Ab jetzt wird gedroht
Hausbesetzungen bringen immer noch Erfolge – selbst wenn sie nur angedroht werden. Diese Erfahrung konnten die letzten Mieter der Beermannstraße 20 im Berliner Stadtteil Treptow machen. Da die von ihnen bewohnten Häuser dem Ausbau der umstrittenen Stadtautobahn A100 weichen sollten, betrieb der Senat eine Enteignung der Mietverträge (Jungle World 45/2014). Zugleich weigerte er sich, den Bewohnern Wohnungen mit vergleichbaren Mieten anzubieten.
Mittlerweile hat die Enteignungsbehörde den sechs verbliebenen Mietparteien doch Ausgleichszahlungen für die Differenz zwischen der Miete ihrer bisherigen Wohnung und der neuen Bleibe zugesprochen. Die Zahlungen werden eingestellt, wenn das Gericht die Kündigungen für rechtmäßig erklärt. Ansonsten erhalten die Mieter die Differenz 16 Jahre lang. Sie mussten sich allerdings zum sofortigen Auszug verpflichten.
Die Mieter erhielten lange Zeit wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Doch die Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel unterstützte die Bewohner und gab die Parole aus: »Keiner wird alleingelassen«. Dabei stellte sie eine Aktionsform zur Diskussion, die in den vergangenen Jahren selbst in Berlin nur noch Gegenstand nostalgischer Jubiläumsveranstaltungen war. »Besetzen statt räumen« lautete der Slogan eines Bündnisses, das in den vergangenen Wochen auch Menschen zum Handeln bewegte, die zu jung sind, um in Berlin jemals ein besetztes Haus betreten zu haben. Denn bis auf die Rigaer Straße 94 sind alle Hausprojekte vertraglich legalisiert, selbst wenn sie sich nach außen auf Plakaten und Transparenten als besetzt bezeichnen.
Die Bewohner solcher Projekte waren mehrheitlich nicht anwesend, als im Februar im Friedrichshain-Kreuzberg-Museum mehr als 100 Menschen über die Notwendigkeit neuer Besetzungen diskutierten. Kurze Anregungen kamen von Karla Pappel, der Umweltorganisation Robin Wood und dem Berliner Bündnis »Zwangsräumung verhindern«. Die derzeitige Diskussion über Besetzungen unterscheidet sich dabei sehr von der in den siebziger Jahren in Westberlin und Anfang der neunziger Jahre im Osten der Stadt. Nicht der Kampf um Freiräume, sondern der Widerstand gegen eine kapitalistische Wohnungspolitik, die für das einkommensschwache Drittel der Bevölkerung die Verdrängung an den Stadtrand bedeutet, steht im Vordergrund. Auf der Veranstaltung wurde das Konzept öffentlicher Massenbesetzungen diskutiert, das sich auf besonders benachteiligte Bewohner stützt. Es wurde vorgeschlagen, Geflüchtete und Wohnungslose in die schon leeren Wohnungen in der Beermannstraße einziehen zu lassen. Auch auf mehreren Demonstrationen in der Beermannstraße wurde die Notwendigkeit von Besetzungen herausgestellt.
Mit der für die ehemaligen Mieter der Beermannstraße vorteilhaften Vereinbarung ist diese Debatte allerdings nicht beendet. »In der aktuellen Phase geht es darum, die Idee einer breit aufgestellten Besetzungsperiode einzuleiten, welche die Aneignung bezahlbaren Wohnraums in einer Breite propagiert, verankert und ein Klima schafft, das zu breiten gesellschaftlichen Mobilisierungen in der Lage ist«, sagt ein Mitglied des Bündnisses »Besetzen statt räumen«.
Die Abkehr von der Hausbesetzung als subkulturelle Praxis empfiehlt auch der Berliner Politologe Armin Kuhn, der kürzlich im Verlag Westfälisches Dampfboot das Buch »Vom Häuserkampf zur neoliberalen Stadt« veröffentlichte. »Viele Initiativen in der neuen Mieterbewegung haben erkannt, dass ein Zusammenfinden auf der Grundlage subkultureller Gemeinsamkeiten kaum ein Weg sein kann, um diejenigen zu erreichen, die am meisten von Verdrängung und gesellschaftlicher Marginalisierung in der Stadt betroffen sind«, sagt er der Jungle World. Grischa Dallmer, der im Rahmen der transnationalen Veranstaltungsreihe »Wohnen in der Krise« Mietrebellen aus verschiedenen Ländern nach Berlin eingeladen hat, betont im Gespräch mit der Jungle World, dass in der Stolarska-Straße im polnischen Poznan und in vielen spanischen Städten Besetzungen längst an der Tagesordnung sind.