Berlin Beatet Bestes. Folge 280

Boys who are girls

Berlin Beatet Bestes. Folge 280. The Wally Stott Orchestra: Catwalk (1955)

Die Geschichte beginnt wie immer mit einem Plattenfund. Eine Single aus einem Konvolut, vor Jahren erworben. Das schmale Gesicht und die lockigen Haare von Wally Stott sagen mir nichts. Ich suche den Namen im Internet und werde schnell fündig. Die Geschichte von Wally Stott erinnert mich an »Funny Girl«, den jüngsten Roman von Nick Hornby, den ich im vergangenen Monat gelesen habe. Darin geht es zwar um die Karriere einer Komikerin, aber auch um die Geschichte der britischen Fernsehunterhaltung und der BBC. Es ist ein ganz tolles Buch, vielleicht sogar mein liebstes von Nick Hornby.
Walter »Wally« Stott hat ebenfalls für die BBC gearbeitet. 1924 in Leeds geboren, zog er schon mit 15 Jahren bei den Eltern aus, um mit einer Teenager-Band umherzufahren. Als 17jähriger profitierte er von der Abwesenheit vieler Musiker während des Zweiten Weltkriegs und wurde Saxophonist in einer Big Band. 1944 arbeitete er bereits als Arrangeur und wenig später auch für das Radio der BBC. Nebenbei studierte Stott Komposition und belegte einen Kurs im Dirigieren. 1953, mit knapp 30, wurde er musikalischer Direktor des Labels Philips Records, blieb aber weiterhin bei der BBC beschäftigt.
Schon während des Krieges hatte er den Komiker Peter Sellers kennengelernt, »in der Uniform der Royal Air Force und mit einer Snare Drum unter dem Arm«, wie er sich später erinnerte. Peter Sellers feierte erste Erfolge in der BBC-Radiokomödie »The Goon-Show«. In der dritten Staffel der Show leitete Wally Stott 1952 im Hintergrund das Tanzorchester der BBC. Stotts Innovation bestand darin, die völlig überdrehte Show nicht mit herkömmlicher Comedy-Musik, sondern mit Jazz zu begleiten. So klingt im Übrigen auch die Musik auf der vorliegenden EP. Es ist swingende Tanzmusik mit einem Schuss Rock.
Wally Stott heiratete und wurde Vater von zwei Kindern, arbeitete weiter für Radio und Fernsehen, schrieb und arrangierte Filmmusik, unter anderem für »Peeping Tom« (1960) mit Karlheinz Böhm und »Krieg im Spiegel« (1965) nach dem Roman von John le Carré. Eine große Wendung nahm Stotts Leben allerdings erst nach dem Scheitern seiner ersten Ehe und nachdem er seine zweite Frau Christine Parker kennenlernte, die er 1970 heiratete. »Mit ihrer Liebe und Unterstützung schaffte er es, ein lebenslängliches Trauma zu überwinden und die beängstigenden Gender-Grenzen zu überwinden«, heißt es. Zwei Jahre später hatte er seine erste geschlechtsangleichende Operation. Wally Stott wurde zu Angela Morley.
1974 schrieb Angela Morley die Musik für den Animationsfilm »Der kleine Prinz« und wurde dafür für den Oscar nominiert. Berühmt wurde ihre Filmmusik für das Kaninchen-Drama »Watership Down«, einer der ersten erfolgreichen Zeichentrickfilme für Erwachsene. 1980 zog Morley in die USA und arbeitete für Soaps wie Dallas, Dynasty und Falcon Crest. Sechsmal wurde sie für einen Emmy nominiert und gewann drei. 2009 starb Angela Morley im Alter von 84 Jahren.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.