Die Bundestagsentscheidung zur Griechenland-Hilfe

Mit deutscher Gelassenheit

Der Bundestag hat der Verlängerung der Finanzhilfen für Griechenland zugestimmt. Das fiel nicht allen Abgeordneten leicht.

Wolfgang Schäuble Komplimente zu machen, um ihn für neue Finanzhilfen milde zu stimmen – das soll Jörg Asmussen, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis ans Herz gelegt haben. Varoufakis soll sich bei Asmussen Rat für sein erstes Treffen mit dem deutschen Finanzminister Anfang Februar geholt haben. Schäuble selbst habe die Anekdote vor der entscheidenden Abstimmung über die Verlängerung der Hilfen für Griechenland in der Fraktion ausgebreitet, wusste die Sächsische Zeitung zu berichten.

Womöglich hat der Tipp sogar Wirkung gezeigt. In derselben Sitzung nämlich sagte Schäuble, er sei zwar »fassungslos« über Äußerungen von Varoufakis, habe sich aber »zur Gelassenheit ermahnt«. Nach der Einigung mit der Eurogruppe auf weitere Hilfen hatte Varoufakis zwei Tage vor der Abstimmung in Berlin erneut einen Privatisierungsstopp und einen Schuldenschnitt ins Gespräch gebracht. »Ich spreche über Umschuldungen, die unsere Schuldenlast deutlich senken«, so Varoufakis.
Doch letztlich blieb nicht nur Schäuble, sondern auch der Rest des Bundestags gelassen. Mit 541 von 586 abgegebenen Stimmen bewilligten Union, SPD, Linkspartei und Grüne am Freitag vergangener Woche die Verlängerung der Hilfen für Griechenland bis Ende Juni. Mit 29 kamen fast alle Neinstimmen aus der CDU/CSU-Fraktion.
Die Links-Rechts-Regierung in Athen hatte zuvor eingewilligt, die Sparpolitik fortzusetzen. Dafür sollen im Sommer bis zu sieben Milliarden nach Athen fließen. So kann Griechenland vor allem Zinsen für Hilfskredite aus dem Ausland bezahlen. Kämen die neuen Milliarden nicht, wäre das Land wohl bankrott.
»Es fällt uns wahnsinnig schwer – jedem einzelnen von uns«, sagte Schäuble zur Verlängerung der Kredite. »Griechenland muss das Seine tun. Natürlich hat Solidarität auch etwas mit Verlässlichkeit zu tun.« Wie ein strenger Schuldirektor warnte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, Ende Juni sei die »Entscheidungszeit«, dann befinde »das Kollegium, ob Vorrücken oder sogar Ausschluss«. Es gehe momentan um »eine der letzten Chancen, die wir Griechenland einräumen«, die griechische Regierung »muss jetzt liefern«. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner nannte den Beschluss einen »Freifahrtschein für Griechenland bis Ende Juni«. Ob die Regierung diese Zeit »wirklich für Reformpolitik nutzt, ist leider mehr als zweifelhaft«.

Varoufakis’ Vorgesetzter, der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras, gab sich zahm. Er wolle »hart« an den zugesagten Reformen arbeiten. Das deutsche Parlament habe Europa ein »Vertrauensvotum« gegeben, sagte Tsipras.
Auch die Linkspartei hatte sich mit der Sache schwergetan. Den bisherigen Hilfsprogrammen hatte sie stets ihre Zustimmung verweigert. Nun aber steht sie erklärtermaßen hinter Syriza und Tsipras. Vor der Abstimmung sagte die Parteivorsitzende Katja Kipping, dass es »gute Gründe für ein Ja und für eine Enthaltung« gebe. Schließlich stimmten am Freitag 41 Abgeordnete der Linkspartei dafür, zehn enthielten sich und drei votierten mit Nein.
Ihre Ablehnung erklärten die Abgeordneten Christine Buchholz, Inge Höger und Ulla Jelpke mit den »gleichen Gründen, aus denen wir schon das Griechenland-Paket im November 2012 abgelehnt hatten«. Die Politik der Troika habe »bereits zu einer humanitären Katastrophe geführt«. Solidarität mit der Bevölkerung in Griechenland bedeute, »maximalen Druck auf der Straße, aber auch im Parlament auf Merkel und Schäuble aufzubauen«. Mit ihrem Nein zum »Antrag der Erpressung durch die EU« wollen die Abgeordneten »die Solidarität mit Griechenland« stärken.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht nannte Syriza vor der Abstimmung eine »Chance für ganz Europa«. In der Abstimmung enthielt sie sich. Die »unsäglichen Kreditbedingungen, auf deren Grundlage das Land in den letzten Jahren ruiniert wurde, sollen bestehen bleiben«, so Wagenknecht. Auch werde »kein einziger Euro« in Athen ankommen. Es gehe ausschließlich um die Ablösung bestehender Schulden durch neue Schulden. So solle die »Illusion aufrechterhalten werden, das in der Vergangenheit für die Rettung der Banken verschleuderte Steuergeld« sei nicht verloren. Sie sei für »klare Solidarität mit Syriza« und eine »klare Ablehnung« der deutschen Griechenland-Politik.
Mit der Unterstützung bekomme die Regierung in Athen eine »Atempause« und die »Chance für einen Neuanfang«, sagte der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi während der Parlamentsdebatte. Keineswegs wolle die Linkspartei mit ihrer Zustimmung die »gescheiterte Politik« der Bundesregierung unterstützen. Syriza »bricht mit der gescheiterten Kürzungspolitik«, so Gysi. Die auf harte Einschnitte ausgerichtete Strategie der Bundesregierung sei eine »Kamikazepolitik«, mit der das Land seine Schulden nicht zurückzahlen könne.
Der Bundessprecher des Forums demokratischer Sozialismus in der Linkspartei, Dominic Heilig, freute sich nach der Abstimmung darüber, dass die Mehrheit der Linksfraktion mit Ja gestimmt hatte. Er hoffe »auf weitere substantielle Debatten darüber, wie der Weg unserer griechischen Genossinnen und Genossen auch in der Bundesrepublik konkret unterstützt werden kann«. Die Linke müsse aus der »Zuschauersolidarität« herauskommen.
Bild hatte sich nicht auf eine Rolle als Zuschauer beschränkt. Als könne es die Redaktion nicht fassen, dass der Staat sich gegen ihren Willen stellt, bedruckte sie fast eine ganze Seite mit dem Wort »NEIN«. In der Unterzeile war zu lesen: »Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen.« Dazu rief Bild die Leser auf, sich per »Selfie« dem Protest anzuschließen: »Einfach hochhalten, fotografieren und mitmachen«.
Die flankierenden journalistischen Angriffe auf die Syriza-Leitung flossen aus den edelsten Federn, die das Haus aufzubieten vermag. Belá Anda, ehemaliger Regierungssprecher und derzeitiger stellvertretender Chefredakteur von Bild, schrieb: »Wie lederbejackte Rüpel-Rocker röhren Griechenlands Neo-Premier und sein Posterboy-Finanzminister seit ihrem mit platten Parolen erzielten Wahlsieg durch Brüssel. Ihr Gesetz ist die Straße. Hier sind sie (politisch) groß geworden. Hier ist ihre Hood. Deren Unterstützung wollen die Kawa-Naked-Biker (zumindest Varoufakis hat eine) nicht verlieren.«

So richtig mochte die publizistische Offensive aber nicht zünden. Dem Verlag zufolge kamen Fotos im »hohen dreistelligen Bereich« zusammen. Gemessen an der Reichweite der Zeitung sei dies eine »Mithetz-Quote von 0,004 Prozent«, errechnete der Medienblogger Stefan Niggemeier. Der Online-Chefredakteur Julian Reichelt nannte den Protest gleichwohl »gewaltig«, während der Bild-Blog genüsslich nachrechnete, dass etwa die Hälfte der auf bild.de gezeigten »Selfies« nicht von den Lesern selbst, sondern von Bild-Fotografen stammten, die auf der Straße Passanten angesprochen hatten. Nicht nur in den sozialen Medien, auch beim Deutschen Journalistenverband (DJV) kam die Kampagne nur mäßig an. Er forderte Bild auf, sie einzustellen. »Die Selfie-Aktion von bild.de überschreitet aber die Grenze zur politischen Kampagne«, kritisierte der DJV-Vorsitzende Michael Konken. Es sei »medienethisch bedenklich, dass ein ganzes Volk für die finanzpolitischen Fehlentscheidungen seiner Politiker diffamiert« werde.