Die Krawalle in Frankfurt haben vor allem eins gezeigt: die nicht vorhandene Strategie der radikalen Linken

Randale, Bambule, Frankfurter Schule!

Vom Riot zur Revolution ist es ein langer Weg. Als Ersatz für eine Strategie taugt Randale deshalb nicht.

Walter Benjamin zählte einmal folgende Tugenden im Klassenkampf auf: Zuversicht, Mut, Humor, List, Unentwegtheit. Nehmen wir einmal an, die Proteste gegen die EZB – und vor allem die Aktionen außerhalb des sogenannten Aktionskonsenses – waren eine Lektion in Sachen Mut. Das ersetzt keinesfalls die anderen Eigenschaften, aber jede hat ihr Terrain, auf dem sie sich entwickeln kann. Doch was war da überhaupt los in Frankfurt? Die politische Verwaltung, die Medien, die Polizei warnten im Voraus vor Chaoten, mit denen kein konstruktiver Dialog möglich sein würde. Das ist richtig. Nur ein Narr würde sich noch vor den Karren der herrschenden Ordnung spannen lassen, um das Spektakel einer funktionierenden Demokratie mit harmloser Kritik zu vervollkommnen. Diese Narren gab und gibt es, aber nicht ausschließlich. Die Polizei zog die Truppen inklusive schwerem Gerät in Frankfurt zusammen. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigten, dass die Repression bei den EZB-Protesten immense Ausmaße annehmen kann, sei es zum Beispiel, 1000 Menschen über zehn Stunden in einem Polizeikessel zu halten.
Doch dieses Jahr war es anders. Das lag auch an der Anwesenheit von Genossinnen und Genossen aus dem europäischen Ausland. Zeigte sich schon Heinrich Heine begeistert von dem Talent der Franzosen, in Minuten Barrikaden zu errichten, für deren Herstellung die deutsche Gründlichkeit wohl Tage brauchen würde, so ließ sich Ähnliches in Frankfurt beobachten. Italienische Gruppen zogen singend durch die Straßen, während deutsche Demonstranten, freud- und lustlos, meist nur noch ein zaghaftes »A-Anti-Anticapitalista« hervorbrachten. Gesungen wurde zwar auch in dem Sonderzug von Berlin nach Frankfurt, aber nur nach dem dritten Bier an der Bar und unter Anleitung. Wer die Übernahme der Produktionsmittel ernsthaft in Betracht zieht, könnte mit der eigenen Stimme und deren verschütteten Reichtum beginnen. Die Erfahrung, mit anderen zu singen, ist eine ästhetische wie soziale, erfordert es doch, die eigene Stimme zu behaupten, ohne sie als Instrument gegen die anderen, sondern zum gemeinsamen Wohlklang zu nutzen.
Doch zurück auf die Straße: In Frankfurt konnte man die Erfahrung machen, dass Mut für die Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt eine unerlässliche Eigenschaft ist. Wenn man einmal in der Offensive ist, hat die Polizei es erstaunlich schwer, wieder die Kontrolle zu erlangen. Die wenigen Festnahmen an diesem Tag sprechen für diesen Umstand.

Der Mut allein verweist noch nicht auf die Revolution. Doch der Weg zum Kommunismus ist auch ein Kampf um die Fähigkeiten zur Revolution. Den Mut wird man sich täglich aneignen müssen, arbeiten nicht zuletzt zahlreiche Institutionen an der permanenten Entmutigung rebellischer Impulse. In kommenden sozialen Auseinandersetzungen wird man sich als Kommunistin behaupten müssen. Nur so besteht die Möglichkeit, dass sich diese Auseinandersetzungen ausweiten, sich zu einer revolutionären Erhebung formen. Und wenn das eines Tages gelingen sollte – dann fangen bekanntlich die Schwierigkeiten erst wirklich an. Aber sprechen wir von der Gegenwart. Sollte es zutreffen, dass die Trägerinnen der Blockupy-Proteste zwischen 18 und 35 Jahre alt und gut ausgebildet sind, wie es der Politikwissenschaftler Oliver Nachtwey in der Zeit behauptet, so kann man diese Schicht zur Einübung des Ungehorsams nur ermutigen. »Das alte Versprechen, dass, wer viel leistet, auch viel bekommt, greift bei diesen Leuten nicht mehr und hat grundsätzliche Zweifel am Kapitalismus geweckt«, so Nachtwey. Das mag sein. Eine bestimmte Gruppe von Menschen findet Bedingungen ihrer Beschränkung vor. Vernünftigerweise wenden sie sich gegen die beschränkenden Voraussetzungen selbst. Das ist bei von Familie und Staat abhängigen, autoritätshörigen Wesen wie Studenten ein Ausweis eines sich entwickelnden politischen Bewusstsein. Wenn dieses zudem die studentische Borniertheit überschreitet und zukünftig in Konflikt mit der herrschenden Produktionsweise geraten sollte, so wäre dagegen nichts einzuwenden.
Aber bedauerlicherweise funktioniert die liberal-demokratische Selbstbeschränkung auch in den Protesten. Aktionskonsens, angestrebte gesellschaftliche Hegemonie, Intervention in Diskurse – das soll eine kommunistische Strategie sein? Das klingt angemessen für Lobbyorganisationen oder die PR-Abteilung einer NGO. Appelliert wird hier an eine Öffentlichkeit, die nicht existiert. Es ist illusorisch zu meinen, dass man radikale Inhalte irgendwie »unterbringen« könnte, als wäre dem Inhalt damit nicht seine Substanz genommen.
Radikale Politik ist der Angriff auf die permanent mit sich selbst beschäftigte Zivilgesellschaft und deren Apparate und die Verschärfung des Konflikts, der zwischen der gegenwärtige Ordnung und der angestrebten kommunistischen besteht. Man hätte nach den Aktionen in Frankfurt schlicht schweigen und mit Amüsement auf die vor Wut und Ressentiment schäumenden Medien schauen können, anstatt mit angeblich nichtdistanzierenden Distanzierungen die Wogen wieder zu glätten. Dass wäre zumindest von den an Blockupy beteiligten radikalen Gruppen zu erwarten gewesen; von den Erdballgegnern von Attac, die solche Gelegenheiten naturgemäß zum Beweis ihrer Staatstreue nicht auslassen, weniger.
Es steht auch nicht an, die Aktionen in Frankfurt mit theoretischen Überlegungen zu ummanteln, die eine Verbindung zwischen Randale und politischer Bewegung herzustellen versuchen. Man muss ehrlich sagen, dass es derzeit keine politische Kraft gibt, die ernsthaft an den Produktionsverhältnissen zugunsten eines zukünftigen Kommunismus rüttelt. Und in Frankfurt – und das ist eben etwas anderes – hat es, salopp gesagt, geknallt. Da konnte man etwas lernen; zum Beispiel was passiert, wenn es knallt, oder wie man macht, dass es dolle knallt. Aber nicht, wie man zum Kommunismus kommt. Im besten Falle geht es um die Einübung des Ungehorsams. Gegenüber allen Versuchen, gerade den linken, die Ereignisse in Frankfurt als objektiv bedeutsam für eine nichtvorhandene Strategie zu erklären, sollte man ehrlicherweise sagen, dass der 18.März in Frankfurt ein Weiterbildungstreffen europäischer Linksradikaler in Sachen Straßenkampf war.

Die Tatsache, dass es gesellschaftliche Konflikte gibt, ist keine Frage des Kommunismus. Es gibt sie und es wird sie weiterhin geben, denn sie sind Produkt einer widersprüchlichen Art der Vergesellschaftung der menschlichen Gattung im Kapitalismus. Es gibt Hass und Wut. Die Frage des Kommunismus ist, ob diese Konflikte zu einem Angriff auf die Herrschaft werden – so wären wir wieder beim Mut. Das Gegenteil lässt sich auch beobachten: Flüchtlingshasser, die an Hartz IV und Niedriglohn darben, und aus Feigheit und Unaufrichtigkeit in rassistischer Manier auf die losgehen, die sich als noch schwächer erweisen. Dass die ökonomische Krise die Konflikte hervorbrechen lässt, ist fraglos, zeigt sich in ihr doch die misslungene Anpassung zahlreicher Individuen an die Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise: So sehr man sich auch in der Konkurrenz bemühte, es hat nicht gereicht. Dass die Konsequenzen misslungener Anpassung mörderisch sein können, gerade in der Form des Antisemitismus, hat man geschichtlich erfahren müssen. Es wirft auch einen Blick unguter Vorahnung auf das derzeit noch vermeintlich krisenfest verfasste Deutschland.
Das sieht zweifelsfrei nicht jeder so. In der FAZ klagte ein Polizist der Welt sein Leid. Er müsse für das System seinen Kopf hinhalten. Nun: Wenn er will, dann muss er halt. Neben der Sorge um seine über achtzig verletzten Kollegen – bei freundlicher Missachtung der Tatsache, dass diese sich selbst mittels eingesetzten Tränengases außer Gefecht gesetzt haben – macht der junge Staatsdiener in Schutzmontur mit Knüppel doch eine interessante Beobachtung: »Am Mittwoch habe ich das [den Hass] mit Jugendlichen erlebt. Mit einem Mädchen, bei dem man sagen würde: Ey, Mädel, du bist 15 Jahre alt. Du solltest mit deinen Freundinnen zu Hause sein, dir eine Bravo angucken und das Leben genießen. Stattdessen wirfst du Steine auf Polizeibeamte. Woher haben Schulkinder diesen Hass auf den Staat?« Möglicherweise, weil ihr Leben eben nicht genießbar und die Bravo einfach Schrott ist, und der Staat diese Ordnung des künstlichen Elends aufrechterhält.
Dagegen wird mit Riots allein nicht vorzugehen sein. Diese Erkenntnis bleibt den wenigsten Menschen, die je an solcherlei Dingen beteiligt waren, verborgen. Man sollte diese Erfahrung auch keinesfalls fetischisieren und zum Maßstab politischen Handelns machen. Man wird aber doch einsehen können, dass diese Erfahrung keinesfalls unnütz ist. Besser gesagt: Es wird sich zukünftig erweisen, ob diese Erfahrung noch von Nutzen ist. Das Ausprobieren der eigenen Kräfte in der Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt ist einr lehrreiche Moment. Sagen wir, dass es sich in Frankfurt um eine Mutprobe handelte. Wurde dort für den Mut etwas getan, sollten auch die anderen von Walter Benjamin erwähnten revolutionären Tugenden keinesfalls unentwickelt bleiben. An allen mangelt es und bedarf ihrer doch dringend.