Italien hat einen neuen Staatspräsidenten

Einer für alle

Der neue italienische Präsident steht für den liberal-katholischen Hegemonieanspruch der Regierung.

Mit der Wahl des 74jährigen Sizilianers Sergio Mattarella zum neuen italienischen Staatspräsidenten ist Ministerpräsident Matteo Renzi ein politischer Coup gelungen: Er hat die parteiinterne Opposition ruhiggestellt und gleichzeitig weitere Stimmen aus dem rechten Lager für sich gewonnen. Infolge seiner außerparlamentarischen Absprachen mit Silvio Berlusconi über die anstehende Verfassungs- und Wahlrechtsreform hatte Renzi den linken Flügel des Partito Democratico (PD) gegen sich aufgebracht. Nach dem Wahlerfolg von Syriza in Griechenland und sinkenden Umfragewerten für den PD ließ konnte Renzi die Gefahr einer Abspaltung seiner parteiinternen Gegner zugunsten eines Bündnisses mit den Resten der radikalen Linken nicht mehr ignorieren. Deshalb musste Renzi einen Kandidaten vorschlagen, mit dem sich das linke Lager identifizieren kann.
Der Name Mattarella steht für einen Wendepunkt in der sizilianischen Anti-Mafia-Bewegung. Piersanti Mattarella, der Bruder des neuen Staatspräsidenten, hatte als sizilianischer Regionalpräsident die mafiösen Verbindungen der Politik, insbesondere seiner eigenen Partei, der Democrazia Cristiana (DC), bekämpft und war dafür 1980 von der Cosa Nostra ermordet worden. Daraufhin trat Sergio im linken Flügel der DC das politische Erbe seines Bruders an. In den achtziger Jahren bekämpfte er vehement, aber ohne Erfolg, den Aufbau des Medienimperiums von Silvio Berlusconi. Nach der Auflösung der DC zählte Mattarella zu jenen katholischen Bürgerlichen, die sich gegen die Aufnahme von Berlusconis Forza Italia in die Europäische Volkspartei aussprachen und schließlich als katholische Liberale dem PD beitraten. Während seiner politischen Karriere hatte er verschiedene Ministerämter inne, 2011 wurde er zum Richter am Verfassungsgericht berufen. Wegen seiner offenen Gegnerschaft zu Berlusco­nis ökonomischen und politischen Machenschaften genießt Mattarella auch den Respekt von Beppe Grillos »Movimento 5 Stelle«.
Dass er im vierten Wahlgang fast mit einer Zweidrittelmehrheit ins Amt gewählt wurde, zeigt darüber hinaus, dass er auch viele Stimmen aus dem rechter Lager bekam. Nicht nur die kleine Rechtspartei der Regierungskoalition stimmte schließlich für Mattarella, sondern auch Abgeordnete der katholischen Zentrumsparteien und ehemalige Christdemokraten aus Berlusconis Forza Italia. Das ist eine neue Mehrheit jenseits der derzeitigen Parteiformationen. Es handelt sich dabei weniger um die über Jahre beschworene Wiederauferstehung der Democrazia Cristiana, sondern eher um die Verwirklichung von Renzis Traum eines »Partito della Nazione« (Partei der Nation).
In diesem Sinne ist auch Mattarellas Besuch der Gedenkstätte in den Ardeatinischen Höhlen im Süden Roms nur wenige Stunden nach seiner Wahl zu verstehen. Im Frühjahr 1944 wurden dort 335 Zivilisten auf Befehl der Wehrmacht erschossen. Mit seiner Verneigung vor den Opfern erinnerte Mattarella an den antifaschistischen Konsens, auf dem die italienische Republik und Verfassung gründen. Die Linke wird sich nun allerdings entscheiden müssen, ob sie sich zukünftig mit symbolischen Gesten begnügt und dem liberal-katholischen Hegemonieanspruch der Regierung beugt oder sozial und politisch radikaleren, laizistischen Forderungen doch noch eine eigene Stimme geben will.