Götterdämmerung

Dass Fußballspieler zu Nationalheiligen erklärt werden, hat hierzulande Tradition. Es begann mit dem »Wunder von Bern«, wie der Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1954 genannt wurde, mit dem sich im Nachkriegsdeutschland dieses »Wir sind wieder wer«-Gefühl breitmachte. 2006 folgte das »befreiende Sommermärchen« (Focus), das Fahnenmeer in Schwarz-Rot-Gold wurde von Medien und Politik als Zeichen eines »gesunden und unverkrampften Patriotismus« bejubelt. Bei der Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien verzichtete man dann schon auf Ausflüge in die Welt der Wunder und Märchen und einigte sich auf die schlichte Formel »Fußballdeutschland«. Trotz des Weltmeistertitels war es kein leichtes Jahr für dieses »Fußballdeutschland«. Für erste Irritationen sorgte der »Gaucho-Tanz« einiger Nationalspieler. Dann zerbrachen reihenweise die romantischen Zweierbeziehungen der Rückkehrer, was in den Redaktionen der Frauenzeitschriften für Unruhe sorgte. Und nun wurde bekannt, dass Marco Reus, Spieler bei Borussia Dortmund und Mitglied der Nationalmannschaft, nicht nur fleißig Bußgelder wegen Geschwindigkeitsübertretungen gesammelt hat, sondern wegen nicht vorhandener Fahrerlaubnis gar nicht erst über die Autobahnen der Republik hätte brettern dürfen. Für Bild ist er damit als »Vorbild« für die Jugend der Nation »krachend durchgefallen«. Spiegel Online kürt Reus zum Protagonisten einer Generation, »für die das Mantra vom ›Sportler als Vorbild‹ zur Phrase verkommen« sei. »Der Fußballer taugt nicht als Vorbild«, stellt die FAS ernüchtert fest, wenn sogar gegen Franz Beckenbauer, der hierzulande »Lichtgestalt« oder »Kaiser« heißt, Ermittlungen der Ethikkommission der Fifa laufen. Bei der Süddeutschen Zeitung sorgt man sich hingegen, ob das »Image des Schwarzfahrers« einen Wechsel von Reus zum FC Bayern schwieriger machen könnte. Dort hat man schließlich schon einen Uhrenschmug- gler und einen Steuersünder.