Der Film »#Zeitgeist«

Menschen am Telefon

Nicht das Internet ist das Problem, sondern die Gesellschaft, die es nutzt: Jason Reitmans Film »#Zeitgeist« ist eine gelungene Satire über digitale Nähe und analoge Entfremdung.

Blassblauer Punkt: Die Raumsonde Voyager schießt durchs All und lässt die Erde unter sich zurück. Als winziger Stecknadelkopf zeichnet sie sich an der Pinwand des Sonnensystems ab. Und doch ist es dieser Winzling, der für die Menschen alles bedeutet, sagt eine Frauenstimme aus dem Off. Wird von diesem Planeten einmal mehr übrig bleiben als die Geräusche von Wind und die Musik von Bach, die die Voyager als Botschaft an Außerirdische an Bord hat? Der Prolog im Himmel bricht ab, die Kamera zoomt hinein in eine texanische Mittelschichtenwelt aus Figuren, deren Biographien entlang ihrer Internetkommunikation ellipsenhaft erzählt werden.
Der deutsche Filmtitel »#Zeitgeist« ist unglücklich gewählt. Warum bloß wurde der lakonische Originaltitel »Men, Women & Children« durch jene mit metaphysischen Anwandlungen des deutschen Idealismus aufgeladene Vokabel ersetzt? Solche okkulte Perspektive hat Regisseur Jason Reitman gerade nicht im Sinn. Er bleibt beim Offensichtlichen und zeigt seine von einem Staraufgebot (Adam Sandler, Jennifer Garner, Ansel Elgort) gespielten Personen verstrickt in die maschinenvermittelte Alltagskommunikation.
Was wie ein Weltraumdokumentarfilm beginnt, wandelt sich unversehens in einen Spielfilm. Es geht im Wesentlichen um Menschen, die auf Displays starren. Der Plot trägt dabei überdeutlich die Züge einer Soap: Irgendwo zwischen Whats-App und Avatar-Fütterung, Kindern und Haushalt ist den Eheleuten Don und Helen die Libido eingeschlafen und sie schauen sich online nach Abwechslung um. Ihr 15jähriger Sohn ist Pornokonsument und bereits so abgestumpft, dass ihn seine Mitschülerin Hannah beim ersten Mal nicht mehr erregt. Er hatte schon zu den erotischen Bildern auf Hannahs Homepage onaniert, die die Mutter für die Tochter betreibt. Man kann ja nicht früh genug anfangen mit der Karriereplanung der Kleinen. Als Helikoptermutter überwacht Patricia jeden digitalen Schritt ihrer Tochter, trackt deren Mobilphon und druckt die Internetprotokolle aus. So fügt sich ein Mosaik aus Episoden aus dem Highschool-Leben einiger Teenager samt ihrer Eltern, die sich mehr und mehr überschneiden und in ihren (Online-)Aktionen oft gegenseitig bedingen.
Eigentlich, sagen Helen und Don, hätten sie die Mobiltelefone nach den Anschlägen am 11. September besorgt, um bei einem weiteren Terroranschlag erfahren zu können, wo der andere sich gerade befindet. Warum sie die Geräte jetzt kaum mehr aus der Hand legen, wissen sie auch nicht. So wenig, wie auch die anderen ihre Online-Aktivitäten erklären können. Wieso schlingert eine, durch digitales Dissen getrieben, in die Magersucht? Muss man alles für die Superträume geben und sind Online-Fantasy-Rollenspiele das richtige Mittel gegen Depressionen und deren Ursachen? Es sind hier so ziemlich alle Teenagerprobleme vertreten, und auch den Erwachsenen geht es nicht besser. Irgendwie sind alle kaputt in dieser weißen Mittelschichtsgeschichte.
Das ist alles nicht neu, mag man einwenden, nur hübsch komprimiert. Mit diesem Urteil geht man dem Regisseur aber schon auf den Leim. Der Film ist kein Manifest, sondern eher eine Art Versuchsanordung im Stil des Hyperrealismus. Nicht ohne Grund beginnt Reitman mit dem Flug der Voyager und ihrer Botschaft ans All, die alles beinhalten soll, was das Erdenleben ausmacht. Man findet in »#Zeitgeist« auch keinen Anflug von versöhnlichem Humor wie in den eher kömödiantischen Filmen des Regisseurs, »Juno« und »Up in the Air«. »#Zeitgeist« ist eine bitterböse Satire, die überspitzt und karikiert. Dafür sorgen die hochkarätige Besetzung, die oft auf die Totale fixierten Einstellungen und die Hochglanzästhetik.
Wahlweise merkwürdiges Melodram oder finstere Fabel, überschreitet der Film die Grenzen der Wohlfühlkritik, in die sich das digitale Unbehagen sonst gerne kuschelt. Hier wird nicht die eigene Überforderung zur schrillen Mahnung stilisiert, wie man es aus Frank Schirrmachers Büchern »Payback« und »Ego« kennt. Der Film teilt auch nicht den naiven Furor des Enttäuschten, wie er aus Douglas Rushkoffs Buch »Present Shock« spricht. In dem vom Feuilleton gefeierten Werk legt Ex-Cyberpunk Rushkoff, Erfinder des Begriffs digital native, seine Klage über das Internet als verschriftlichtes Mindmapping vor. Zusammengerührt mit ein bisschen Zinskritik und dem Lob des Biorhythmus liest sich das Buch wie ein weiteres Simplify-Your-Life-Mantra.
Reitman hat keine einfachen Gegenrezepte anzubieten, aber gerade die Oberflächlichkeit seiner Darstellung erweist sich letztlich als Qualität des Films. Nicht Whats-App und Facebook sind das Problem, sondern die soziale Verfasstheit der Gesellschaft. Auch exakt 50 Jahre nach dem Erscheinen von Herbert Marcuses »Der eindimensionale Mensch« gilt noch immer: »Eine komfortable, reibungslose, vernünftige, demokratische Unfreiheit herrscht in der fortgeschrittenen industriellen Zivilisation, ein Zeichen technischen Fortschritts. In der Tat, was könnte rationaler sein als die Unterdrückung der Individualität bei der Mechanisierung gesellschaftlich notwendiger, aber mühevoller Veranstaltungen.«
Wenn Menschen durch Schulflure und Shoppingmalls eilen und auf Smartphones starren, sind nicht die Technologien das Problem. Wenn Eheleute sich nichts mehr zu sagen haben und lieber in Online-Börsen surfen, ist das Konzept der Ehe kritikwürdig. Der Film stellt die Personen als Getriebene zur Schau, von Bewegungen im Datenstrom erfasst, und seziert genüsslich, wie alle in den Reusen der sozialen Vernetzung zappeln, während das bessere Leben auf der Strecke bleibt. »#Zeitgeist« malt in bunten Farben eine Dystopie der Gegenwart, die vom Rand des Sonnensystems fragt: Was bedeutet das alles?

»#Zeitgeist« (USA 2014). Regie: Jason Reitman. Darsteller: Adam Sandler, Jennifer Garner, Ansel Elgort. Filmstart: 11. Dezember