Frankreich geht gegen jihadistischen Nachwuchs vor

Zwischen Pädagogik und Repression

Die französische Regierung versucht, gegen die Rekrutierung von jihadistischem Nachwuchs anzugehen.

Vor düsterem Hintergrund sieht man eine Kolonne von Kämpfern heranziehen. Dazu sagt eine Stimme aus dem Off: »Sie sagen zu euch: ›Opfert euch an unserer Seite für eine gerechte Sache‹. Aber du wirst die Hölle auf Erden entdecken und allein sterben, fern deiner Heimat.‹« Dies ist ein Auszug aus einem Video zur Bekämpfung jihadistischer Neigungen, das derzeit das französische Innenministerium verbreitet. Es zielt vor allem auf Aspiranten für den Jihad in Syrien und im Irak. Man sieht etwa Bilder von Kombattanten, die Leichen in eine Grube werfen.
Den einen oder anderen Jugendlichen, der sich bislang eher vom vermeintlichen Abenteuer angelockt fühlte, wird es vielleicht zum Nachdenken bringen. Oberschülerinnen und Oberschüler, die am Montag in Le Monde zu Wort kamen, monierten etwa, den harten Kern der vom Jihad Überzeugten werde man wohl kaum erreichen. Denn diese müssten ja erst einmal akzeptieren, ein von der Regierung gemachtes Video anzusehen.
Es mangelt nach den Morden der drei in Frankreich sozialisierten Jihadisten vom 7. bis 9. Januar nicht an Versuchen, der Nachwuchsrekrutierung für oft sektenartige salafistische Gruppen entgegenzuwirken. Einige sind pädagogischer, andere repressiver Natur. In Umfragen zeigen sich drei Viertel der Französinnen und Franzosen unter Bedingungen zur Einschränkung von Grundrechten bereit. Das französische Bildungsministerium legte am 22. Januar einen Plan vor, der die Rolle des staatlichen Erziehungswesens in der Verbreitung laizistischer, säkularer Werte stärken soll. So sollen 1 000 speziell ausgebildete Laizismus-Referenten durch die Lande und die Schulen geschickt werden. Bei der Bewertung der Fachkompetenz von Lehrkräften soll künftig ihre Verbundenheit mit »den Werten der Republik« getestet und benotet werden. Und alljährlich am 9. Dezember, dem Jahrestag der Verabschiedung des Gesetzes von 1905 über die Trennung von Kirche(n) und Staat, soll ein Gedenktag an den Lehranstalten absolviert werden.
Dies alles ist sicherlich gut gemeint, droht aber bei manchen wohl eher den Eindruck zu erwecken, der Laizismus sei weniger ein Grundwert – der das Zusammenleben jenseits konfessioneller und »kultureller« Unterschiede garantiert – als eine staatlich verordnete Ideologie. Eine solche Rolle spielte der Laizismus in den harten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit der reaktionären katholischen Kirche tatsächlich zumindest während der Dritten Republik zwischen 1870 und 1940, als er erstmals eingeführt wurde. Damals wurde er auch eng mit Patriotismus und einer Vorbereitung auf den militärischen »Dienst an der Republik« verknüpft.

Wesentlich repressiver fallen andere Vorschläge aus. Am 12. Januar gab die Leiterin der Politik­redaktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders France 2, Nathalie Saint-Cricq, die Parole aus, man müsse »diejenigen aufspüren, die nicht ›Charlie‹ sind«. Damit rief sie faktisch zur Jagd auf vermeintliche Sympathisanten der Mörder auf.
Inzwischen diskutiert die öffentliche Meinung auch viel über die Exzesse und »Vorfälle« am Tag nach den Morden bei Charlie Hebdo. So spricht das Erziehungsministerium von landesweit rund 200 »Vorfällen« rund um die Schweigeminute für die Opfer bei Charlie Hebdo, die am 8. Januar in allen Schulen und Behörden abgehalten wurde. Dabei handelt es sich um unterschiedlich zu bewertende Phänomene. Das reicht von üblen Sprüchen, die Minderjährige bei Familienmitgliedern, Gleichaltrigen oder im Internet aufgeschnappt haben mögen, bis zu bloßen Fragen oder einer Infragestellung der anordnenden Autorität. Loïc, Lehrer in Marseille und Mitglied des Bildungsgewerkschaftsverbands FSU, sagte der Jungle World: »Bei mir fragten etwa Schüler: Warum machen wir jetzt für diese Opfer eine Schweigeminute – und keine für 2 000 Menschen in Nigeria, die am selben Tag von Boko Haram abgeschlachtet wurden?« Eine Haltung, die jedenfalls nicht auf jihadistische Sympathien schließen lässt.

Negativer zu bewerten ist es sicherlich, wenn das auffällige Verhalten von Lehrkräften kommt und mit eindeutigen, propagandistischen Aussagen verknüpft wird. In Bobigny wurde eine Lehrerin vom Dienst suspendiert, weil sie ihre Berufsschulklasse mit Verschwörungsthesen agitiert hatte. Sie mokierte sich darüber, sie habe »die Leichen der Journalisten nicht gesehen« und sprach von einem »angeblich toten Bullen«.
Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem fasste jedoch all diese sehr unterschiedlichen »Vorfälle« zusammen und tabuisierte noch dazu eventuelle Unsicherheiten, indem sie es pauschal als »unerträglich« bezeichnete, dass Schüler in diesem Zusammenhang Fragen aufwarfen. In Nizza wurde ein achtjähriger Schüler, der die Teilnahme an der Schweigeminute verweigert hatte, auf der Polizeiwache verhört, wobei dem zuckerkranken Kind seine Insulin­spritze verweigert wurde. Das rief einen Skandal hervor.
Eine andere Tonart schlug Premierminister Manuel Valls an, als er am 20. Januar kritisch anmerkte, manche Spaltungslinien der französischen Gesellschaft erklärten sich auch so: »Ja, es gibt eine Form der sozialen, ethnischen, territo­rialen Apartheid in diesem Land.« Eine Anspielung, die in Anbetracht der räumlichen Segre­gation zwischen sozialen Gruppen – die es in dieser Form so sonst kaum in Europa gibt – nachvollziehbar ist. Dafür wurde er vom konservativen Oppositionsführer Nicolas Sarkozy heftig angegriffen, doch in Umfragen gaben 54 Prozent der befragten Franzosen Valls gegen Sarkozy Recht. Konsequenzen dürfte dies wohl keine haben. Ähnliche Erkenntnisse trug auch der damalige Präsident Jaques Chirac im Winter 2005/2006 nach den damaligen Unruhen in den Trabantenstädten vor. Ohne weitere Folgen.