Ägyptens Offensive in Libyen

Angriff ist die beste Verteidigung

Ägyptens Regierung ist besonders besorgt über die Ausbreitung des IS in Libyen. Vereinzelte Luftschläge können diese Entwicklung langfristig nicht aufhalten, die Forderung nach einer Bodenoffensive findet jedoch kaum Unterstützung.

Nach den Luftschlägen ihrer Luftwaffe in Libyen ging die ägyptische Regierung auch in die diplomatische Offensive. Anfang voriger Woche sprach Ägyptens Präsident Abd al-Fattah al-Sisi von der Notwendigkeit einer militärischen Intervention gegen Jihadisten in Libyen durch die Uno und verwies dabei auch auf die Bedrohung, die für Europa bestehe. Da seine Aufforderung bei westlichen Regierungen nur auf wenig Zustimmung stieß, präsentierte Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry am Mittwoch darauf eine abgeschwächte Variante der Erklärung.
Das ägyptische Ansinnen sieht vor, das 2011 gegen Libyen verhängte Waffenembargo aufzuheben und die Milizen der nach Tobruk geflohenen Regierung mit Waffen zu versorgen. Gleichzeitig soll eine Seeblockade gegen die Fajr-Milizenkoalition verhängt werden, die den Osten des Landes mit der Hauptstadt Tripolis kontrolliert. Während des Besuchs des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Kairo Anfang Februar seien von Seiten ägyptischer Diplomaten bereits russische Waffenlieferungen an die Regierung in Tobruk eingefädelt worden, schreibt das ägyptische Nachrichtenmagazin Mada Masr.

Dem ägyptischen Vorschlag zufolge soll eine internationale Koalition zudem Bereitschaft signalisieren, die Regierung in Tobruk gegebenenfalls mit Militärschlägen zu unterstützen, sollte diese das fordern. Wenige Beobachter gehen davon aus, dass der ägyptische Vorstoß zum jetzigen Zeitpunkt Erfolg haben wird. Die meisten westlichen Regierungen stehen einer direkten Einmischung in den libyschen Machtkampf skeptisch gegenüber und plädieren für einen diplomatischen Annäherungsprozess zwischen den beiden dortigen Machtblöcken. Eine Regierung der »nationalen Einheit« sei am besten imstande, die jihadistischen Gruppen zu bekämpfen, so lässt sich die Position der meisten westlichen Regierungen wohl am besten zusammenfassen.
Auch in der Arabischen Liga, die in der vergangenen Woche zum Thema Libyen tagte, herrscht kein Konsens über die Vorgehensweise. Die meisten Staaten sprachen zwar grundsätzlich ihr Verständnis für die ägyptischen Luftschläge gegen Stellungen des Islamischen Staates (IS) in Libyen aus, auch bestehen Kooperationen militärischer wie finanzieller Art mit verschiedenen Golfmonarchien, doch mit Katar gibt es auch eine Ausnahme. Das Emirat unterstützte bisher die Fajr-Milizen im Westen des Landes, die sich aus zahlreichen mehr oder weniger islamistisch gesinnten Gruppen zusammensetzen, und protestierte vehement gegen eine Einmischung zugunsten der Tobruk-Regierung und der ihr loyalen Milizenkoalition unter General Khalifa al-Haftar.
Der Widerspruch Katars offenbarte einmal mehr den Konflikt, der zwischen Ägypten und dem kleinen Golfstaat seit der Machtübernahme des ägyptischen Militärs besteht. Katar unterstützte während der Amtszeit Mohammed Mursis dessen islamistische Regierung mit groß­zügigen Finanzhilfen und setzt auch in Libyen vor allem auf Milizen, welche den Muslimbrüdern ideologisch nahestehen. Der Widerspruch aus Katar erntete wütende Reaktionen von ägyptischer Seite. Der ägyptische Gesandte bei der Arabischen Liga, Tarek Adl, warf Katar vor, den internationalen Terrorismus zu unterstützen und die Einheit der Liga zu untergraben – woraufhin Katar postwendend seinen Botschafter aus Ägypten abzog.

Die ägyptische Regierung sieht sich als Vorkämpferin gegen islamistische Bewegungen in der Region – unabhängig davon, ob es sich um militante Jihadisten aus dem Umfeld von al-Qaida und des IS oder um Anhänger der Muslimbruderschaft handelt. Da macht Ägypten keine Unterschiede. Aus dem Versprechen, die islamistischen Bewegungen in Ägypten zurückzudrängen und Sicherheit zu garantieren, bezieht die Regierung al-Sisis den Großteil ihrer innenpolitischen Legitimation – und bekam für dieses Versprechen von vielen Ägyptern einen Vertrauensvorschuss.
Mit dem Argument, dass der Kampf gegen den Terrorismus Vorrang vor allem anderen habe, bittet die ägyptische Regierung die Bevölkerung auch um Nachsicht dafür, dass in vielen anderen innenpolitischen Bereichen die angekündigten Verbesserungen nach wie vor ausbleiben. Der wirtschaftliche Aufschwung lässt trotz Finanzhilfen aus dem Golf auf sich warten, es kommt ­regelmäßig zu desaströsen Unfällen auf ägyptischen Straßen und durch exzessive Polizeigewalt sterben immer wieder Menschen – wie zuletzt 22 jugendliche Fußballfans der Kairoer Mannschaft Zamalek vor einem Fußballstadion in der Hauptstadt.

Doch selbst beim Zurückdrängen des Terrorismus im eigenen Land ist die Bilanz der Regierung al-Sisis bescheiden. Zwar blieben große Terroranschläge im ägyptischen Kernland im vergangenen Jahr aus, doch im Januar kam es im Nord­sinai erneut zu einer fatalen Anschlagsserie, bei der 30 Menschen starben, die Hälfte von ihnen Zivilisten. Laut Quellen aus dem ägyptischen Generalstab verfolgt das Militär auf dem Sinai eine kontraproduktive Strategie. Die Nachrichtenseite al-Monitor zitiert anonym einen ägyptischen General, der die Vorgehensweise des Militärs scharf kritisiert. Er berichtet von einem hohen Erfolgsdruck, welchem das Militär ausgesetzt sei und der in der Praxis vor allem dazu führe, dass Angehörige der Beduinenstämme verhaftet und gefoltert und deren Häuser zerstört würden. Dies wiederum verstärke die Ressentiments der Beduinen gegenüber dem ägyptischen Staat. Ohne die ortskundigen Beduinen jedoch können die jihadistischen Strukturen auf dem Sinai kaum ausfindig gemacht werden.
Vieles deutet darauf hin, dass angesichts ausbleibender innenpolitischer Erfolge die Luftschläge in Libyen immerhin das Image der ägyptischen Regierung als Bollwerk gegen den Jihadismus stärken. Laut einer Umfrage der ägyptischen Tageszeitung al-Masry al-Youm unterstützen 85 Prozent der Ägypter die Luftschläge. Doch in Teilen der Gesellschaft regte sich auch Kritik, dass die Regierung nicht viel früher reagiert hat. Die Entführung der koptischen Christen in der ­libyschen Stadt Sirte wurde bereits vor ungefähr zwei Monaten bekannt, doch erst nach der Ver­öffentlichung des Enthauptungsvideos entschied sich die Regierung, gegen die Islamisten vorzugehen. Bereits zuvor war es vor allem in Sirte, wo die jihadistische Miliz al-Ansar Einfluss hat, immer wieder zu Entführungen und Ermordungen koptischer Ägypter gekommen.
Mit den Angriffen der ägyptischen Luftwaffe steigt nun auch die Angst vor Vergeltungsaktionen gegen Ägypter in Libyen, unabhängig davon, ob sie Kopten oder Muslime sind. In Ägypten gibt es keine aktuellen Statistiken über die Anzahl der ägyptischen Gastarbeiter in Libyen, so schwanken die Schätzungen zwischen 500 000 und einer Million. Vor dem Aufstand gegen Muammar al-Gaddafi lebten rund zwei Millionen ägyptische Gastarbeiter im deutlich wohlhabenderen Libyen – damit war jeder vierte Einwohner des Landes Ägypter. Viele von ihnen kommen aus dem armen Oberägypten, wo auch der Anteil der kop­tischen Bevölkerung überproportional hoch ist.

Nach den ägyptischen Luftschlägen forderte die Fajr-Milizenkoalition die in Libyen lebenden Ägypter auf, das Land »zu ihrer eigenen Sicherheit« binnen 48 Stunden zu verlassen, wie die ägyptische Zeitung al-Ahram berichtet. Die Regierung richtete daraufhin eine Telefonhotline ein. Am vorigen Wochenende strömten 3 000 Ägypter innerhalb eines Tages über den libysch-ägyptischen Grenzübergang bei al-Salloum. Auch die staatlichen Gewerkschaften Ägyptens, Tunesiens und Libyens haben sich zusammengetan, um gegebenenfalls eine Evakuierung von Ägyptern aus Libyen vorzubereiten.
In der ägyptischen Öffentlichkeit wurde auch die Frage aufgeworfen, wieso die ägyptische Regierung Luftangriffe im Nachbarland fliegen lässt, obwohl sie offensichtlich nicht willens oder in der Lage ist, durch eine Intervention der eigenen Armee die Machtverhältnisse in Libyen nachhaltig zu beeinflussen. Eine Antwort darauf gab Ägyptens Präsident al-Sisi in einer am Sonntag übertragenen Fernsehansprache. Darin dankte er Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Jordanien für ihre Unterstützung und plädierte für den Aufbau einer arabischen Eingreiftruppe.