Kinderwunsch

Die Ältesten berichten von einer Zeit, als öffentliche Fürsorge noch ein Allgemeingut war, ihre Behörden und Institutionen noch nicht jede selbstverständliche Leistung mit Fanfaren ankündigten. In dieser goldenen sozialdemokratischen Epoche sollen zum Beispiel Krankenhäuser noch nicht in der Öffentlichkeit betteln gegangen sein, sondern ihren Finanzbedarf ganz selbstverständlich aus Steuermitteln erhalten haben. Heute hängen an Hamburger Bushaltestellen Plakate, auf denen ein kraushaariger Knabe für die Uniklinik Eppendorf Werbung macht. »Fußballtore im OP« wünscht er sich, und hält dazu einen aus OP-Leuchten zusammengesetzten Digital-Fußball in Händen. Zwar maßregelt ihn gleich eine tantige Oberüberschrift (»Dieser Wunsch bleibt ein Traum«), dennoch hält das Klinikum die Hand auf: »Wir bauen eine der modernsten Kinderklinken Europas, mit Hilfe Ihrer Spende wird sie eine ganz besondere«, vulgo eine, die den Fußball zwar nicht im OP, aber doch als Gesamtgesinnung pflegt. Viele Fragen regt es an, dieses Plakat. Zuvörderst die, ob es wirklich sinnvoll ist, Kinder am Leben zu halten, um sie doch nur wieder in den nervenzerfetzenden Stumpfsinn von Lohnarbeit, Fußball, Fankultur und Remmidemmi zu entlassen. Ist ein Kind, das sein stupides Gebolze noch an der Grenze von Leben und Tod pflegen will, nicht schon verloren? Ist es überhaupt im engeren Sinn am Leben? Ist in einer Welt, in der bettelarme Krankenhäuser sich feilbieten wie die Bordsteinschwalben, ein menschenwürdiges Leben irgend möglich? Und welche Narrheit treibt eine Agentur, die erst einen unrealistischen Kinderwunsch erfindet, nur um ihn dann autoritär zu versagen? Bevor wir neue Kliniken bauen, brauchen wir einen ganz neuen Gesundheitsbegriff. Der idealerweise im Kopf anfängt.