstiegs mit einer Klage von Vattenfall auf Schadenersatz in Höhe von 4,7 Milliarden Euro konfrontiert, Philip Morris klagt auf Schadenersatz gegen Uruguay wegen der drastischen Gesundheitswarnungen auf Zigarettenpackungen. In einer EU-weiten und teilweise von antiamerikanischen Ressentiments befeuerten Kampagne gegen CETA und TTIP wird insbesondere die Intransparenz solcher Verfahren und die komplette Aushebelung demokratisch erlassener Gesetze zugunsten internationaler Konzerne hervorgehoben. Die sogenannte »selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA« konnte innerhalb von weniger als zwei Monaten über eine Million Unterschriften gegen die Abkommen sammeln.

Nachdem sich Wirtschaftsminister Gabriel, der CETA und TTIP grundsätzlich befürwortet, in den Verhandlungen mit den parteiinternen Freihandelskritikern und in einem gemeinsamen Papier von Wirtschaftsministerium und DGB zunächst darauf eingelassen hatte, eine Zustimmung zu CETA an eine Absage an die Schiedsverfahren zu koppeln, irritierte er nun in seiner Bundestagsrede viele seiner Genossen mit einem alarmistischen Plädoyer für Freihandelsabkommen, egal unter welchen Bedingungen: »Sind wir als Europäer draußen vor, dann ist das für eine Exportnation wie Deutschland eine mittlere Katastrophe.« Hunderttausende Arbeitsplätze seien in Gefahr, wenn man sich im Wettstreit mit den boomenden Ökonomien Asiens ins Abseits befördere, und dafür würden »unsere Kinder uns verfluchen«. Für die »nationale Bauchnabelschau« und die hysterische Debatte, die in Deutschland zu diesem Thema geführt werde, habe Europa kein Verständnis. Das verbreitete »Unwohlsein« im Bezug auf CETA sei kein ausreichender Grund, den ganzen Prozess zu stoppen. Daher gelte, Parteikonventsbeschluss hin oder her: »Wenn der Rest Europas dieses Abkommen will, dann wird Deutschland dem auch zustimmen. Das geht gar nicht anders.«
Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. Während Vertreter politischer Mitbewerber wie Reinhard Bütikofer von den Grünen und Klaus Ernst von der Linkspartei Gabriel routiniert Wortbruch vorwarfen, war die Verärgerung bei Vertretern des linken Flügels der SPD besonders groß. So sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Ralf Stegner, Gabriel könne sich nicht einfach über die vom Parteikonvent beschlossenen »roten ­Linien« hinwegsetzen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Welthandelsexperte Sascha Raabe sagte Spiegel Online, er finde »Gabriels Attitüde total daneben« und sehe ein »Glaubwürdigkeitsproblem« des Parteivorsitzenden.
Hilde Mattheis, als Vorsitzende der parteiinternen Gruppierung Forum Demokratische Linke (DL21), eine profilierte Kritikerin der Parteiführung, machte gar den Inhalt einer SMS von Gabriel öffentlich, in der er ihr zugesichert hatte, dass es »ohne Beschlussfassung in der Partei« keine Zustimmung zu CETA geben werde. Johanna Uekermann, die Bundesvorsitzende der Jusos, bekräftigte die Haltung der Parteilinken im Gespräch mit der Jungle World: »Auf dem Parteikonvent wurden mit breiter Mehrheit rote Linien vereinbart und ich gehe davon aus, dass diese gelten. In jedem Fall müssen Nachverhandlungen geführt werden und die Schiedsverfahren müssen raus.«

Obwohl Gabriel nach dem ersten Sturm der Entrüstung versuchte, auf die Kritiker zuzugehen, und die Abhaltung eines weiteren Parteikonventes zu CETA und TTIP in Aussicht stellte, kam es kurz darauf in der Fraktionssitzung der SPD zum offenen Schlagabtausch zwischen Kritikern und Unterstützern des abwesenden Parteivorsitzenden. Im Gespräch mit der Jungle World berichtete die Leipziger SPD-Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe, die der Parlamentarischen Linken in der Fraktion angehört: »Natürlich kann das auch mal emotional werden. Wie da mit Frau Mattheis umgegangen wurde, das war nicht fein.« Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Hubertus Heil hatte die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis wegen ihrer SMS-Indiskretion in einer Weise persönlich angegriffen, die ihn später veranlasste, sich öffentlich zu entschuldigen.
Mattheis geht nicht erst seit ihrer offensiven Ablehnung der Großen Koalition Pragmatikern wie Gabriel, Heil oder dem Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann auf die Nerven und ist verstärkt Anfeindungen ausgesetzt. Die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe, ebenfalls Mitglied der Parlamentarischen Linken, bestätigt im Gespräch mit der Jungle World den Eindruck: »Es gibt immer größeren Druck, der Linie der Parteiführung zu folgen.« Für sie steht die Heftigkeit des derzeitigen Streits in einem größeren Zusammenhang: »Zwischen linker und rechter Parteiströmung gibt es natürlich immer Reibungsflächen. Bis jetzt wurden diese Debatten nicht sehr offen geführt. An der Auseinandersetzung um CETA entlädt sich nun die Spannung.«

Die Geschehnisse werfen auch ein Licht auf den prekären Zustand des von internen Zerwürfnissen geplagten linken Flügels der SPD, der Gabriel offensichtlich die nötige Sicherheit gibt, um parteiinterne Vereinbarungen in derart provozierender Weise missachten zu können. Stegner hatte im vorigen Jahr mit der Gründung des »Berliner Kreises« den Versuch unternommen, die linke Parteiströmung zu einen, dabei aber wichtige Vertreter dieses Flügels übergangen und verärgert. »DL21« war erst im Sommer in die Schlagzeilen geraten, nachdem Andrea Nahles und andere prominente Mitglieder des Forums wegen der kompromisslosen Haltung von Mattheis ihren Austritt erklärt hatten.
Zudem weist Kiziltepe auch auf das Missverhältnis zwischen numerischer Stärke und geringem Einfluss der Parteilinken hin: »Wir sind die größte Strömung in der Fraktion, das spiegelt sich aber nicht in der Besetzung der wichtigen Posten wieder. Wir stellen mit Andrea Nahles nur eine Ministerin. Um an die Schaltstellen der Macht zu kommen, müssen wir uns besser organisieren.« Zu eben diesem Zweck hatten Carsten Sieling als Sprecher der Parlamentarischen Linken, Stegner und Uekermann Mitte November ein Treffen von ungefähr 200 SPD-Linken in Magdeburg initiiert. Die neu gegründete »Magdeburger Plattform« soll dazu beitragen, linken Positionen in der Partei wieder mehr Gehör zu verschaffen und die linke Strömung schlagkräftiger zu organisieren, wie Kolbe und Uekermann der Jungle World übereinstimmend berichten. Wie gut dies gelingt, wird sich auch daran zeigen, wer bei den parteiinternen Auseinandersetzungen um CETA und TTIP den weiteren Verlauf der »roten Linien« bestimmt.