Björk im New Yorker Museum of Modern Art

Es war einmal ein Mädchen…

Das New Yorker Museum of Modern Art widmet der isländischen Musikerin Björk eine Ausstellung.

Eine Schülergruppe steht gelangweilt im Foyer des New Yorker Museum of Modern Art vor zwei Musikinstrumenten: dem Gameleste und der Pipe Organ, die Björk eigens für ihr Album »Biophilia« in Zusammenarbeit mit dem Gongmacher Matt Nolan und Orgelbauer Björgvin Tómasson entworfen hat. Sie warten auf ihren Lehrer, der aus der Schlange vor den Ticketschaltern herüberwinkt, die sich nur millimeterweise vorwärts bewegt. Es ist Donnerstagmorgen, kurz nach Öffnung des Museums, das seit dem 8. März eine Ausstellung der isländischen Musikerin zeigt, und doch ist bereits alles voller Menschen, die leisen Töne des Gameleste gehen im Trubel unter. Ein etwa 16jähriger studiert die Informationstafel an der Wand neben den Instrumenten und fragt seine Klassenkameraden: »Wer zur Hölle ist Björk?« Schulterzucken. »Schauspielerin«, weiß ein Mädchen, »Musikerin« jemand anderes. Schnell sind sie sich einig: »Boring.«
»Boring« fanden auch die meisten Kunstkritiker die Björk-Ausstellung, selten herrschte so große Einigkeit wie in den vernichtenden Beurteilungen zu der von Kurator Klaus Biesenbach »Mid-Career-Retrospektive« genannten Werkschau. The Atlantic sprach von einer »Schande« für das MoMA und alle Beteiligten, Jason Farago im Guardian von einem »Fiasko«, Ben Davis nannte die Ausstellung auf Artnet »wirklich schlecht« und Peter Schjeldahl im New Yorker »peinlich«. Zu wenig Kunst, zu viel Kitsch, zu verwirrend, zu klein, zu prätentiös, zu wenig didaktisch, hieß es. Außerdem setze man auf den Starfaktor und messe Besucherzahlen eine große Bedeutung zu. Alle Kritiker beteuerten in ihren Verrissen, Björks künstlerisches Werk durchaus zu schätzen und prinzipiell nichts gegen Popkultur im Museum zu haben. Aber Pop im Museum soll in ihren Augen wohl anders funktionieren. Über Künstlerpersönlichkeiten, die mehr Popappeal versprühen, sich offensiver inszenieren und nicht wie Björk bei der Pressekonferenz lediglich einen fünfminütigen Auftritt in einem Kaktuskleid hinlegen.
Die dunklen Räume des »Songlines« betitelten Herzstücks der Ausstellung konnten jedenfalls niemanden überzeugen. Und die Kritikermeinung scheint sich durchgesetzt zu haben. Während sich vor den Campbells-Dosen oder »La Danse« von Henri Matisse trotz der frühen Tageszeit die Menschen bereits gegenseitig anrempeln, um die beste Perspektive für ein Foto zu erwischen, stellt es kein Problem dar, am kleinen Sonderschalter für die Björk-Ausstellung ein terminiertes Ticket für die nächste Öffnung des »Songlines«-Teils der Ausstellung zu bekommen. Nur eine begrenzte Anzahl von Personen wird alle 15 Minuten in die engen, dunklen Räume gelassen – an diesem Morgen warten jedoch nur zehn Besucher vor dem roten Band auf die Einweisung des Museumspersonals. Entweder handelt es sich um eine Ausnahme oder die Strategie des Kurators Klaus Biesenbach ist nicht aufgegangen, mit der pompös angekündigten Schau einen weiteren Besucherrekord im Kampf der Museen um die größte mediale Aufmerksamkeit aufzustellen.
Der Trend, sich als Museum als Ort der Popkultur, Ausstellungen als Popevents zu inszenieren, ist nicht neu, aber derzeit wohl stärker als je zuvor. Künstler, die sich wie Takashi Murakami als Popstars in Szene setzen oder sich aufgrund ihrer Verweigerungshaltung gegenüber dem System Kunst wie Jonathan Meese eine vermeintliche Authentizität bewahren: Wer Erfolg haben will in der Kunstwelt, muss sich als wiedererkennbares Image verkaufen. Bereits 2008 hat die Kunstkritikerin Isabelle Graw in »Der große Preis. Kunst zwischen Markt und Celebrity Kultur« geschrieben, dass, während früher der »vom Markt verpönte Künstler höher angesehen wurde und der markterfolgreiche Künstler etwas Dubioses verströmte«, heute der Marktwert einer künstlerischen Arbeit zunehmend mit ihrer künstlerischen Bedeutung gleichgesetzt werde.
Vielleicht ist es auch dies, was die Kritiker der Björk-Retrospektive irritiert: Wie will man den Marktwert eines Songs, Textfragments oder einer Wachsfigur bestimmen? Womöglich gibt es Fans, die bereit wären, für den handgeschriebenen Songtext von »The Modern Things« viel Geld zu bezahlen. Als Kunstwerk besitzt er darüber hinaus jedoch keinen hohen Marktwert.
Die Kritiker scheinen sich jedoch nicht explizit gegen Björk zu richten, vielmehr nutzen sie die Gelegenheit der in ihren Augen missglückten Ausstellung, um grundsätzlich mit dem Konzept des MoMA, Ausstellungen für ein Massenpublikum zu konzipieren, abzurechnen. Kunst als Massenevent, Ausstellungen, die das Spektakel über den Inhalt stellen, sind dem Feuilleton ein Graus. Dabei sind Schauen dieser Art doch angesichts des Spektakelcharakters des Kunstbetriebs, zu dem eben auch die Kunstkritik ihren Teil beiträgt, indem sie Kunststars herbei schreibt und andere wieder fallen lässt, nur ein konsequentes Spiegelbild dieser Welt. Zumal: Die Verbindung von Pop und Museum ist nicht neu, die Beispiele reichen von Andy Warhols Arbeit mit Velvet Underground über Raymond Pettibons Black-Flag-Cover bis hin zur großen Sonic-Youth-Ausstellung 2009 in Düsseldorf. Und seitdem es hip ist, sich Kurator zu nennen, schmücken sich auch Musiker wie Kanye West oder Jay Z gerne mit diesem Begriff und »kuratieren« Festivals, Kataloge, Ausstellungspavillons oder Modelinien.
Man kann darüber streiten, ob das Museum der richtige Ort für Popkultur ist. Ob Björks Werk im Museum ausgestellt werden sollte, ist jedenfalls unstrittig; die Antwort der Kritikerwelt ist ein klares Nein. Björk sei, schreiben sie, ein Opfer des Kurators Biesenbach geworden, der die Musikerin über zehn Jahre hinweg immer wieder um eine solche Ausstellung gebeten habe. Was die Journalisten dabei unterschlagen: Die Künstlerin war maßgeblich an der Konzeption beteiligt, die Ausstellung hat genau jene Form angenommen, die Björk vorschwebte. In einem Interview mit der Spex hat Björk die Hintergründe ihres langen Zögerns beschrieben: »Museen sind konzeptuelle, rituelle Orte, während Konzerthallen einem Musiker lebendig entgegenwirken. Mein Freund Antony Hegarty überzeugte mich schließlich, die Einladung als Chance zu sehen, etwas Neues zu lernen.« Wenn Björk nun als Opfer des Kurators Biesenbach beschrieben wird, dessen Entlassung sich Artnet angesichts dieser Ausstellung gar wünscht, wird damit der Versuch der Künstlerin übergangen, die Lebendigkeit ihrer Musik in den Museumskontext zu übertragen, wofür sie verschiedene Strategien gewählt hat.
Betritt man den »Songlines«-Teil der Ausstellung, bekommt man einen iPod mit Kopfhörern ausgehändigt, der auf den eigenen jeweiligen Standort in den Ausstellungsräumen reagiert. In chronologischer Reihenfolge hat jedes ihrer sieben Solo-Alben – die Soundtracks zu »Dancer in the Dark« von Lars von Trier und »Drawing Restraint 9« ihres ehemaligen Lebensgefährten Matthew Barney bleiben ausgespart – einen Raum erhalten, durch den man musikalisch geleitet wird. Jede Abteilung enthält ein Sammelsurium an Notizen für Songtexte, Fotos, Plattencover, Björk-Wachsfiguren, die von Coverfotos oder aus Videos bekannte Outfits tragen, Skizzen und Entwürfe für Musikvideos, am imposantesten wohl die Originalroboter aus dem Video zu »All Is Full of Love« von Chris Cunningham. Die Räume sind klein, die Anzahl der Objekte ist überschaubar, und dennoch muss man sehr genau hinsehen, um sich die Zusammenhänge der jeweiligen Auswahl zu erschließen. Dabei hilft der ebenfalls über die Kopfhörer übermittelte Begleittext zur Ausstellung, das lange Gedicht »Triumphs of a Heart« des isländischen Autoren Sjón, eingesprochen von der Schauspielerin Margret Vilhjalmsdottir. Mit Sjón verbindet Björk eine langjährige Freundschaft, seine am Surrealismus geschulte Lyrikergruppe Medúsa war in ihrer Jugend eine wichtige Inspiration für ihre künstlerische Entwicklung. Später arbeiteten die beiden unter anderem an den Texten zu »Isobel«, »Bachelorette« und dem für den Oscar nominierten »I’ve Seen it All« vom »Dancer in the Dark«-Soundtrack zusammen.
»Triumphs of a Heart«, worin Sjón das Leben Björks als Märchen erzählt, hat viel Häme und Spott einstecken müssen. So nannte die Washington Post den Text eine »lächerliche Pseudo-Poesie«. »Once upon a time, there was a girl … « – für sich genommen mag der Text kitschig sein, vielleicht auch albern und teilweise lächerlich. Was Philip Kennicott in seinem polemischen Artikel in der Washington Post jedoch übersieht: Das Gedicht von Sjón sollte gar nicht isoliert als Text funktionieren. Es ist ein Teil des von Björk entworfenen Ausstellungskonzeptes, das beinhaltet, sich eindeutigen Erklärungen zu entziehen. So wie es nur wenig Sinn ergibt, einen Songtext ohne die ihn begleitende Musik zu untersuchen, kann der Text Sjóns nicht ohne die Musik Björks verstanden werden.
Björk will in der Ausstellung ein Märchen erzählen, die fiktive Geschichte einer Musikerin, die es mit Glück und Durchhaltevermögen geschafft hat, in der von Männern dominierten Welt des Musikbusiness Fuß zu fassen und vor allem mit ihrer eigenen Ästhetik, in der Zwölftonmusik ebenso ihren Platz hat wie Hip-Hop-Beats, nachhaltig erfolgreich zu sein. Nun hat sie sich in der ebenfalls von Männern dominierten Welt des Kunstbetriebs versucht und prompt verweigert man ihr den Zutritt. Die ärgsten Verrisse der Ausstellung stammen alle von männlichen Journalisten, was wenig überrascht.
Björks Ausstellungskonzept für »Songlines« liefert keine Hintergründe jenseits der chronologischen Reihenfolge der Alben, keine erklärenden Tafeln zu den Ausstellungsstücken und auch keine biographischen Details zur Künstlerin. Man bleibt völlig alleine mit den Kopfhörern, der Musik und dem lyrischen Text des isländischen Dichters. Betritt man einen neuen Raum, werden Text und Musik zur jeweiligen künstlerischen Phase übergeblendet. So entsteht im Schlendern durch die Räume, im vor und zurück, eine Cut-up-Collage, ein neues Werk aus Fragmenten des künstlerischen Œuvres der Musikerin, das sich für jeden Besucher individuell auftut.
Während man die Cunningham-Roboter beim Liebesakt beobachtet, erzählt Sjón, das Leben des Mädchens im Gedicht sei geprägt von einem Interesse an technology and poetry. In einem anderen Raum erfährt man, das Mädchen spiele in einer Stadt jenseits des Ozeans cave with a magical boy, während sich eine von Matthew Barney entworfene lebensgroße Acryl-Figur aus Björks »Vespertine«-Phase mit integrierter Music-Box vor den Augen der Besucher dreht und ein Foto der gemeinsamen Tochter neben eine Songtextidee gepinnt ist. Auf diese Weise werden Zusammenhänge jenseits klassischer Museumsdidaktik vermittelt, man erfährt viel über die Arbeitsweise der Künstlerin, ohne diese museumspädagogisch aufbereitet zu bekommen. Diese Geduld, die Verbindungslinien zwischen den Ausstellungsstücken, dem Text und der Musik, aus der sich ein über sieben Räume verteiltes Kunstwerk ergibt, zu suchen, fehlte offenbar den meisten Kritikern. Björk wurde immer wieder, so auch im Hinblick ihres soeben erschienenen, von Arca co-produzierten Albums »Vulnicura«, von der Musikpresse als Produzentin ihrer Alben in den Schatten ihrer prominenten männlichen Mitstreiter gedrängt. Ihre Rolle als künstlerische Leiterin des Gesamtwerkes wurde unterschlagen, und auch die Kritik an der Ausstellung scheint in ähnlicher Weise zu funktionieren, wenn Björk immer wieder vor Kurator Biesenbach in Schutz genommen wird, dem allein man die Schuld an dem »Fiasko« zurechnet.
Selbstverständlich gäbe es an der Ausstellung auch Kritik zu üben. Etwa daran, dass in der Fokussierung auf das Solowerk die Bedeutung von Björks früheren musikalischen Artikulationen mit den Bands Tappi Tíkarrass, Kukl – immerhin in England auf dem Crass-Label erschienen – oder den international bekannten Sugarcubes völlig unter den Tisch fällt. Oder dass Björk die Gelegenheit verstreichen ließ, im Museum auf ihre Kollaborationen hinzuweisen, mit Oval, Matmos, Console, Zeena Parkins, Robert Wyatt, Antony Hegarty, Mike Patton und unzähligen anderen. Oder dass die sicherlich fruchtbaren künstlerischen Wechselwirkungen zwischen Björk und Matthew Barney während ihrer langjährigen Beziehung in der Ausstellung lediglich in Form eines Fotos der gemeinsamen Tochter sichtbar werden. Dennoch ist all dies unter der Oberfläche der Ausstellung präsent: die Medienkunst Barneys, die Avantgarde-Tradition, aus der viele ihrer musikalischen Partner stammen, der Versuch, stets neue Wege zu gehen und ihr gesamtes Schaffen als Kunstwerk zu verstehen, zu dem Mode, Musikvideoästhetik und die technischen Möglichkeiten der digitalen Welt ebenso gehören wie das Spiel mit der isländischen Herkunft, mit Naturkitsch, Vulkanen und Elfenglauben. Ihr Auftritt in einem an einen Kaktus erinnernden Kleid bei der Pressevorbesichtigung ist auch Teil des Konzepts. Die Ausstellung zeigt sich widerspenstig gegen vorschnelle Einordnungen, verweigert sich den Erwartungen des Kunstbetriebs und erschafft dennoch etwas Einzigartiges: eine individuelle musikalische Erfahrung für jeden Besucher, der sich darauf einzulassen bereit ist.
Nach etwa 45 Minuten wird man wieder in die Besuchermassen des MoMA ausgespuckt und darf sich in den zweiten Stock drängen, in dem der zweite und dritte Teil der Ausstellung angesiedelt sind – den vierten Teil, die eigens entwickelten Instrumente, konnte man ja bereits im Foyer sehen. Vor dem Kinosaal, in dem sämtliche Musikvideos von Björk im Loop laufen, hat sich eine lange Schlange gebildet, ebenso vor dem Raum, in dem »Black Lake« gezeigt wird, ihr für die Ausstellung produziertes Musikvideo zu einem Song ihres jüngsten Albums, das sich mit ihrer Trennung von Matthew Barney auseinandersetzt.
Zurück im Foyer zeigt sich: Der Lehrer hat endlich die Karten für seine Schülergruppe erstanden. »Boring« ist das letzte Wort, das noch zu hören ist. Die Schlange vor dem Björk-Karten-Schalter ist mittlerweile trotzdem unüberschaubar lang geworden. Die Häme der Kritiker hat doch nicht gesiegt.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 7. Juni.