Der Arbeitskampf der Beschaftigten im Sozial- und Erziehungsbereich

Geschätzt, aber kaum honoriert

Die Beschäftigten in Sozial- und Erziehungsdiensten werden wohl um einen weiteren Streik nicht herumkommen, wenn sie ihre Forderungen nach Höhergruppierungen durchsetzen wollen. Denn trotz warmer Worte über die Bedeutung dieses Berufsfelds signalisieren die kommunalen Arbeitgeberverbände ­wenig Verständnis.

»Sei alles, werde Erzieher!« Mit markigen Sprüchen wie diesem versucht die Hamburger Kampagne »Vielfalt, Mann!« junge Männer für den ­Beruf des Erziehers zu begeistern. Auf den Plakaten und Videos sind junge, gutaussehende und vor allem glücklich lächelnde Männer zu sehen, die anscheinend für ihren Beruf brennen. Den Lärmpegel, der im Erzieherberuf an der Tagesordnung ist, erahnt man ebenso wenig wie die miserable Bezahlung und den schlechten Betreuungsschlüssel. Wobei man fairerweise sagen muss, dass die dazugehörige Homepage direkt einen Hinweis zum Thema »Kohle? Infos hier« enthält. Da erfährt der Interessent dann, dass man nach fünfjähriger Ausbildungsdauer auf ein Einstiegsgehalt kommt, das zwischen 2 100 und 2 300 Euro liegt – brutto wohlgemerkt.

Vergleicht man diesen Lohn mit anderen Ausbildungsberufen oder gar dem Eingangsgehalt nach einem ähnlich langen Studium, wird deutlich, dass die Bezahlung nicht üppig ist. Dass die Tätigkeit jedoch eine enorme gesellschaftliche Bedeutung hat, darüber sind sich beinahe alle einig. So verwundert es nicht, dass die ersten Streiks, zu denen die Gewerkschaft Verdi aufgerufen hatte, relativ wohlwollend aufgenommen wurden. Anders als bei den Lokführern oder Piloten war eigentlich nur Zustimmung zu vernehmen. Dabei verlangt die Gewerkschaft einen Lohnzuwachs in Höhe von durchschnittlich zehn Prozent. Allerdings ist der Begriff Lohnzuwachs an dieser Stelle irreführend. Denn genauer gesagt, sollen die Beschäftigen der Sozial- und Erziehungsdienste diesmal pauschal aufgewertet, also einer höheren Gehaltsgruppe zugeteilt werden. »Die Aufwertung dieser Berufe ist nur logisch angesichts der gestiegenen Anforderungen und anspruchsvolleren Ausbildungen«, erläutert Martina Sönnichsen, Pressesprecherin von Verdi. Doch um welche Be­rufe geht es dabei eigentlich? In der Regel denkt man zunächst an die Erzieher in Kindertagesstätten. Und in der Tat stellen die Erzieher und Erzieherinnen rund zwei Drittel der Beschäftigten in Sozial- und Erziehungsdiensten. Rund 500 000 arbeiten in Kindertagesstätten, davon knapp 170 000 bei öffentlichen und mehr als 300 000 bei freien Trägern. Beinahe 60 Prozent von ihnen arbeiten in Teilzeitarbeitsverhältnissen.

Darüber hinaus gibt es jedoch noch mehr als 200 000 Beschäftigte, die in psychiatrischen, forensischen oder kriminalpräventiven Einrichtungen sowie in Behindertenwerkstätten arbeiten. Der Heimbereich ist ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld. Sozialpädagogen sind ebenso betroffen wie Heilerziehungspfleger. Insgesamt betrifft die Aufwertungskampagne von Verdi mehr als 700 000 Beschäftigte. Sie sollen nach dem Wunsch der Gewerkschaft dauerhaft in höhere Entgeltgruppen einsortiert werden. Für die Kinderpflegerin würde dies eine Lohnsteigerung von 13,29 Prozent bedeuten, für die Erzieherin mit mehrjähriger Berufserfahrung 14,98 Prozent. Die Gruppenleitung einer Werkstatt für Behinderte würde knapp 8,5 Prozent mehr Gehalt zum Berufseinstieg erhalten. »Die genannten Berufe genießen alle eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz, die sich jedoch überhaupt nicht in der Entlohnung niederschlägt«, klagt Sönnichsen. Von einer Erzieherin wird heute nicht mehr nur »Spielen mit den lieben Kleinen« gefordert, sondern eine differenzierte Diagnostik und umfangreiche frühkindliche Förderung.
Die Forderungen der Gewerkschaft beziehen sich in erster Linie auf die Angestellten bei kommunalen Trägern, die im Tarifvertrag TVÖD organisiert sind. Der Großteil der Beschäftigten in diesem Arbeitsfeld arbeitet jedoch bei freien Trägern. Einige davon haben in ihren Verträgen eine »Inbezugnahme« auf den TVÖD festgeschrieben, das heißt die Tarifabschlüsse werden in der Regel übernommen, viele freie Träger haben allerdings eigene Verträge, so dass deren Beschäftigte bei einem Erfolg der Streiks nicht automatisch in den Genuss der Höhergruppierungen kommen würden. »Wir hoffen hier dann auf so etwas wie einen Sogeffekt, gerade wenn qua­lifizierte Bewerber fehlen«, sagt Onno Dannenberg, Verhandlungsführer für Verdi in der aktuellen Auseinandersetzung. Doch noch ist ein Erfolg nicht absehbar. In der vergangenen Woche ist die dritte Tarifrunde ergebnislos zu Ende gegangen. Für Donnerstag dieser Woche ist ein weiteres Treffen der kommunalen Arbeitgeberverbände mit Verdi anberaumt.
Doch Dannenberg geht nicht von einer schnellen Einigung aus. »Die Arbeitgeber haben ganz klar signalisiert, dass sie die Forderungen rundweg ablehnen. Sie teilen zwar die Einschätzung der gesellschaftlichen Wertigkeit der Berufe, sehen aber überhaupt keinen Grund für eine Besserstellung«, sagt er. Die Argumente hören sich geradezu hanebüchen an. Die Arbeitgeberseite argumentiert nicht nur mit klammen Kassen, sondern auch mit einer abstrusen inhaltlichen Logik. »Da wird ernsthaft davor gewarnt, das Gehaltsgefüge nicht durcheinanderzubringen. Und außerdem hätten sich die Tätigkeiten ja gar nicht so stark verändert, so dass auch eine Höhergruppierung nicht nachvollziehbar sei«, berichtet Dannenberg über die bisherigen Treffen. Zudem verweisen die Arbeitgeber auf die Aufwertung, die 2009 erreicht wurde. Damals wurden die schlimmsten Einbrüche nach der Einführung eines neuen Tarifsystems im Jahr 2005 etwas abgefedert.
Vor zehn Jahren wurde der bis dahin gültige Bundesangestelltentarif (BAT) durch den neuen TVÖD (und TVL für die Länderebene) ersetzt, der für viele Neuangestellte eine deutliche Schlechterstellung bedeutete. So entfiel die Regelaufwertung, zum Beispiel durch die sogenannten Bewährungsaufstiege oder Vergütungsgruppenzulagen. Im alten BAT stieg man automatisch nach einer festgelegten Anzahl von Arbeitsjahren in die nächste Entgeltstufe auf. In den neuen Tarifverträgen entfiel diese Möglichkeit. Durch Arbeitskämpfe und den unermüdlichen Einsatz der Gewerkschaften konnte diese Verschlechterung im Jahr 2009 abgemildert werden. Und auf diese Aufwertung beziehen sich nun die kommunalen Arbeitgeberverbände. »Man muss aber bedenken, dass bei den wenigsten das alte BAT-Niveau erreicht wurde. Also haben wir damals nur eine Angleichung an einen vorherigen Vertrag erreicht, aber überhaupt keine Einkommenssteigerung«, so Dannenberg. Eine solche Aufwertung soll der derzeitige Arbeitskampf bringen.

Verdi weist dabei auch immer wieder auf veränderte gesellschaftliche Zustände hin, die die gestiegene Verantwortung der Berufsgruppe zeigen soll. »Die hohe Arbeitslosigkeit und die steigende Zahl von Geringverdienern, zunehmende Kinderarmut und Perspektivlosigkeit von Jugendlichen, veränderte Familienkonstellationen verweisen auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen, in denen soziale Arbeit in ihrer unterstützenden Funktion noch bedeutsamer geworden ist«, so Verdi in einer Presseerklärung.
»Fußballer gewinnen Meisterschaften. Ich gebe den Anstoß zum Laufen«, heißt es auf den T-Shirts der Kampagne »Vielfalt, Mann!«. Vielleicht findet sich in Zukunft ein ergänzender Satz auf den Shirts: Und ich kann damit meinen Lebensunterhalt bestreiten!